05.07.2016
Bach in Brazil
Damit hat der ehemalige Musiklehrer Marten Brückling (Edgar Selge) nicht gerechnet: Sein Jugendfreund, der vor Jahren nach Brasilien ausgewandert war, hat ihm ein wertvolles Notenblatt vererbt, eine Abschrift, persönlich von Johann Sebastian Bachs Sohn, Johann Christian Bach, angefertigt! Es ist das berühmte Arioso BWV (Bach-Werke-Verzeichnis) 1056. Die Bedingung allerdings lautet, dass Marten persönlich nach Brasilien kommen muss, um das Erbe in Empfang zu nehmen. Dazu hat er überhaupt keine Lust, aber seine ehemalige Kollegin Marianne (Franziska Walser) überredet ihn zu dem Flug, und er landet nach einer in hübscher Zeichentrickmanier dargestellten Reise in Ouro Preto in den brasilianischen Bergen. Leider wird er kurz vor der Rückreise überfallen und beraubt: Alle seine Papiere und das wertvolle Notenblatt sind weg! Als er im Krankenhaus aufwacht, bietet ihm jemand Hilfe an.
Es ist ein junger Mann namens Candido (Aldri da Anunciacao), der Deutsch spricht und im Jugendgefängnis arbeitet. Für seine Freundlichkeit erwartet er aber eine Gegenleistung: Marten soll den Kindern in der Anstalt Musikunterricht geben. Das geschieht auch, vornehmlich mit Hilfe von Bachstücken. Da treffen zwei Welten aufeinander: der strenge und starre Marten, der nur vom Blatt spielen kann, und die temperamentvollen Kinder, die mit volkstümlichen Instrumenten (Sambatrommeln, Akkordeon, Ukulele) ihrem Rhythmusgefühl und ihrer Improvisationskunst freien Lauf lassen. Der Gefängnisdirektor ist begeistert. Die Schüler spielen sogar vor einer Ministerin. Als das gestohlene Gepäck wiedergefunden wird, ist Marten bereit, das wertvolle Notenblatt zu verkaufen. Von dem Erlös fliegt die ganze Gruppe nach Deutschland, um im Schloss Bückeburg an den Bachtagen teilzunehmen – Barock und Samba, das passt wunderbar zusammen! Es gibt eine Anzahl von Filmen, in denen (Problem-)Schüler durch das Engagement eines außerordentlichen Lehrers (oder einer Lehrerin) zu großem Erfolg (und zur Selbstfindung) gelangen, etwa "Rhythm is it" (2004), "Fack ju Göhte" (2013), "Der Chor – Stimmen des Herzens" (2014) und "Die Schüler der Madame Anne" (2015). Hier reiht sich der Wohlfühl-Streifen "Bach in Brazil" ein. Anders aber als z.B. "Monsieur Mathieu" (2004) spricht Marten nicht die Sprache seiner Schüler und das gibt dem Film seine eigene Komik. Zu beobachten, wie die Kinder durch die Begegnung mit einem der größten Komponisten der Welt über sich hinauswachsen, ist ebenso erfrischend wie Edgar Selge zuzusehen bei seiner Verwandlung vom steifen, mürrischen Zausel zum temperamentvollen, strahlenden "Südländer". Wenn die Gruppe beim Bachfest des Fürsten Schaumburg-Lippe in dessen prächtigen Bückeburger Schloss auftritt, schließt sich ein Kreis. Dort hatte der Bach-Sohn Johann Christoph Friedrich ab 1750 als Hochgräflich Schaumburg-Lippischer Cammer Musicus gewirkt. Und auch Selge hat hier einige Jugendjahre verbracht. (Noch eine merkwürdige Übereinstimmung: Selges Vater war Gefängnisdirektor und hat mit Gefangenen musiziert.) Der Film lebt natürlich in erster Linie von der Musik. (Wie schön Bach klingt, wenn er südamerikanisch aufgepeppt wird, kann man hier hören: http://www.bachinbrazil.de/musik.html, ganz unten auf der offiziellen Homepage.) Aber auch von der Landschaft, den Häusern, den Räumen, die Regisseur Ansgar Ahlers in seinem Kino-Debut immer in ein goldenes Licht taucht. Die Schauspieler agieren munter und voller Elan. Selges Frau Franziska Walser spielt hier liebevoll seine ehemalige Kollegin. Der korpulente Gefängnisdirektor (Stepan Nercessian) hat einen öligen Charme, wirkt aber sehr sympathisch. Aldri da Anunciacao als Candido zeigt mit breitem Grinsen Lebensfreude und Schlitzohrigkeit. Hans-Peter Korff ist in einer ganz kleinen Rolle als Fürst von Schaumburg-Lippe zu sehen. Die Kinder (im richtigen Leben Straßenkinder) sind durchweg köstlich in ihrer Unbefangenheit und ihrem Witz. Die Botschaft ist klar: Man muss aufeinander zugehen, man kann kulturelle Unterschiede überwinden und gemeinsam fruchtbar machen, die Musik ist völkerverbindend. Das ist vielleicht ein bisschen simpel, und manche Kritiker haben schon Klischeehaftigkeit bemängelt (nach dem Motto: Nicht alle Slumkinder sind musikalisch – was der Film gar nicht behauptet!), aber es ist wieder einmal schön anzusehen und erfreut das Herz. Manfred Lauffs /
Wertung: * * * * *
(5 von 5)
Filmdaten Bach in Brazil Portugiesischer Filmtitel: Filhos de Bach Deutschland/Brasilien 2014 Regie: Ansgar Ahlers; Darsteller: Edgar Selge (Marten Brückling), Franziska Walser (Marianne), Aldri da Anunciacao (Candido), Pablo Vinicius (Fernando), Stepan Nercessian (Gefängnisdirektor), Hans-Peter Korff (Prinz), Peter Lohmeyer (Knut Schuhmann), Helene Grass (Notarin) u.a.; Drehbuch: Ansgar Ahlers, Sören Menning; Produzenten: Leonardo Monteiro de Barros, Clemens Schaeffer, Alexander Thies; Kamera: Jörg Widmer; Musik: Henrique Cazas, Jan Doddema; Schnitt: Barbara Hennings; Länge: 91,23 Minuten; FSK: ohne Altersbeschränkung; ein Film im Verleih der NFP marketing & distribution GmbH; deutscher Kinostart: 17. März 2016
Auszeichnungen:
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