03.09.2010
Die ewige Frage, ob die Welt überhaupt real ist

Inception


Inception: Leonardo DiCaprio "Inception" bedeutet aus dem Lateinischen übersetzt nicht nur einfach "Anfang", sondern in diesem Fall noch treffender auch "Unternehmen" oder "Unterfangen". "Inception", der neueste Film des britischen Regisseurs Christopher Nolan, der bereits so düstere wie mysteriöse Filme wie "Memento", "Insomnia - Schlaflos" und "The Dark Knight" gedreht hat, bezeichnet in der Tat ein waghalsiges Unterfangen in der besten Manier eines Heist-Movies wie "Ocean's Eleven" samt Fortsetzungen. Allerdings geht es in diesem rasanten Science-Fiction-Action-Film nicht bloß darum, in irgendein streng bewachtes Gebäude einzubrechen, vielmehr befindet sich der locus delicti im Unterbewusstsein der Opfer.

Dom Cobb alias Leonardo DiCaprio nimmt Aufträge aus dem Bereich der Wirtschafts- und Industriespionage an, in denen er das Opfer betäubt und sich gleich in deren Traum hinterherschickt, um im luziden Traumgeschehen seinem Gegenüber Informationen zu entlocken bzw. zu "extrahieren". Als im Unterbewusstsein agierender Wirtschaftsspion und Extractor ist er umgekehrt auch in der Lage, gänzlich neue Gedanken ins Unterbewusstsein seiner Zielperson einzupflanzen, um deren Denken und (ökonomisches) Handeln im Wachzustand entscheidend zu beeinflussen. In diesem Fall soll ein junger Firmenerbe nach dem Tod seines Vaters das Imperium zerstückeln, damit Cobbs Auftraggeber Saito, überzeugend gespielt von Ken Watanabe, seinen finanziellen Nutzen daraus ziehen kann.

Anders als bei der Hypnose ist es durch die Inceptions möglich, eine Person durch Gedankenimplantation im Traum dazu zu bringen, im Wachzustand etwas zu tun, was sie unter Hypnose gegen ihren Willen nie tun würde.

Das Besondere an "Inception" ist neben seiner atemberaubenden Handlung das hierarchisch angeordnete Traumebenen-Modell, wo die Protagonisten sich sogar im Traum noch mehrfach in einen weiteren Traum versetzen, um schließlich auf vier verschiedenen Traumebenen, die einander subordiniert sind, agieren und immer tiefer dringen zu können. In jeder weiteren Ebene vergeht die Zeit langsamer, dafür wird das Geschehen umso schwerer kalkulierbar, wenn sich schwerwiegende Ereignisse aus den übergeordneten Traumebenen, wie etwa der herbeigeführte Absturz eines LKW (um die Schwerkraft in den untergeordneten Traumebenen vorübergehend aufzuheben) oder ein Schuss in Saitos Brust, auf alle untergeordneten entsprechend auswirken.

Inception: Leonardo DiCaprio, Ellen Page Wie die junge Traumarchitektin mit dem mythischen Namen Ariadne (gespielt von Ellen Page) nach ihrer ersten Traumentsendung passend formuliert, ermöglicht "Inception" pure Kreativität. Wenn einem da bloß nicht das eigene Unterbewusstsein einen Strich durch die Rechnung macht, denn Cobb gibt sich die Schuld am Tod seiner Frau Mal, die Traum und Wirklichkeit im Zuge regelmäßiger Inceptions nicht mehr unterscheiden konnte und sich daraufhin das Leben nahm, in der Hoffnung, dadurch aufzuwachen und in die Realität zurückzugelangen. So taucht Mal immer wieder in den "Inceptions" als böswillige Manifestation von Cobbs Unterbewusstsein auf, um das Unternehmen zu sabotieren, da Cobb der (unbewussten) Überzeugung ist, dass Mal mit ihm in der vermeintlichen Realität des Traumes gemeinsam leben will.

Der eigentliche Sinn des Träumens, nämlich Erlebnisse zu verarbeiten und der Verdrängung als (psychosomatischer) Krankheit entgegenzuwirken, mag in diesem Film etwas untergehen, andererseits besteht die Möglichkeit, die Entwicklung des Helden vom seelischen Wrack zur voll zurechnungsfähigen Persönlichkeit ohne Schuldkomplex zu interpretieren.

Hierzu bedarf er der Hilfe von Ariadne, die sich ohne Cobbs Wissen in dessen Traum einklinkt und sich prompt in einem Fahrstuhl wiederfindet, der die einzelnen Etagen von Cobbs Erinnerungen abklappert. Im untersten Stockwerk ruhen wortwörtlich die Leichen im Keller, hier gelangt Ariadne zum Abend des Selbstmordes von Cobbs Frau. Cobb muss sozusagen den dunklen Abgrund seines Schuldkomplexes durchforsten, den Minotaurus töten und mithilfe von Ariadnes Faden den Weg in die Wirklichkeit zurückfinden.

Erwähnenswert ist an dieser Stelle auch DiCaprios Hauptrolle im Psychothriller "Shutter Island", dem jüngsten und direkt vor "Inception" veröffentlichten Film von Altmeister Martin Scorsese, wo DiCaprio als schuldbeladener paranoider US-Marshal Edward Daniels ebenfalls eine überzeugende Darstellung liefert. Daniels hat allerdings seine manisch-depressive Ehefrau, im Gegensatz zu Cobb, wirklich umgebracht, nachdem diese die drei gemeinsamen Kinder im See vor dem Haus ertränkt hatte. Da er die Schuld und den Tod seiner Kinder nicht ertragen kann, hat er sich eine halluzinogene "Traumrealität" geschaffen ohne zu wissen, dass er aufgrund seiner Tat selbst Insasse in der Nervenheilanstalt auf Shutter Island ist.

Während in "Vanilla Sky" (2001, von Cameron Crowe nach dem Original von 1997 "Abre los ojos" von Alejandro Amenábar) der Traumzustand lediglich eine lebensverlängernde Maßnahme und Teil eines Geschäftsvertrages ist, geht es in Inception um ein koordiniertes Traumgeschehen, das rein zweckgebunden ist. Dagegen besteht der Überraschungseffekt in "Identität" (2003, von James Mangold) darin, dass die gesamte Handlung und die agierenden Personen sämtlich im Kopf des schizophrenen Massenmörders vorkommen und es nur noch darum geht, ob die guten Identitäten oder aber die böse Persönlichkeit die Oberhand gewinnt.

Inception: Filmplakat Anders als bei typischen Heist-Movies, wo es darum geht, einen ausgeklügelten Coup mit einem exzellenten Team durchzuführen, beschränkt sich die oberflächliche Action in "Inception" auf ein Team, das die meiste Zeit über schlafend und träumend nebeneinander liegt. Die Handlung vollzieht sich innerhalb der Traum-Level, lediglich die Zusammenstellung des Kompetenzteams erfolgt in der Realität. Hierbei fällt auch die Assoziation mit Drogenfilmen wie "Trainspotting" auf, wo die Junkies hauptsächlich durch ihre gemeinsame Heroinsucht zusammengehalten werden. In "Inception" spritzen sich die Akteure eine Chemikalie (zum Kompetenzteam gehört auch ein Chemiker), die es ihnen ermöglicht, in den Traum und somit ins Unterbewusstsein ihres Opfers zu gelangen. Es wird thematisiert, dass man nach allzu vielen "Inceptions" nicht mehr träumen kann und in der Folge gezwungen wird, sich immer wieder künstlich in einen Traum versetzen lassen zu müssen, was ebenfalls der Drogenabhängigkeit entlehnt zu sein scheint. Traum und Wirklichkeit verwischen, die Traumdroge avanciert zur scheinbar einzigen Möglichkeit, um träumend "weiterzuleben".

Vier Oktavenstufen bietet der deutsche Starkomponist Hans Zimmer auf, die bereits allegorisch die entsprechenden Traumstufen erahnen lassen: Hier dringt man ins Innerste vor, zum Zurücklehnen bleibt da keine Zeit – die Musik antizipiert das nachfolgende Traumgeschehen in ebenso pompöser wie bedrohlicher Manier. Zimmer, mittlerweile als Filmmusikkomponist auf einer Stufe mit Max Steiner und John Williams, hat für Inception ein monumentales Soundtrack-Epos kreiert, das es dem Rezipienten schier unmöglich macht, sich dem Abtauchen in die Traumwelt zu entziehen.

Um sicherzustellen, dass der vielgereiste Traumtänzer bei sovielen Traumebenen und -erfahrungen nicht irgendwann mit Traum und Wirklichkeit durcheinander kommt, ist er im Besitz eines "Totems", dessen besonderes Merkmal nur er allein kennt und das ihm anzeigt, ob er gerade träumt oder nicht. Für Cobb ist es zu guter Letzt der Kreisel seiner Frau Mal, der sich im Traum immer weiter dreht, während er in der Wirklichkeit irgendwann zum Stillstand kommt. Der Regisseur macht sich einen Spaß daraus, den Film an der Stelle zu beenden, als der Kreisel noch nicht wieder aufgehört hat sich zu drehen, was in diesem Fall aber nicht als Gelegenheit zur Fortsetzung gesehen werden sollte, sondern eher als die ewige Frage, ob, und wenn ja, welche Welt, in der wir leben, denn überhaupt real ist.

Das Lied "Je ne regrette rien" von Edith Piaf, durch das die einzelnen Traum-Akteure über die Traumebenen hinaus per Kopfhörer vor Gefahren gewarnt und zur Rückkehr gerufen werden können, mag als kathartischer Appell anmuten, den komplizierten Traum ein für allemal auszuträumen, nichts mehr zu bereuen und somit ein "Me absolvo" zu empfangen, frei nach dem Motto: Im Traum liegt das Ziel.

So intelligent "Inception" auch erdacht und inszeniert ist, so sehr wirkt er gleichzeitig als postpostmoderne cineastische Warnung, doch besser zu den Wurzeln zurückzukehren, als weitere Filme dieses Formats abzudrehen, die dem Plot, durch den Traum als zusätzliche Erzählebene, bloß noch mit einem vermeintlich profunden Nimbus versehen wollen. Die einstmals postmoderne These vom Tod des Menschen und der Geschichte wird in diesem Film regelgerecht zur Schau gestellt. Jedoch muss man Nolan zugestehen, dass er innerhalb seiner filmischen Sujets doch die Variation liebt und sie ihm bis jetzt stets geglückt ist.  

Markus Malik / Wertung:  * * * * (4 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Warner Bros.

 
Filmdaten 
 
Inception (Inception) 
 
USA / GB 2010
Regie & Drehbuch: Christopher Nolan;
Darsteller: Leonardo DiCaprio (Dom Cobb), Ken Watanabe (Saito), Joseph Gordon-Levitt (Arthur), Marion Cotillard (Mal), Ellen Page (Ariadne), Tom Hardy (Eames), Cillian Murphy (Robert Fischer), Tom Berenger (Peter Browning), Michael Caine (Miles, Doms Vater), Dileep Rao (Yusuf), Pete Postlethwaite (Maurice Fischer), Lukas Haas (Nash) u.a.; Produktion: eine Syncopy Produktion; Produzenten: Emma Thomas, Christopher Nolan; Ausführende Produzenten: Chris Brigham, Thomas Tull; Kamera: Wally Pfister; Musik: Hans Zimmer; Länge: 148 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Warner Bros.; deutscher Kinostart: 29. Juli 2010



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Inception
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weitere Kritik zum Film
von Michael Dlugosch
Wertung: * * * (3/5)  


Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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