10.09.2011

Ein Meisterstück des Horrorfilms aus Australien

The Loved Ones

"Eine wie keine" trifft "Carrie": Dieser Vergleich hinkt nicht einmal, wobei der Titel "The Loved Ones" eher auf pure Romantik schließen lässt. Doch hier belehrt einen dieses Meisterstück des Horrorfilms eines Besseren und hebt sich von dem vergleichbaren risikoarmen "Prom Night" durch kompromisslose Eigenständigkeit ab.

Regisseur Sean Byrne hat hier mit seinem Erstlingswerk ganze Arbeit geleistet und die Branche aufhorchen lassen. Allein der parodistisch anmutende Beginn, bei dem fast kein pubertäres Klischee ausgelassen wird, sollte im Gesamtzusammenhang des Films große Beachtung verdienen. Der Film beginnt, so wie man es gewohnt ist, von einem Abschlussball zu handeln – um sich dann um 180 Grad zu drehen.

Der Protagonist Brent (Xavier Samuel) ist ein Teenager im zotteligen Grunge-Look mit Metallica-Shirt und lebt mit seiner allein erziehenden Mutter zusammen. Seine klassische Backstory-Wound ist der Tod seines Vaters, den er bei einem Autounfall verloren hat. Dass er dabei den Wagen gefahren hat und seiner Mutter vorwurfsvolle Blicke unterstellt, erleichtert seinen inneren Konflikt nicht wirklich. Drogen, Alkohol und Sex dagegen schon. Besagten Geschlechtsverkehr vollzieht der Hauptdarsteller mit seiner Freundin, seiner Mitschülerin Holly (Victoria Thaine), gerne mal klischeehaft im Auto. Problematisch wird die Storyline, als das typische, fade Highschool-Mauerblümchen Lola (Robin McLeavy) um die Gunst des Protagonisten mitmischen will. Als sie all ihren Mut zusammennimmt und Brent fragt, ob dieser sich nicht vorstellen könnte, sie zum Abschlussball zu begleiten, verneint dieser dankend. Wenig später wacht er an einen Stuhl gefesselt in ihrem Zuhause weit draußen auf dem Land auf.

Die Haupthandlung läuft größtenteils im Haus ab. Der sich schon auf sicherem Terrain wähnende Zuschauer, der schon lange zu begriffen haben scheint, wie sich der Film entwickelt, wird nun von einer makabren Situation in die nächste gesteigerte Form des Fremdschämens gebracht. Denn die meisterlich gespielte Figur der Lola stellt sich recht schnell als der Inbegriff des Bösen heraus. Dem Zuschauer wird schnell klar, in was für eine perverse Familie er hineingeraten ist und kann sich so noch besser in die Überraschung des Protagonisten einfühlen. Dieser muss nun eine Vielzahl von Demütigungen und Folterungen über sich ergehen lassen, bei denen selbst Jack Bauer ("24") mit den Ohren schlackern würde.

Nebenbei wird er auch Zeuge der unglaublichen Perversion der Familie als Gesamtkunstwerk, denn auch Lolas Vater und Mutter wohnen mehr oder weniger unterstützend der Selbstverwirklichung ihres Sprösslings bei. Immer mehr kristallisieren sich die bizarren Ausmaße des Wirkungsgrades irrationaler Handlungen heraus und setzen sich zu einem zwar überaus gestörten, aber homogenen und nachvollziehbaren Ganzen zusammen. Die Mutter sitzt nur vor sich hin vegetierend am Tisch, zeigt Spuren von Misshandlungen und wird von Lola permanent gedemütigt. Des Weiteren entwickelt sich im Laufe der Folter mehr als nur eine Vater-Tochter-Beziehung zwischen dem Folternachwuchs und ihrem Vater (John Brumpton), was dem Zuschauer weitere Schauer über den Rücken treibt. Eine Anwendung der Psychoanalyse Freuds ist hierbei unausweichlich, obwohl Lola ihren ödipalen Komplex mit recht unkonventionellen Mitteln und alles andere als unterbewusst zu überwinden versucht.

Die Allegorie auf den Abschlussball wird komplett, wenn als Nebenhandlung immer wieder der unattraktive, aber dafür dauergeile Kumpel von Brent ins Geschehen eingreift. Als Gegenstück zur Prom Night in Lolas Heim versucht er auf dem zur gleichen Zeit wirklich stattfindenden Abschlussball krampfhaft und stereotyp unbeholfen, die ohnehin schon leicht bekleidete Schulschlampe vollends zu entkleiden. Auch dieses Sujet trägt wesentlich zum parodistischen Charakter der Handlung bei und lockert die Geschehnisse im Haus erfreulicherweise immer wieder auf. Das ist auch nötig, um dem Zuschauer hin und wieder eine Verschnaufpause zu gönnen.

Die Stärke des Films ist, dass er immer wieder noch eine Steigerung oder Wendung parat hat, die auch der filmerfahrene Zuschauer nicht vermutet hätte. Als der Protagonist bei einem Fluchtversuch in ein Kellergewölbe geschmissen wird, wird deutlich, wie lange Lola schon ihr Unwesen treibt. Es stellt sich heraus, dass sie alle ihre Abschlussballopfer im Keller gefangen hält und durch eine eigens entwickelte Methode in zombieartige Kannibalen verwandelt hat. Was sich hier als eine Spur zu abgedreht liest, wird im Film aber nach dem ersten Schockeffekt nicht überstrapaziert und bleibt als Randnotiz und weiteres Puzzleteil von unfassbarem Sadismus zurück.

"The Loved Ones" spielt mit den Erwartungen des Zuschauers und tut sich dadurch schwer, die Anerkennung zu bekommen, die er verdient. Wer sich einen Mainstream-Popcorn-Teenie-Thriller à la "Scream – Schrei" erwartet, wird enttäuscht werden. Der Film schürt anfangs auch ganz bewusst diese Erwartungen des Zuschauers an einen typischen Highschool-Film, in dem er die Problematik der Dreiecksbeziehung stereotyp andeutet und so noch deutlicher den nachfolgenden Bruch aufzeigt. Wer dagegen einen knallharten Film ohne Tabus sehen will, wird wahrscheinlich eher an dem Film vorbeigehen. Zu groß wird die Angst sein, seine Zeit mit dem fünfhundertsten 08/15-Teenie-Slasher zu vergeuden. Doch genau das ist "The Loved Ones" eben nicht, obwohl er sich in Hochglanz-Ästhetik präsentiert. Der Film ist eine wahre Perle des Genres, auch deswegen, weil er falsch eingeschätzt und somit schnell übergangen werden kann.

Am Ende bleibt ein überaus empfehlenswerter Film, der auf parodistische Art und Weise das Thema des Abschlussballs auf die Schippe nimmt, dabei aber nicht den humoristischen, sondern den Weg ins Horror-Genre geht. Der Film löst Ekel aus, der sich jedoch weniger auf die Blutszenen, als vielmehr auf die Antagonistin bezieht. Manchmal wird an die Grenzen des guten Geschmacks herangegangen ohne sie allzu konstant zu überschreiten, was den Rezipienten oftmals mit Entsetzen und Sprachlosigkeit zurücklässt. Der Reiz des Films besteht in der Verknüpfung von Horrorelementen im Setting der "heilen Welt" des Abschlussballs. Wenn Lola in ihrer mit Discokugellicht gefluteten Küche den an den Stuhl gefesselten, aus allen Löchern blutenden, mit Partyhütchen bekleideten Brent dazu zwingt, fröhlich in sein im Mund steckendes Pfeifchen zu tröten, ist die surreale Erscheinung des Films komplett und eine ausdrückliche Empfehlung für "The Loved Ones" sichergestellt. Anschauen!  

Daniel Forstner / Wertung: * * * * * (5 von 5)



Filmdaten

The Loved Ones
(The Loved Ones)

Alternativtitel: The Loved Ones - Pretty in Blood (deutscher DVD-Titel)
Australien 2009
Regie & Drehbuch: Sean Byrne;
Darsteller: Xavier Samuel (Brent), Robin McLeavy (Lola), Victoria Thaine (Holly), Jessica McNamee (Mia), Richard Wilson (Jamie), John Brumpton (Daddy), Andrew S. Gilbert (Paul), Suzi Dougherty (Carla), Victoria Eagger (Judith) u.a.;
Produzenten: Michael Boughen, Mark Lazarus; Ausführende Produzenten: Christopher Mapp, Bryce Menzies, Matthew Street, David Whealy; Kamera: Simon Chapman; Musik: Ollie Olsen; Schnitt: Andy Canny;

Länge: 84 Minuten; der Film lief im August 2010 auf dem Fantasy Filmfest

Auszeichnungen:
zwei Preise für Sean Byrne auf dem Toronto International Film Festival 2009 und dem Gérardmer Film Festival 2011



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