10.06.2015

Japanischer Film über die Auswirkungen der Fukushima-Katastrophe

The Land of Hope

Die fiktive japanische Präfektur Nagashima präsentiert sich als ländliche Gegend: Die erste Kameraeinstellung zeigt grüne Wiesen, klar gegliederte Ackerparzellen und Wohnhäuser unter riesenhaften Stromtrassen. Im Kernkraftwerk der Präfektur, wo der Atomstrom erzeugt wird, kommt es bedingt durch ein Seebeben zur Havarie. "The Land of Hope" thematisiert das Fukushima-Desaster, auf das die Figuren im Film mehrfach ausdrücklich Bezug nehmen, verweist aber zugleich auf vorherige nukleare Katastrophen. So dürfte der Name der Präfektur Nagashima auch für ein westliches Publikum leicht als Anspielung auf Nagasaki und Hiroshima zu erkennen sein.

In einem Radius von zwanzig Kilometern um das Kraftwerk sollen alle Einwohner evakuiert werden – ein frisch gespanntes Absperrband trennt die Familie Ono von ihren Nachbarn. Polizei und Militär marschieren auf; die Nachbarn werden evakuiert, weil ihr Haus sich in der Gefahrenzone befindet, die Onos nicht, denn Haus und Stall der Milchbauern befinden sich gerade eben außerhalb der Evakuierungszone. "Ihr seid sicher", bescheiden Beamte in Strahlenschutzanzügen der Familie. Den Versuch, Sicherheit zu quantifizieren, fängt Drehbuchautor und Regisseur Sion Sono in einer Absurdität ein, wie sie treffender kaum sein könnte. Es ist nicht das Spektakel eines Katastrophenfilms, das Sono interessiert – das auslösende Beben reduziert er auf das Bild eines zitternden Esstischs, gefolgt von einer Schwarzblende –, vielmehr erzählt er vom Leben der Menschen nach der Katastrophe. Yasuhiko Ono entscheidet sich, seinen Hof nicht zu verlassen, will das geordnete Leben, das er gemeinsam mit seiner Frau Chieko führt, nicht verändern. Damit erinnern die beiden auf den ersten Blick an das alte Paar aus dem Zeichentrickklassiker "Wenn der Wind weht", aber wenn Yasuhiko und Chieko an ihren Gewohnheiten festhalten, ist das nicht der Naivität geschuldet. Der Altbauer, ein Dickschädel, misstraut den Behörden und kramt den Geigerzähler hervor, den er sich zu Tschernobyl-Zeiten zugelegt hat. Jedoch wollen die Kühe versorgt werden, mit der Routine bricht er ohnehin nur ungern, und nicht zuletzt bleibt er seiner Frau zuliebe, die an beginnender Demenz leidet: Für Chieko bedeutet die vertraute Umgebung Sicherheit.

Die jüngere Generation schickt Vater Ono fort. Sein Sohn Yoichi und dessen Frau Izumi beginnen in einer anderen Stadt ein neues Leben. Die staatlich definierte Gefahrenzone ist lokal begrenzt, die psychosozialen Auswirkungen der Krise sind es nicht. Angst um ihr ungeborenes Kind treibt die schwangere Izumi um. Begleitet von beschwichtigenden TV-Statements, dichtet sie die Wohnung ab, wagt sich schließlich nur noch im Schutzanzug auf die Straße. Während Yoichis Arbeitskollegen rasch zur Normalität zurückkehren, die Gefahr bald verdrängt haben, wird Izumi ihres Schutzanzugs wegen als Astronauten-Frau verlacht. Die Radioaktivität, stellt sie fest, ist überall. Zu diesen Szenen einen Kontrapunkt zu setzen, versäumt der Film. Wünschenswert gewesen wäre eine Stimme, die über natürliche Radioaktivität aufklärt.

Die Nachbarn der Onos sind in einer Notunterkunft einquartiert. Sohn Mitsuru macht sich mit seiner Freundin Yoko auf, die Eltern der jungen Frau zu suchen, von denen jede Nachricht fehlt. Sie umgehen Polizeiblockaden, werden dadurch zu Kriminellen und ziehen im Sperrgebiet umher. Von der verlorenen Heimat ist die Rede, und mit seinen Trennungsszenen gibt sich der Film bisweilen hemmungslos sentimental. Manches Mal wendet Sono das Geschehen, lässt er die Stimmung ins Absurde kippen. Ein Blumenbeet, das Chieko am Herzen liegt, hat über die Katastrophe hinaus Bestand, doch am Rande der verbotenen Zone, in nahezu menschenleerer Umgebung erscheinen die prächtig blühenden Blumen mit ihren leuchtenden Farben schlussendlich grotesk. Ein Teil der Bilder, auf die Sono zurückgreift, sind der Science Fiction entlehnt. Menschen, die in Strahlenschutzanzügen an Außerirdische erinnern. Postapokalyptisch leere Straßen. Die Trümmerlandschaft, die der Tsunami zurückgelassen hat, ein umgestoßenes Haus. Hier gelingen einem kleinen Film große Bilder, entwickelt "The Land of Hope" immense Wucht. Die Unbeschwertheit, mit der Sono zwischen Melodram, schwarzer Komödie, lyrischen Momenten und weicher Science Fiction wechselt, kann der Zuschauer als Störfaktor empfinden - oder als zentrale Stärke des Films wahrnehmen. Eine vergleichbare deutsche Produktion wäre, so darf man mutmaßen, ungleich nüchterner ausgefallen.

Wenig überzeugend eine kurze Passage zu Beginn des Films, ein paar Minuten, in denen der Regisseur eine allzu pittoreske Pastorale zeichnet. Yoichi, der ausgelassen umhertollt, mit seiner Izumi herumalbert. Die Arbeit ist hart. Die Menschen sind glücklich. Jeder kennt jeden, und im örtlichen Schnapsladen richtet man sich Geburtstagsgrüße aus. Ganz anders die letzten Minuten des Films. Yoichi begreift, dass Unwissenheit ein Segen sein kann, lernt zu lügen und eignet sich damit die Position der zu recht kritisierten Behörden an. Seinen Eltern droht, als die Gefahrenzone ausgeweitet wird, die Zwangsevakuierung – die Folgen sind fatal. Der Filmtitel verspricht Hoffnung, allerdings dürfte dabei eine gehörige Portion galliger Humor mitschwingen. Zwar gönnt Sono seinen Protagonisten den ein oder anderen Hoffnungsschimmer, aber insbesondere was die ältere Generation anbelangt, fällt sein Resümee vernichtend aus. Der Film, den er geschaffen hat, wirft, schwankend zwischen verhaltenem Optimismus und Pessimismus, einen ambivalenten Blick auf die Zukunft.  

Marcus Gebelein / Wertung: * * * * (4 von 5)



Filmdaten

The Land of Hope
(Kibô no kuni)

Japan / Taiwan / GB / Deutschland 2012
Regie & Drehbuch: Sion Sono;
Darsteller: Isao Natsuyagi (Yasuhiko ono), Naoko Ohtani (Chieko ono), Jun Murakami (Yoichi ono), Megumi Kagurazaka (Izumi ono), Hikari Kajiwara (Yoko), Yutaka Shimizu (Mitsuru suzuki) u.a.;
Produktion: Mizue Kunizane, Yuji Sadai, Yûko Shiomaki; Kamera: Shigenori Miki; Schnitt: Jun'ichi Itô;

Länge: 133 Minuten



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