10.01.2016
Suffragette
![]() "Suffrage" ist das englische Wort für "Wahlrecht". Englische Frauen verlangten fünfzig Jahre lang auf friedlichem Wege die Wahlbeteiligung und wurden dafür verspottet und beschimpft, man machte sich über sie lustig. So wie heute über die Feministinnen, Unterstützerinnen der Gender Studies oder die alleinerziehenden Mütter, die gegen den Zwangsumgang kämpfen. Die britische Presse mokierte sich über die Frauenrechtlerinnen, und bezeichnete sie als "Suffragettes". Friedlicher Protest brachte keine Ergebnisse, also entschied sich die Gründerin des WASP – Women's Social and Political Union, Emmeline Pankhurst (hier von Meryl Streep in einem Kurzauftritt dargestellt) zu "Taten statt Worten" – Angriffe auf das Telekommunikationssystem oder auf symbolische öffentliche Gebäude. Viele Frauen, die Suffragettes wurden, kamen aus dem armen Arbeitermilieu. Die meisten arbeiteten seit ihrer Kindheit ab 12 Jahren täglich 12-14 Stunden – auch samstags –, und bekamen weniger Lohn als die Männer. Viele hatten Arbeitsunfälle erlitten, ohne dagegen geschützt zu sein, einige waren schutzlos den sexuellen Übergriffen der Vorgesetzten ausgesetzt.
Maud Watts (Carey Mulligan), die gut gewählte, wenn auch etwas farblose Hauptfigur des Films, ist zwar fiktiv, aber für sie treffen auch alle diese Lebensbedingungen zu. Sie ist an den Schlüsselereignissen beteiligt. Sie wird bei einer friedlichen Protestkundgebung von Polizisten brutal niedergeschlagen und inhaftiert. Beim Hungerstreik im Gefängnis wird sie zwangsernährt, so wie viele ihrer Mitkämpferinnen. Weil die Staatsgewalt verhindern wollte, dass die Suffragettes eine Märtyrerin kriegen. Maud verliert ihre Arbeit, ihren Mann und ihr Kind. Aber nicht ihre Würde. Violett, weiß und grün waren die Farben der Suffragettes – der Film versucht sich optisch an diese Farben zu halten, aber dennoch wirken die Bilder, als ob sie mit einem Grauschleier bedeckt wären. Handkameras waren im Dauereinsatz, manchmal an vier verschiedenen Stellen. Das mag zwar zur Echtheit des Spielens geführt haben, aber das Dauerwackeln der Bilder ist für Zuschauer eine Zumutung. Die Dialoge sind minimal, die Anspielungen auf die harten Lebensbedingungen auch – was in diesem Kontext eine Fehlentscheidung ist. Man muss die Brutalität des Alltags zeigen, um die heftige Gegenwehr der Frauen zu verstehen. Trotz der realistischen Darstellung wirkt das Drehbuch verschönernd, als ob die Autorinnen befürchtet hätten, zu viel Realität einzubringen, um nicht an Glaubhaftigkeit einzubüßen. Der Höhepunkt des Films wird dramatisch und musikalisch überbetont, was auch ungeschickt wirkt, da dadurch der Moment der Überraschung und Bestürzung vorweggenommen wird.
Der Film wirft die grundsätzliche Frage auf, ob es gerechtfertigt ist, mit Gewalt zu Gehör zu kommen – schließlich ist das auch Taktik der Terroristen. Der Unterschied hier ist, dass die Suffragettes nur symbolische Ziele anvisierten, bei denen keine Menschen zu Schaden kamen.
Die Werke des Nationalschriftstellers Charles Dickens, der hauptsächlich im 19. Jahrhundert wirkte, wurden hundertfach medial aufbereitet – wobei es bei ihm auch nicht an der Brutalität des Alltags der armen Bevölkerung fehlte. Aber es mussten 104 Jahre vergehen, ehe die Geschichte der Suffragettes ihren Weg auf die Leinwand fand. Ein notwendiger Film. Hilde Ottschofski /
Wertung: * * *
(3 von 5)
Quelle der Fotos: Concorde Filmverleih Filmdaten Suffragette (Suffragette) GB 2015 Regie: Sarah Gavron; Darsteller: Carey Mulligan (Maud Watts), Helena Bonham Carter (Edith Ellyn), Anne-Marie Duff (Violet Miller), Meryl Streep (Emmeline Pankhurst), Romola Garai (Alice Haughton), Brendan Gleeson (Inspector Arthur Steed), Ben Whishaw (Sonny Watts) u.a.; Drehbuch: Abi Morgan; Produzentinnen: Alison Owen, Faye Ward; Kamera: Edu Grau; Musik: Alexandre Desplat; Schnitt: Barney Pilling; Länge: 107,05 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Concorde Filmverleih; deutscher Kinostart: 4. Februar 2016
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