Dezember 2000

Warum gehen fünf junge Mädchen freiwillig in den Tod?

The Virgin Suicides


The Virgin Suicides Fünf schöne Frauen, die noch nicht die Volljährigkeit erreicht haben, werden am Ende des Films tot sein. Fünf Schwestern werden ihre Eltern durch Selbstmord als wieder kinderlos zurücklassen. Damit ist der Schluss des Films nicht im Voraus verraten, denn "The Virgin Suicides" weist sowohl in seinem Titel als auch zu Beginn darauf hin, wie er enden wird. Die Mädchen werden alle die bittere Konsequenz draus ziehen, dass Heranwachsende es "heute", irgendwann in den 70ern, mit dem Erwachsenwerden nicht mehr leicht haben, wie es der Erzähler erläutert. "The Virgin Suicides", die Verfilmung des Romans "Die Selbstmord-Schwestern" (1993) von Jeffrey Eugenides, ist das Kinodebüt der 1971 geborenen Regisseurin Sofia Coppola - ihr Vater Francis Ford Coppola, Regisseur der "Der Pate"-Trilogie und von "Apocalypse Now", produzierte den Film.


Von der Tatsache, dass mit der Pubertät Gefühle bei Jugendlichen auftreten, wollen die Eltern oftmals nichts wissen. Sie wollen ihre lieben Kinderlein vor den ersten Irrungen und Wirrungen beschützen, die sind ja noch zu jung, um zu wissen, was ernsthafte Liebe ist.

Nach dem Prinzip verfährt das konservative Ehepaar Lisbon (Kathleen Turner, James Woods) in Michigan etwa im Jahre 1975. Sie haben fünf hübsche Töchter zwischen 13 und 17 Jahren auf die Welt gebracht. Sie bezweifeln auch nicht, ihren Mädchen ihrerseits Liebe zu geben. Dennoch schneidet sich Cecilia (Hanna Hall) die Pulsadern auf. Sie wird gerettet, aber keiner versteht den Grund für diese Handlung, auch der Psychologe Dr. Horniker (Danny DeVito in einer Gastrolle) kommt nicht dahinter. Er rät den Eltern aber, den Mädchen mehr Kontakt zu Gleichaltrigen einzuräumen. Zu Ehren Cecilias veranstalten Mr. und Mrs. Lisbon eine Party. Da lassen sich die Jungs der Vorortsiedlung nicht zwei Mal hin bitten, denn alle fünf Mädchen sind Objekte ihrer Begierden. Cecilia zieht sich von ihrer eigenen Fete emotionslos zurück - und diesmal gelingt ihr der Selbstmord.

Nach Cecilias als Unfall deklariertem Tod läuft das Leben der Lisbons scheinbar normal weiter, die vier Mädchen gehen zur Schule und die Jungs aus der Nachbarschaft bleiben weiterhin interessiert. Die Eltern haben den Schock aber noch nicht verdaut und können ihrerseits nicht mehr miteinander kommunizieren. Während Mr. Lisbon, Mathematiklehrer an der örtlichen High School, die auch seine Töchter besuchen, noch mehr die Augen vor allem verschließt und sich noch mehr in seine Hobbys flüchtet als vorher, treibt der Freitod von Cecilia Mrs. Lisbon zu weiteren extremen Einschränkungen der Freiheit ihrer Töchter.

Ein begehrter Teenager der Schule, Trip Fontaine (Josh Hartnett), ist in Lux Lisbon (Kirsten Dunst, "Interview mit einem Vampir", 1994) verknallt, und es gelingt ihm, dass die Lisbon-Festung noch einmal, noch ein letztes Mal, aufgebrochen wird. Es gelingt ihm sogar, dass alle Schwestern den alljährlichen High School-Ball besuchen dürfen, mit Einschränkungen, versteht sich. Lux bricht ein bestimmtes Versprechen, sie lässt sich von Trip verführen. Aber wie ein Fanal läuft 10ccs 1975er Anti-Liebeslied "I'm not in love" in dem Augenblick im Hintergrund, in dem Lux' und Trips Beziehung die wahre Liebe zu sein scheint. Anschließend flüchtet Trip vor der Bürde einer Partnerschaft. Er weiß selber nicht so genau, warum, aber ihr Geschlechtsverkehr ist das letzte Mal, dass er Lux sehen möchte. Und es wird das letzte Mal sein...

Wegen seines Debütromans "Die Selbstmord-Schwestern" ("The Virgin Suicides", 1993) wurde Jeffrey Eugenides als "Chronist des leisen Schreckens" gefeiert, der bereits für das erste Kapitel des Buches 1991 den Aga-Khan-Preis der Paris Review für die Beste Prosa des Jahres erhalten hatte. Sofia Coppola hatte nicht vor, Regisseurin zu werden, bis sie Eugenides' Roman gelesen hatte. Coppola, die mit ihren 28 Jahren nur zehn Jahre älter ist als ihre Protagonistinnen, versuchte die Gefühle der Mädchen aus der Sicht einer Frau zu erfühlen und zu vermitteln. Aber auch sie sucht wie der Autor nicht nach rationalen Begründungen für die Handlung der Schwestern, die Tat stellt sie als genauso rätselhaft, als genauso wenig wissenschaftlich greifbar wie die Pubertät selbst dar, und da tut sie gut daran. "Die Selbstmorde waren für mich eher symbolisch," sagt die Regisseurin, "eine Metapher für den Verlust, den man in diesem Alter erleidet. Der Roman liefert keine Erklärung dafür, warum die Lisbon-Schwestern sich umbringen, und gerade dieses Unerklärliche hat eine enorme Wirkung."

Die Wirkung wirkt im Film nicht immer. Die absichtlich vergilbten Bilder stellen zwar ein jeder Zeit greifbares 70er Jahre-Ambiente her, aber die Lisbons selbst bleiben statisch, die einzelnen Mitglieder lernt man nie wirklich kennen, sie bilden zusammen ein zweidimensionales Familiengemälde ohne Profil, die konträren Haltungen werden erzählt, nicht vermittelt. Sofia Coppola besetzte die Rolle der streng konservativen Mutter mit Kathleen Turner, ihrer Film-Schwester im Film "Peggy Sue hat geheiratet", den Sofias Vater Francis 1986 gedreht hat. Eine Assoziation steckt hinter dieser Besetzung, denn Kathleen Turners Rollenfigur Peggy Sue heiratete dort als junges Ding ihre High School-Liebe (Nicolas Cage), um diese Hochzeit im fortgeschrittenen Alter zu bereuen. Wie aus dem eigenen Erfahrungsschatz greifend, sabotiert Mutter Lisbon alle Kontakte der Töchter, während der Vater seine Frau walten lässt und sich in seine eigene Welt zurück zieht. Die Mutter mag zwar wissen, wie schnell die ersten Emotionen wieder vorbei sind; sie wird im Verlauf des Films sogar Recht behalten, aber doch Schaden anrichten bei dem Versuch, die Kinder vor dem Schaden flüchtiger Gefühle zu bewahren. Denn die Töchter fühlen ihre Sehnsüchte und dürfen sie nicht mehr kennenlernen, dürfen nicht mehr experimentieren.

 
Michael Dlugosch / Wertung: * * * (3 von 5)

Quelle des Fotos:
offizielle Seite zum Film


Filmdaten

The Virgin Suicides
(The Virgin Suicides)

USA 1999;
deutscher TV-Titel: Das Geheimnis ihres Todes
Regie: Sofia Coppola; Drehbuch: Sofia Coppola nach dem Roman "The Virgin Suicides" ("Die Selbstmord-Schwestern") von Jeffrey Eugenides;
Ausführende Produzenten: Fred Fuchs, Willi Bär; Co-Produzenten: Fred Roos, Gary Marcus; Produzenten: Francis Ford Coppola, Julie Costanzo, Dan Halsted, Chris Hanley; Kamera: Edward Lachman; Schnitt: James Lyons, Melissa Kent; Musik: Brian Reitzell; Musik komponiert von "Air": Nicolas Godin, Jean-Benoit Dunckel; Casting: Linda Philipps-Palo, Robert McGee, John Buchan;
Darsteller: James Woods (Mr. Lisbon), Kathleen Turner (Mrs. Lisbon), Kirsten Dunst (Lux Lisbon), Josh Hartnett (Trip Fontaine), Hanna Hall (Cecilia Lisbon), Chelse Swain (Bonnie Lisbon), A. J. Cook (Mary Lisbon), Leslie Hayman (Therese Lisbon), Danny DeVito (Dr. Horniker), Michael Paré (Trip Fontaine im Jahr 1997), Jonathan Tucker (Tim Weiner), Anthony De Simone (Chase Buell), Noah Shebib (Parkie Denton), Robert Schwartzman (Paul Baldino), Scott Glenn (Pater Moody);

Länge: 97 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; deutscher Kinostart: 16. November 2000; ein Film im Verleih von TiMe Filmverleih




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weitere Rezension zum Film
von Hildegard Wehrmann
Wertung: 4 von 5  



Zitat

"Was soll das denn sein - wo du doch Schauspieler sein kannst? Da will man doch nicht Arzt werden!"

Die Reaktion der schauspielernden Eltern von Michael Verhoeven (13. Juli 1938 - 22. April 2024) auf seinen Wunsch, Medizin zu studieren - er wurde Regisseur ("o.k.", "Die weiße Rose"), Schauspieler ("Das fliegende Klassenzimmer" (1954), "Der Pauker") und Arzt

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