10.01.2016
Filmisch nicht überzeugend, politisch notwendig

Suffragette


Suffragette Die längst überfällige Verfilmung der historischen Ereignisse rund um den vergleichsweise frühen und wagemutigen Kampf fürs Frauenwahlrecht der britischen "Suffragettes" 1912 (in Deutschland begann man damit erst 1918, und dann vielleicht auch nur wegen der unerschrockenen Vorkämpferinnen aus England) ist filmisch leider weniger beeindruckend als erhofft, aber politisch wichtig, da er immer noch aktuell ist. Wenn man sieht, mit welch barbarischen Methoden man noch Anfang des 20. Jahrhunderts Frauen unterdrückte, dann versteht man, warum sich der Kampf um Gleichberechtigung bis in die heutige Zeit hineinzieht und immer noch nicht am Ziel ist.

"Suffrage" ist das englische Wort für "Wahlrecht". Englische Frauen verlangten fünfzig Jahre lang auf friedlichem Wege die Wahlbeteiligung und wurden dafür verspottet und beschimpft, man machte sich über sie lustig. So wie heute über die Feministinnen, Unterstützerinnen der Gender Studies oder die alleinerziehenden Mütter, die gegen den Zwangsumgang kämpfen. Die britische Presse mokierte sich über die Frauenrechtlerinnen, und bezeichnete sie als "Suffragettes".

Friedlicher Protest brachte keine Ergebnisse, also entschied sich die Gründerin des WASP – Women's Social and Political Union, Emmeline Pankhurst (hier von Meryl Streep in einem Kurzauftritt dargestellt) zu "Taten statt Worten" – Angriffe auf das Telekommunikationssystem oder auf symbolische öffentliche Gebäude.

Viele Frauen, die Suffragettes wurden, kamen aus dem armen Arbeitermilieu. Die meisten arbeiteten seit ihrer Kindheit ab 12 Jahren täglich 12-14 Stunden – auch samstags –, und bekamen weniger Lohn als die Männer. Viele hatten Arbeitsunfälle erlitten, ohne dagegen geschützt zu sein, einige waren schutzlos den sexuellen Übergriffen der Vorgesetzten ausgesetzt.

Suffragette Nur wenige Ehemänner konnten sich mit dem Wunsch ihrer Frauen nach einem besseren Leben, nach Anerkennung und Schutz ihrer Würde identifizieren, so dass die Frauenrechtlerinnen nicht nur wiederholte Haftstrafen und Demütigungen durch die Staatsgewalt hinnehmen, sondern auch ihr vorheriges Leben aufgeben mussten. Die Ehemänner verließen sie, sobald sie sich für die Sache interessierten. Da nur Männer das Sorgerecht innehatten, verloren sie ihre Kinder. Ihre schlecht bezahlte Arbeit wurde ihnen gekündigt und sie waren gezwungen, im Untergrund zu leben.

Maud Watts (Carey Mulligan), die gut gewählte, wenn auch etwas farblose Hauptfigur des Films, ist zwar fiktiv, aber für sie treffen auch alle diese Lebensbedingungen zu. Sie ist an den Schlüsselereignissen beteiligt. Sie wird bei einer friedlichen Protestkundgebung von Polizisten brutal niedergeschlagen und inhaftiert. Beim Hungerstreik im Gefängnis wird sie zwangsernährt, so wie viele ihrer Mitkämpferinnen. Weil die Staatsgewalt verhindern wollte, dass die Suffragettes eine Märtyrerin kriegen. Maud verliert ihre Arbeit, ihren Mann und ihr Kind. Aber nicht ihre Würde.

Violett, weiß und grün waren die Farben der Suffragettes – der Film versucht sich optisch an diese Farben zu halten, aber dennoch wirken die Bilder, als ob sie mit einem Grauschleier bedeckt wären. Handkameras waren im Dauereinsatz, manchmal an vier verschiedenen Stellen. Das mag zwar zur Echtheit des Spielens geführt haben, aber das Dauerwackeln der Bilder ist für Zuschauer eine Zumutung. Die Dialoge sind minimal, die Anspielungen auf die harten Lebensbedingungen auch – was in diesem Kontext eine Fehlentscheidung ist. Man muss die Brutalität des Alltags zeigen, um die heftige Gegenwehr der Frauen zu verstehen.

Trotz der realistischen Darstellung wirkt das Drehbuch verschönernd, als ob die Autorinnen befürchtet hätten, zu viel Realität einzubringen, um nicht an Glaubhaftigkeit einzubüßen. Der Höhepunkt des Films wird dramatisch und musikalisch überbetont, was auch ungeschickt wirkt, da dadurch der Moment der Überraschung und Bestürzung vorweggenommen wird.

Suffragette Die Leistung der Schauspielerinnen ist sehr hoch zu bewerten, vor allem Helena Bonham-Carter als Apothekerin der Mittelschicht wirkt glaubwürdig. Auch Carey Mulligans Arbeit ist wertzuschätzen, aber ihre Figur ist nicht überzeugend genug geschrieben worden. Der Kurzauftritt Meryl Streeps ist tonangebend. Und geht schnell im Gewirr der Wackelbilder unter. Überraschend gut ist die Präsenz von Anne-Marie Duff (alsViolet Miller), einer Arbeiterin, die auch privat die Hölle durchmacht. In wenigen Szenen gelingt es ihr, ihre Figur schärfer zu zeichnen, als es das Drehbuch es möglich macht.

Der Film wirft die grundsätzliche Frage auf, ob es gerechtfertigt ist, mit Gewalt zu Gehör zu kommen – schließlich ist das auch Taktik der Terroristen. Der Unterschied hier ist, dass die Suffragettes nur symbolische Ziele anvisierten, bei denen keine Menschen zu Schaden kamen.

Suffragette Schockierend ist, dass heutzutage noch nicht einmal in Großbritannien die Bewegung der Suffragettes bekannt ist. Selbst die Hauptdarstellerin, Carey Mulligan (zuletzt zu sehen als Bathsheba Everdene in Vinterbergs "Am grünen Rand der Welt") sagte: "Niemand, den ich kenne, weiß von den Hungerstreiks oder den etwas extremeren Anschlägen der Frauen auf öffentliche Kunstgalerien und Gebäude. Ich wusste selbst nichts davon, bevor ich für das Projekt unterschrieb (...). Ich kannte die geschönte Version, wie sie an der Schule unterrichtet wird (...). Ich hatte nicht den blassesten Schimmer, was diese Frauen tatsächlich durchgemacht hatten".

Die Werke des Nationalschriftstellers Charles Dickens, der hauptsächlich im 19. Jahrhundert wirkte, wurden hundertfach medial aufbereitet – wobei es bei ihm auch nicht an der Brutalität des Alltags der armen Bevölkerung fehlte. Aber es mussten 104 Jahre vergehen, ehe die Geschichte der Suffragettes ihren Weg auf die Leinwand fand. Ein notwendiger Film.  

Hilde Ottschofski / Wertung: * * * (3 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Concorde Filmverleih

 
Filmdaten 
 
Suffragette (Suffragette) 
 
GB 2015
Regie: Sarah Gavron;
Darsteller: Carey Mulligan (Maud Watts), Helena Bonham Carter (Edith Ellyn), Anne-Marie Duff (Violet Miller), Meryl Streep (Emmeline Pankhurst), Romola Garai (Alice Haughton), Brendan Gleeson (Inspector Arthur Steed), Ben Whishaw (Sonny Watts) u.a.;
Drehbuch: Abi Morgan; Produzentinnen: Alison Owen, Faye Ward; Kamera: Edu Grau; Musik: Alexandre Desplat; Schnitt: Barney Pilling;

Länge: 107,05 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Concorde Filmverleih; deutscher Kinostart: 4. Februar 2016



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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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