22.02.2013
Terra de ninguém
"Was glauben Sie machen wir hier?" Es scheint, Salomé Lamas kennt selbst nicht die Antwort auf die Frage an ihren undurchsichtigen Protagonisten. Er ist der eigentliche Regisseur und Autor des unentwirrbar verwobenen Zeit- und Charakterdokuments der portugiesischen Filmemacherin. Sie eröffnet ihren cineastischen Monolog mit einer Fragestellung, die in nahezu jedem anderen Kontext für Rhetorik gelten würde. In Lamas filmischen Rapport ist sie ein versteckter Wegweiser auf die Unzuverlässigkeit des einsamen Erzählers im faktischen "No Man's Land".
Das vom Titel evozierte Niemandsland ist die vielfache Grauzone, in die sich die Regisseurin mit ihrer Kamera und mehr noch ihren Tonaufnahmegeräten vorwagt. Der Raum, worin der gealterte Paulo de Figueiredo seinen Lebenslauf ausbreitet, ist die erste und unverfänglichste der Zwischenregionen. Die anderen sind moralisch, historisch und psychologisch und durchzogen von Lügen, Täuschungen und Irrwegen. Letztes gilt noch mehr für das düstere Geschichtskapitel, das Paulo gemeinsam mit seiner Biografie aufschlägt. Trainiert als junger Elitesoldat in Angola und Mosambik während der Kolonialzeit, verdingte er sich nach der Nelkenrevolution als Bodyguard. Vom professionellen Wächter von Leben war es ein kleiner Schritt zu dessen professionellem Auslöscher. "Auslöschen" ist eine Formulierung, derer sich der drahtige kleine Mann oft bedient. Durch Feuerwaffen, Granaten oder Motorradanschläge werden Menschen ausgelöscht. Der Kolonialkrieg weicht dem Privatkrieg mächtiger Männer mit ebenso mächtigen Feinden, den wiederum der Krieg gegen den Terror der ETA ablöst. "Große Übel erfordern starke Gegenmittel." So lehrt es das Lieblingssprichwort von Paulo. Seine verstörenden Anekdoten erzählt er mit der Prägnanz und Lakonie des geübten Abenteuerautoren, der er vielleicht sogar ist. Das blutige Geschichtsglossar trägt deutliche Parallelen zur Politgeschichte, doch nirgends fand Lamas einen Beleg für seine Einbindung darin. "Paulo ist entschlossen die Wahrheit zu sagen. Was wirklich passiert ist", erklärt die Regisseurin, die nie vergisst, dass Lüge und Wahrheit ebenso dehnbare Begriffe sind wie Gut und Böse, äußere Realität und innere. Letzte kennt den geschickten Redner als Elitekämpfer, Leibwächter und Söldner, in seinen Kreisen so berüchtigt und berühmt wie seine einflussreichen Auftraggeber. Erste zeigt ihn als zähen Clochard, der bei einer Obdachlosen-Burg unter einer Brücke aus Speiseabfällen Suppe kocht. So viele Menschen wie möglich sollten Paulo de Figueiredo kennen, schließt Salomé Lamas auf einer Textkarte, die auch ihre eigene Verunsicherung angesichts der Unzuverlässigkeit offizieller und privater Tatsachenkonstrukte preisgibt: "In diesem Moment schien mir der Film unendlich klein." Eines wenigstens ist am Ende der undefinierbaren Reflexion gewiss: Das ist er nicht. Lida Bach /
Wertung: * * *
(3 von 5)
Quelle der Fotos: O Som e a Fúria Filmdaten Terra de ninguém / No Man's Land (Terra de ninguém) Portugal 2012 Regie & Drehbuch: Salomé Lamas; Produktion: O Som e a Fúria; Produzenten: Fabienne Martinot, Luís Urbano, Sandro Aguilar; Kamera: Takashi Sugimoto, Salomé Lamas; Schnitt: Telmo Churro; Länge: 72 Minuten; deutscher Kinostart: noch nicht bekannt
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