13.09.2016
Toni Erdmann
![]() Maren Ade schaffte es, ihre drei bisherigen Spielfilme in hochklassigen Filmfesten unterzubringen: "Der Wald vor lauter Bäumen" beim Sundance-Festival 2005 (Special Jury Award), "Alle Anderen" bei der Berlinale 2009 (Großer Preis der Jury), nun "Toni Erdmann" in Cannes 2016. Dessen Jury war der Film wohl zu lustig, er ging leer aus, abgesehen vom Fipresci-Preis, der Auszeichnung der Internationalen Filmkritik.
Winfried besucht Ines für ein Wochenende in Bukarest. Aus dem Wochenende wird mehr. Was Ines zunächst nicht weiß – und erst recht nicht will. Denn ihr Vater passt nicht in ihre Welt. Was ihn nicht dran hindert, in diese einzudringen. Als sein Alter Ego Toni Erdmann. Mit Perücke und falschen Zähnen. Als Coach. Was nun folgt, sind herrliche Sequenzen. Regisseurin Maren Ade übertreibt im Humor nie, er ist wohldosiert, und doch lacht der Zuschauer, wenn er sich auf diesen sehr speziellen Humor einlässt. Winfrieds Intention, warum er Ines' Leben auf den Kopf stellt, wird nie explizit geäußert, aber sie ist evident: Der sozial eingestellte Mann ist entsetzt, wie seine Tochter in seinen Augen sich gerade selbst verbrennt – er konterkariert ihre Welt durch sein Benehmen. Einmal, bei dem Besuch einer Baustelle, soll ein Arbeiter gefeuert werden. Ines hält ihren Vater beim Intervenieren zurück mit den Worten: "Dann muss ich einen weniger entlassen." Viele Filme der letzten Jahre beschäftigten sich bereits mit den Personen der Hochfinanz. Sei es Christoph Hochhäuslers "Unter Dir die Stadt" (auch mit Sandra Hüller). Sei es Johannes Nabers "Zeit der Kannibalen", wobei Ines an die weibliche Figur aus dem Film erinnert, dargestellt von Katharina Schüttler. In "Toni Erdmann" ist die kapitalistische Welt besonders drastisch, hier noch ergänzt durch die Einnahme von Kokain. Was Winfried veranlasst, seine Tochter kurz darauf mit Handschellen zu "verhaften". Doch ihm fehlen die Schlüssel, um sie beide wieder zu befreien...
Maren Ade hat laut Pressematerial Frauen aus dem Hochkapital gesprochen. Diese Szene ist wirklich so, so heftig, wie die Autorenfilmerin sie darstellt, so sehr daran interessiert ist diese Szene, der Welt den Kapitalismus zu bringen (Zitat aus "Zeit der Kannibalen"), was gleichzeitig bedeutet, dass Menschen auf der Strecke bleiben, die nicht mithalten können. Winfried alias Toni hält mit. Auf seine ihm eigene Weise. Zur Freude des Publikums, das gerne die zweieinhalb Stunden Zeit in den Film investieren darf. Michael Dlugosch /
Wertung: * * * * *
(5 von 5)
Quelle der Fotos: Komplizen Film Filmdaten Toni Erdmann Deutschland/Österreich/Rumänien 2016 Regie & Drehbuch: Maren Ade; Darsteller: Peter Simonischek (Winfried / Toni), Sandra Hüller (Ines), Michael Wittenborn (Henneberg), Thomas Loibl (Gerald), Trystan Pütter (Tim), Hadewych Minis (Tatjana), Lucy Russell (Steph), Ingrid Bisu (Anca), Irene Rindje (Bärbel), Vlad Ivanov (Iliescu) u.a.; Produzenten: Janine Jackowski, Jonas Dornbach, Maren Ade, Michel Merkt; Kamera: Patrick Orth; Schnitt: Heike Parplies; Länge: 162,18 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih der NFP marketing & distribution GmbH; deutscher Kinostart: 14. Juli 2016
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