10.07.2016
Ma Folie
Eine junge Frau lernt einen gleichaltrigen Mann kennen. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Doch seine Eifersucht führt zur Trennung. Er kann aber nicht loslassen. Er wird zum Stalker. Oder? Dass Regisseurin Andrina Mracnikar Schülerin Michael Hanekes ist, merkt man sofort in ihrem Debütfilm "Ma Folie". Sie inszenierte einen Psychothriller, aber mit mehr Betonung auf Psycho als auf Thriller, denn die weibliche Hauptfigur des Films steigert sich in einen Wahn, durch den sie genauso wenig wie der Zuschauer weiß, was noch real ist. Selbst das scheinbar enttäuschende Ende des grandios durchdachten Streifens spiegelt diese Paranoia wider.
"Ma Folie" gewann unter anderem den First Steps Award 2015 und war im selben Jahr für den Saarbrücker Max Ophüls Preis nominiert. Er hätte die Auszeichnung durchaus verdient gehabt. Nachhallende Schritte. Auf sie hatte Hanna (Alice Dwyer) gehofft. Erst ist sie enttäuscht, dass der sympathische junge Mann, dessen Augenkontakt sie traf, ihr nicht nachläuft, als sie während eines Urlaubs in Paris eine Kneipe verlässt. Doch er folgt ihr. Später im Film wird es wieder nachhallende Schritte geben. Dann sind sie alles andere als erwünscht. Der junge Mann, Yann (Sabin Tambrea, "Ludwig II."), ein Deutscher, folgt der Österreicherin nach Wien, zieht bei ihr ein. Sie lieben sich. Alles ist perfekt. Bis er glaubt, sie betrüge ihn. Die Eifersucht kennt keine Grenzen. Yann trennt sich von ihr. Doch was will er? Er kann sie nicht aus dem Kopf bekommen. Schickt ihr hasserfüllte Videobotschaften. Nachdem er ihr vorher auf demselben Weg, via Smartphone, Liebesvideos sendete. Ist das so? Wird er zum Stalker? Der Zuschauer folgt Hanna nicht von der Seite, weiß aber irgendwann nicht mehr, ob sie sich manches nicht einfach nur einbildet: die Videos. Weitere Begegnungen. Seinen Sturz in einen Kanal. Es ist eine Perspektive, die Erklärungen beiseitelässt. Wie in Filmen wie "Caché" des Lehrers der Regisseurin Mracnikar, Michael Haneke. "Ma Folie" lässt sich mit "Meine Verrücktheit" übersetzen. Oder ist auch als Anspielung auf das, was mehr latent als manifest im Film sukzessive vorkommt – ihr Wahn – zu verstehen, übersetzen lässt sich der Filmtitel dann als "Meine Verrückte". Ihrem Job als Psychologin für traumatisierte Kinder geht Hanna im Verlauf des Films immer unkonzentrierter nach, je mehr Yann ein Bedrohungsszenario konstruiert – oder zu konstruieren scheint. Denn Realität und Bewusstseinsstörung gehen bald im Film Hand in Hand. Man wünscht sich für den Film ein anderes Ende. Dies ist der erste Eindruck, wenn der Abspann läuft. Dann stellt der Zuschauer fest: Es hätte kaum ein besseres, plausibleres Ende geben können. Nachtrag: Gut eine Woche vor dem deutschen Kinostart von "Ma Folie" verabschiedete die Bundesregierung ein schärferes Anti-Stalking-Gesetz. Gut so. Denn Stalker können Frauen wirklich in den Wahnsinn treiben. Michael Dlugosch /
Wertung: * * * *
(4 von 5)
Quelle der Fotos: W-film/Extrafilm Filmdaten Ma Folie (Ma Folie) Österreich 2015 Regie & Drehbuch: Andrina Mracnikar; Darsteller: Alice Dwyer (Hanna), Sabin Tambrea (Yann), Oliver Rosskopf (Goran), Gerti Drassl (Marie), Anna Rot (Evi), Rayana Sidieva (Sarema), Gisela Salcher (Doris) u.a.; Produzent: Lukas Stepanik; Kamera: Gerald Kerkletz; Musik: Peter Kutin, Scott McCloud; Schnitt: Karina Ressler; Länge: 99,15 Minuten; FSK: ab 16 Jahren; ein Film im Verleih von W-film Distribution; deutscher Kinostart: 21. Juli 2016
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