07.01.2016
Mensch oder Maschine?

The Imitation Game
- Ein streng geheimes Leben


"Wenn Sie auch nur ein Wort darüber verlieren, was sie hier wirklich tun, werden Sie wegen Hochverrats hingerichtet", lässt Geheimagent Menzies die beiden Job-Aspiranten wissen. "Und was ist es, was wir wirklich tun?" erkundigt sich Neuankömmling Joan schüchtern. "Oh – wir entschlüsseln einen nicht entschlüsselbaren Nazi-Code und gewinnen den Krieg", erklärt Mathematiker Alan Turing gespielt lapidar. Das Knacken der Einstellungen der deutschen Enigma-Maschine steht im Zentrum der Handlung von "The Imitation Game". Von den Deutschen während des Zweiten Weltkriegs zur Kodierung der gesamten Militärkommunikation genutzt, lieferte die Dekodierung durch die Briten den Alliierten Informationen, die den Krieg um geschätzte zwei Jahre verkürzten. "The Imitation Game" entfernt sich jedoch deutlich vom historischen Geschehen und darf nicht als Biopic missverstanden werden: Es ist ein ergreifendes Drama um die tiefe Einsamkeit eines Außenseiters, der durch sein Anderssein Geniales für eine Gesellschaft leistet, die ihn schließlich in den Selbstmord treibt.

Drei Zeitebenen werden in "The Imitation Game" miteinander verknüpft: 1927, 1939 und 1951. Die Handlung setzt 1939 ein, als sich Alan Turing (Benedict Cumberbatch) im Zug auf den Weg zu einem Vorstellungsgespräch macht – um das britische Militär und den britischen Geheimdienst beim Entschlüsseln der Enigma-Maschine zu unterstützen. Schon in den ersten fünf Minuten des Films klingen einige wesentliche Themen an, die den konstitutiven Rahmen der Handlung bilden: Am Bahnsteig werden Zeitungen verteilt, deren Schlagzeilen vom tobenden Krieg künden. Turing bahnt sich seinen Weg durch die unruhige Menge, alleinreisend, eine isolierte, aufrechte Gestalt. Im Zug fällt sein Blick durch die offene Tür eines Abteils: Zwischen zwei raufenden Jungen sitzt still und hochkonzentriert ein Dritter, versunken in einige Formeln, die er in ein Heft kritzelt. Turing hält einen kurzen Moment inne, bevor er weitergeht.

So wird der Zuschauer bereits auf die Einsamkeit der Hauptfigur eingestimmt, bevor verschiedene Rückblenden ins Jahr 1927 führen. Dort ist der Internatsschüler Alan Turing, der nahezu zwanghaft mit der Gabel auf seinem Teller Erbsen von Möhren trennt, leichte Beute für gewaltsame Attacken seiner Mitschüler, die ihre Befriedigung daraus ziehen, den Andersartigen zu quälen. Einziger Lichtblick ist sein Freund Christopher, der die Isolation Alans versteht und seinem regen Intellekt Nahrung gibt – in Form von Lektüre über Kryptographie. Atmosphärisch dicht und perfekt gefilmt, vermitteln jene Szenen, in denen die beiden Schuljungen über Blicke, Gesten und verschlüsselte Botschaften kommunizieren, sehr eindringlich jene besondere Intensität und Nähe, die entsteht, wenn zwei Außenseiter einander gefunden haben.

Konsequenterweise ist es auch eine Außenseiterin, die Turing später in sein Team holt. Joan Clarke (Keira Knightley) verkörpert eine Frau, die durch Intelligenz, die Tatsache, dass sie unverheiratet ist, und den Wunsch, an einer bedeutenden Sache zu arbeiten, gegen etliche Konventionen ihrer Zeit verstößt. Mit ihrem Einfühlungsvermögen bahnt sie Turing den Weg zu seinen restlichen Mitarbeitern, die mit dem spröden, sozial unbeholfenen Genie so ihre Probleme haben. Denn Turing ist ein Besessener mit autistischen Zügen. Was ihn antreibt, ist der unbedingte Wille, eine Maschine zu konstruieren, die in der Lage ist, die Enigma-Maschine der Deutschen zu überlisten. Dabei findet der Kampf an verschiedenen Fronten statt. Zum einen sind die britischen Militärs keineswegs überzeugt von Turings Vorhaben. Auch seine Mitarbeiter zweifeln, halten den Bau der Maschine für Zeitverschwendung. Denn die Zeit ist knapp und der größte Gegner in diesem Kampf: Da die Deutschen die Einstellungen der Enigma immer um Mitternacht ändern und der erste Funkspruch für gewöhnlich um 6 Uhr früh abgefangen wird, bleiben nur 18 Stunden pro Tag, um aus den 159 Trillionen Möglichkeiten die eine herauszufiltern, nach der die Codierung des Tages erfolgt. Und selbst nachdem Enigma geknackt ist, lässt die Spannung nicht nach. Denn nun gilt es, die Tatsache gekonnt zu verschleiern, dass Großbritannien von nun an die Funksprüche der Nazis mitliest.

"The Imitation Game" ist, völlig ironiefrei, großes Kino. Benedict Cumberbatch gelingt es meisterhaft, den vielen Facetten des missverstandenen Genies Ausdruck zu verleihen. Er ist verletzlich und überheblich, unbeugsam, aber nicht unzugänglich, unpolitisch, aber über die Maßen engagiert, unbegabt, soziale Rollen zu spielen, aber nicht unfähig, sich in andere einzufühlen. Auch alle weiteren Schauspieler neben Cumberbatch und Kneightley – etwa Turings Mitstreiter Hugh Alexander (Matthew Goode) oder Commander Alastair Denniston (Charles Dance) – überzeugen auf ganzer Linie. Die hervorragende Dramaturgie, subtile Lichtregie und die der Situation bis in kleinste Details angepasste Kameraeinstellungen sowie die exzellente Ausstattung tun ihr Übriges.

Zu dem wenigen, was man gegen den Film sagen kann, gehört die Einbindung der dritten Zeitebene, die im Jahr 1951 die Verhaftung Turings aufgrund seiner Homosexualität thematisiert. Diese fügt sich nicht harmonisch in die restliche Erzählung ein. Zu konstruiert wirkt die Rahmenhandlung, innerhalb derer Turing dem Polizisten, der ihn verhört, über seine geheimen Aktivitäten während des Zweiten Weltkriegs berichtet. Auch in sich wirkt der Handlungsstrang nicht stimmig. Turings Leben als Schwuler wird stets nur verbalisiert, aber nicht gezeigt, es wirkt, als wäre die Regie unschlüssig gewesen, inwieweit dieser Aspekt seines Lebens nun eingebunden werden sollte oder nicht.

Gänzlich weglassen kann man ihn nicht, zumal die "chemische Kastration", zu der Turing infolge der Anschuldigungen genötigt wurde, schließlich maßgeblich für seine Depression und seinen Selbstmord gewesen sein dürfte. Um eine Motivation für seine abgrundtiefe Verzweiflung zu liefern, hätte der Konflikt zwischen sozialem Umfeld und eigener, sexueller Identität jedoch weit stärker ins Zentrum gerückt werden müssen. Nichtsdestoweniger ist "The Imitation Game" ein beeindruckender Film über einen der Welt abhanden Gekommenen, der an größter Intoleranz zerbricht. Und die Gesellschaft, die so dringend der Begabung dieses Außenseiters bedurfte, ist der Grund dafür.  

Jasmin Drescher / Wertung: * * * * (4 von 5) 
 

 

 
Filmdaten 
 
The Imitation Game - Ein streng geheimes Leben (The Imitation Game) 
 
USA/GB 2014
Regie: Morten Tyldum;
Darsteller: Benedict Cumberbatch (Alan Turing), Keira Knightley (Joan Clarke), Matthew Goode (Hugh Alexander), Rory Kinnear (Detective Robert Nock), Allen Leech (John Cairncross), Matthew Beard (Peter Hilton), Charles Dance (Commander Denniston), Mark Strong (Stewart Menzies), James Northcote (Jack Good), Tuppence Middleton (Helen) u.a.;
Drehbuch: Graham Moore; Produzenten: Nora Grossman, Ido Ostrowsky, Teddy Schwarzman; Kamera: Oscar Faura; Musik: Alexandre Desplat; Schnitt: William Goldenberg;

Länge: 114,17 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von SquareOne (DCM); deutscher Kinostart: 22. Januar 2015



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Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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