19.02.2013
Von Maschinen und Menschen

Computer Chess


Computer Chess Der einzige Weg den Charme einer überholten Technologie in all seiner Sperrigkeit und Kuriosität einzufangen führt über eine andere überholte Technologie. Und Andrew Bujalski ist kein Regisseur mit Hang zu Spezialeffekten. Eine 94-minütige Kette von ihnen ist das jüngste Werk des Mitbegründers des Mumblecore aus gewisser Sicht; der des gegenwärtigen Publikums. Nicht jedoch dessen von 1980 oder 81... Aber nehmen wir an 1980, denn das ist der Anfang der Dekade, an deren Ende der internationale Meister David Levy in der titelgebenden Disziplin besiegt wurde: "Computer Chess"

Dass darin Maschinen je einen Menschen schlagen können ist in der Handlungsära noch umstritten, aber Pat Henderson (Gerald Peary) sieht es kommen: "Vielleicht 1984, was nicht mehr allzu fern ist." Bis dahin genießt der Vorsitzende einer Computerschachkonvention seine Überlegenheit gegenüber der neuen Generation Programmierer und Programme. Letzte konkurrieren in einem Schachturnier, dessen maschinellem Gewinner die Ehre gebührt gegen Henderson anzutreten. Der Sieger des prä-digitalen Duells steht indes längst fest: der Computer. Nicht der Computer, dessen Entwickler am Ende eine Goldblechkrone aufgesetzt kriegt: dessen Endspiel wird abgebrochen. Grund dafür ist die Esoterik-Sex-Gruppe, die parallel im Hotel gastiert und das Spiel stört. Was Zufall sein könnte, aber mit unangenehmer Wahrscheinlichkeit nicht ist, denn, wie gesagt: der Computer ist der Sieger. Der Computer an sich, der heute die technifizierte Welt fest im Griff hält, der 1989 Levy besiegte und 1996 Garry Kasparov. Gegner des vielleicht besten Schachspielers aller Zeiten war Deep Blue von IBM.

Computer Chess Die waren Stanley Kubrick bereits 1968 suspekt, weshalb er an den Firmennamen den des Übercomputers in "2001: A Space Odyssey" anlehnte: HAL. Dessen Geist liegt über – oder schlimmer, steckt womöglich in – dem Computer, den Jungprogrammierer Peter (Patrick Riester) und die einzige Tagungsbesucherin Shelly (Robin Schwartz) überprüfen. Die Vereinigung in technischer Phraseologie ist so asexuell wie die quadratischen Röhrenbildschirme und klotzigen Plastikgehäuse, die von den Tüftlern herumgeschleppt werden, und zugleich der wohl intensivste Austausch, den es geben kann – zwischen Nerds. Das sind Peters Kollege (James Curry), Experimentalpsychologe Dr. Martin Beuscher (Wiley Wiggins) und die übrigen Gäste, in einer Ära, als Kurzarmhemd + Krawatte lässig war, Schnauzbärte lässig und Hornbrillen noch nicht Accessoire postmoderner Hollywood-Regisseure. Deren Ästhetik und die Bujalskis trennen Welten, genauer: Jahrzehnte. Die zwischen der Gegenwart und der Handlungszeit, mit deren Technologie die philosophisch-psychedelische Satire entstand.

"Film nicht in die Sonne! Dir werden die Röhren durchbrennen!", ruft jemand zum Kameramann mit der PortaPak. Solch ein antiquarisches Modell dokumentiert in körnigen Videobildern die absonderlichen Vorgänge beim Turnier, die verdächtigen Rundgänge des ewig nach einem Übernachtungszimmer suchenden Tagungsgast Michael Papageorge (Myles Paige) durch das Hotel. Dessen labyrinthische Gänge wirken immer klaustrophobischer wie jene im Overlook Hotel in "Shining". Wenn die zweite Kubrick-Assoziation mit dem Filmgenie über den 3x4-Format flimmert, jemand sinniert "Alles ist nicht alles. Es gibt mehr", im Abspann eine "mysteriöse Frau" auftaucht, der Turniermoderator vorsorglich den durch die Hotelperser irritierten Katzenallergikern versichert: "'Miau' wird nächstes Mal nicht vorkommen!" und in weißen Pixeln auf schwarzen steht: "Wo ist deine Seele?" ist klar, dass "Computer Chess" für Bujalski nicht "der potentielle Kassenerfolg, den ich mir verzweifelt einzufallen lassen versuche, um meine Rechnungen zu bezahlen" wird.

"Innovation kann ein steiniger Weg sein", wie es im einmal heißt, aber Maximen der kauzigen Figuren nicht der schlechteste: "Krieg ist Tod. Die Hölle ist Schmerz. Schach ist Sieg.“ Wohl wahr. Und am Ende gewinnt immer der Computer.  

Lida Bach / Wertung: * * * * * (5 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Computer Chess LLC

 
Filmdaten 
 
Computer Chess (Computer Chess) 
 
USA 2013
Regie & Drehbuch: Andrew Bujalski;
Darsteller: James Curry (Carbray), Chris Doubek (Dave), Robin Schwartz (Shelly), Myles Paige (Papageorge), Patrick Riester (Bishton) u.a.;
Produktion: Houston King, Computer Chess LLC, Alex Lipschultz; Kamera: Matthias Grunsky; Schnitt: Andrew Bujalski;

Länge: 94,59 Minuten; FSK: ohne Altersbeschränkung; Original mit deutschen Untertiteln; deutscher Kinostart: 7. November 2013;
ein Film im Forum der 63. Berlinale 2013



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der Film im Katalog der 63. Berlinale 2013
<19.02.2013>


Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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