April 2001

Wenn das Morgen zum Heute wird


2001: Odyssee im Weltraum


2001. Mit dem ersten Jahr des neuen Jahrtausends ereilt nun, nach 1984, auch die zweite große zukunftspessimistische Vision das Schicksal, mit den Tatsächlichkeiten des Jetzt verglichen zu werden. Doch Kubricks Vision ist mehr als nur ein Meilenstein des Science-Fiction-Genres. Und mehr als der von der Werbung suggerierte "ultimative Trip".


Ein über vier Millionen Jahre alter Monolith erregt das Interesse der Wissenschaft: Gibt es außer der menschlichen Rasse noch intelligentes Leben im All? Eine Expedition zum Jupiter, zu dem alle Spuren weisen, soll hierüber Gewissheit verschaffen. Zusammen mit der fünfköpfigen Astronauten-Crew befindet sich auch der HAL 9000 mit an Bord, ein Computer der neuesten Generation. Als dieser beginnt, ein Eigenleben zu entwickeln, gerät nicht nur das Leben der Besatzungsmitglieder in Gefahr: Sie stoßen an die Grenze des Wissbaren, werden mit ihrem eigenen Sündenfall konfrontiert.

2001 beginnt mit dem ersten Dämmern des Bewusstseins und endet mit der Wiedergeburt als Chance des Neubeginns im unschuldigen Zustand, ist somit in der Kunst von der Anlage, der Komplexität und der Grundaussage nur mit Wagners "Der Ring des Nibelungen" zu vergleichen. Ein Vorfahr des Menschen, noch mehr Affe, denn Humanoid, entdeckt während des Kampfes um eine Wasserstelle die Wirksamkeit der Waffe. Mit diesem ersten Gebrauch der Vernunft ist ihm der qualitativ entscheidende Schritt zur Menschwerdung gelungen, auf Kosten des unschuldigen Ur-Zustands. Mit dem berühmtesten Match-Cut der Filmgeschichte überspringt Kubrick vier Millionen Jahre der Menschheitsgeschichte: Aus dem Knochen, den der prähistorische Mensch als Waffe gebrauchte, ist ein Raumschiff geworden, doch an der moralischen Qualität hat sich nichts geändert. Beides, Knochen und Raumschiff, stellen lediglich unterschiedliche Manifestationen des Verstandes dar, die einzig dem Zweck dienen, die Natur zu beherrschen. Hat der bewaffnete Affe gewaltsam sein Territorium verteidigt und weiteres erobert, so bricht nun der Mensch der Neuzeit auf, sich neue Planeten zu unterwerfen. Mit der Hybris des überlegenen Verstandes vernichtet er alles, was ihm unterlegen scheint. Dieser erste Sündenfall, die verführerische Ahnung, dass Wissen Macht bedeutet, wiederholt sich nun in HAL, dem perfekten Elektronen-Gehirn, das sich seiner intellektuellen Überlegenheit gegenüber seinen Erbauern bewusst wird. Erneut revoltiert ein Geschöpf gegen die Schöpfung, gegen den Schöpfer. Für HAL verschwimmen die Grenzen von Verstand und Vernunft, da er seine schier unbegrenzte Fähigkeit zu logischen Schlussfolgerungen mit dem Urteils- und Erkenntnisvermögen verwechselt und dabei missachtet, dass seine Verstandes-Leistung lediglich auf dem Input seiner Programmierer beruht. Der Prozess des missbrauchten Intellekts lässt sich im Fall HAL nur durch Abschaltung lösen, was ein äußerst pessimistisches Menschenbild Kubricks offenbart. Die Wahl der Musik ("Also sprach Zarathustra" von Richard Strauss) beweist aber auch, dass er Nietzsches nihilistische Weltsicht teilt und das Sternenkind, mit dem der Film endet, zwar als neuen Anfang sieht, aber nur zu einem Anfang der ewigen Wiederkehr des Gleichen und gerade nicht als Chance, denn "Unschuld ist das Kind und Vergessen, ein Neubeginnen, ein Spiel, ein aus sich rollendes Rad" (Nietzsche). Bowman also, um in nietzscheanischer Terminologie zu bleiben, der mit seinem löwenhaften Nein zum Drachen der Pflicht - denn seine Pflicht wäre es gewesen, die Mission zu Ende zu führen - als ein Kind wiedergeboren werden konnte, setzt, der Dialektik des Nihilismus' zufolge, nur den ewiggleichen Prozess in Gang.

Nichts wirkt so alt wie die Zukunfts-Visionen von gestern. Davor sind natürlich auch die technischen Spielereien von 2001 nicht gefeit, die wie ein Katalog des damals Möglichen wirken. Manches erscheint allerdings aufgesetzt, wie der Lust entsprungen, alles, und wirklich alles, in einem Film zu vereinen. Kubricks Spiel mit der Weltraumästhetik - Schwerelosigkeit, Stille, Weite - geht manchmal über die Grenze des Zumutbaren hinaus. Auch die Strauß'schen Walzerklänge, die Vertrautheit mit der neuen Welt vermitteln sollen, und die psychodelische Endsequenz, die dramaturgisch den Schritt zum Unerklärlichen markiert, werden überstrapaziert. Doch es bereitet mehr Freude, in einem großen Film kleine Schwächen zu entdecken, als in einem kleinen Film große.

 
Stefan Strucken / Wertung: * * * * * (5 von 5)



Filmdaten

2001: Odyssee im Weltraum
(2001: A Space Odyssey)

Regie: Stanley Kubrick; Drehbuch: Arthur C. Clarke, Stanley Kubrick; Kamera: Geoffrey Answorth, John Alcott; Schnitt: Ray Lovejoy; Musik: Richard Strauss, György Ligeti, Aram Khachaturyan, Johann Strauß; Spezialeffekte: Jimmy Harris; Produzent: Stanley Kubrick; Darsteller: Keir Dullea (Dr. Dave Bowman), Gary Lockwood (Dr. Frank Poole), William Sylvester (Dr. Heywood R. Floyd), Leonard Rossiter (Dr. Andrei Smyslov) u.a.

USA/GB 1968; Länge: 149 Min.; FSK: ab 12 Jahren.




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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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