24.11.1999

Uhrwerk Orange

"Das hier bin ich: Alex und meine drei Droogs: Pete, Georgie und Dim. Wir hockten in der Korova Milchbar und wir überlegten uns, was wir mit diesem Tag anfangen sollten. In der Korova Milchbar konnte man Milch Plus kriegen. Milch mit Velocet. Das heizt einen an und ist genau das richtige, wenn man Bock auf ein paar Ultrabrutale hat."

Der da so lässig von Gewalt spricht, ist Alex, ein Londoner Teenager, in einer nahen Zukunft. Er hängt mit seinen Kumpeln in jener "Milchbar" rum, wenn er nicht gerade dabei ist, aus purer Lust zu töten und zu vergewaltigen. Jedes ethische Gefühl ist ihm fremd. Die größte Freude neben Mord und Nötigung bereitet ihm die Musik Ludwig van Beethovens, dessen Klänge ihm jedesmal einen "Schauer des Entzückens runterjagen".

Doch eines Tages wird Alex nach einem Verrat seiner Gang von der Polizei festgenommen und als unverbesserlicher Gewalttäter für 14 Jahre ins Gefängnis gesteckt. Als er hört, dass es eine neue Behandlung gibt, nach der man sofort freigelassen wird, meldet sich der raffinierte Alex freiwillig. Durch die Behandlung aber wird Alex zum willenlosen Wesen, das praktisch nicht mehr lebensfähig ist. Die erhoffte Freiheit wird zum Horrortrip.

Nach "Dr. Seltsam" und "2001" schuf Kubrick mit dieser Verfilmung des 1962 erschienenen gleichnamigen Romans von Anthony Burgess seinen dritten SF-Film. Im Gegensatz zu "2001" stellt er uns diesmal eine extrem düstere Zukunftsvision vor. Anstelle der großartigen Aufnahmen seiner Weltraumodyssee treten kalte und bizarre Bilder. Dabei mischt er verfallene Industrieanlagen mit dem Design der 70er und kreiert so unwirkliche, an Alpträume erinnernde Landschaften, vor der seine Protagonisten ebenso verstörend agieren. Dazu gehört auch der Gegensatz von Alex' Brutalität und seiner fast höfischen Sprache, die mit einem jugendlichen Kauderwelsch, dem "Nadsat", durchzogen ist. Doch außer einer neuen "Jugendsprache" schuf Kubrick auch erstmals Kampfszenen in Zeitlupe. Eine Idee, die erst viele Jahre später wieder von Michael Mann aufgegriffen wurde und heute zum "guten Ton" des Actionkinos gehört.

Lediglich die übertriebene Phallussymbolik und Thematisierung der Sexualität hecheln arg dem Zeitgeist hinterher und wirken ziemlich plump. Besonders bedauerlich ist allerdings, dass die innovative Bildsprache in der zweiten Hälfte des Films abbricht, wodurch viel von der Science-Fiction-Atmosphäre verloren geht und man sich nur noch im England der frühen 70er befindet. Wichtiger noch als die Filmsprache ist aber die Deutung des Werkes. Die Reaktionen auf diesen Film waren 1971 sehr geteilt. Die Kritiker bewerteten ihn teils als "brutal und nichtssagend", teils als "bitterböse Satire auf die Entmenschlichung unserer Gesellschaft".

Tatsächlich stößt einem der Film unangenehm auf. Zum einen ist da Kubricks Überästhetisierung der Brutalität, die dieser das Rauhe und Unangenehme nimmt und sie zu einem Ballett verharmlost. Zum anderen muss man es schon als Zumutung empfinden, wenn der Zuschauer hier genötigt wird, mit Alex auch noch Mitleid haben zu müssen. Nur er leidet und ist ein Opfer der grausamen Justiz, die ihm seinen freien Willen nimmt. Der Arme kann womöglich nie wieder morden. Bei soviel Leid können die Schmerzen seiner Opfer natürlich nicht mehr ins Gewicht fallen.

Besonders fragwürdig erscheint einem der Plot, wenn einem die Parallelen zwischen den Lebensläufen von Alex und Jesus bewußt werden: Zu Beginn hat Alex ein paar Jünger um sich versammelt. Statt zu heilen und zu trösten mordet und vergewaltigt er. Schließlich wird er von seinen Jüngern verraten. Er wird von der Staatsmacht festgenommen und gedemütigt. Man setzt ihm die Dornenkrone (die Hirnmanipulationsmaschine) auf. Als er wieder freikommt, wird er beschimpft und getreten und muß getreu der Bibellehre immer auch noch die andere Wange hinhalten, bis er schließlich "stirbt" bzw. sterben will. Am Ende erlebt er seine Auferstehung, als sein Hirn wieder in den Urzustand zurückversetzt wird.

Ist Kubricks Film also ein satanischer Gegenentwurf zur christlichen Heilslehre? Man könnte es fast meinen und es entspräche auch dem Zeitgeist der 70er. Doch es wiederspräche Kubricks übrigem Werk, das durchaus provoziert, aber eigentlich nicht dem Bösen huldigt. Zwar verdammt er Humbert Humbert in "Lolita" nicht, aber er ruft bestimmt nicht auf, es ihm gleich zu tun. Und so gewährt er Alex die "Erlösung", aber er sagt nirgends, dass Alex sie verdient. Es sind die Presse und die Regierung in Form des Innenministers Fritz (das Synonym für Nazis schlechthin), die ihm den freien Willen zurückgeben, und so tun, als sei Alex wieder ein friedvolles Mitglied der Gesellschaft.

Somit darf man dann wohl den Film letzten Endes als eine Kritik an der Verlogenheit der Gesellschaft verstehen, die sich zwar über Verbrechen aufregt, aber in ihrer letzten Konsequenz dann doch wieder den Täter bewundert und die Opfer verrät. So erweist sich "A Clockwork Orange" als die düstere Zukunftsvision unserer eigenen Gegenwart. Dadurch ist er trotz einiger Schwächen immer noch ein relevanter Film, der es lohnt gesehen zu werden.  

Lutz Berth / Wertung: * * * (3 von 5)



Filmdaten

Uhrwerk Orange
(A Clockwork Orange)

GB / USA 1971
Regie: Stanley Kubrick; Drehbuch: Stanley Kubrick nach dem gleichnamigen Roman von Anthony Burgess; Produktion: Stanley Kubrick; Ausführende Produktion: Si Litvinoff, Max L. Raab; Kamera: John Alcott;
Darsteller: Malcolm McDowell (Alex De Large), Patrick Magee (Mr. Alexander), Warren Clarke (Dim), John Clive (Bühnenschauspieler), Adrienne Corri (Mrs. Alexander), Carl Duering (Dr. Brodsky), Anthony Sharp (Fritz), Philip Stone (Vater), Miriam Karlin, Michael Bates u.a.

Länge: 136 Minuten; FSK: ab 16 Jahren; westdeutscher Kinostart: 23. März 1972



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