29.10.2012
Süßes Gift - Hilfe als Geschäft
Wem hilft Entwicklungshilfe wirklich? Auf diese Frage, die sich sonst kaum einer stellt, antwortet Peter Hellers Dokumentarfilm. Das Urteil fällt vernichtend aus. Die Entwicklungshilfe hilft, jedoch nicht immer denen, für die sie bestimmt ist, der Bevölkerung der Dritten Welt. Umgerechnet eine Billion US-Dollar ist schon nach Afrika geflossen, aber größtenteils entweder versickert, falsch eingesetzt oder nach Europa, Amerika oder Asien zurückgezahlt, zum Beispiel für den Kauf von Industriefahrzeugen. "Süßes Gift – Hilfe als Geschäft" nennt die Probleme und lässt Beteiligte und Betroffene, Afrikaner und Entwicklungshelfer, Intellektuelle und Dorfbewohner mit Kritik zu Wort kommen. Das Versagen der Entwicklungshilfe prangert Peter Heller in seinem Film mit nüchternen Fakten an.
Ein gigantischer Stausee in Mali. Geplant zur Bewässerung von Feldern und zur Stromerzeugung. Doch dafür wird er nicht verwendet. Um ihn zu bauen, wurden Dörfer den Fluten geopfert, und damit ein Stück afrikanischer Kultur. Der Stausee: ein Monument des Versagens. Ein anderes Beispiel: In Kenia wurde ein überdimensioniertes Fabrikgebäude zur Aufbewahrung getrockneter Fische und als Arbeitsplatz für die Bewohner umliegender Dörfer errichtet. Dafür wird die Anlage lange Zeit nicht genutzt. Bis jüngst ein privater ausländischer Investor einspringt. Und den dort beschäftigten Einheimischen Dumpinglöhne zahlt. Auch hier versagte die Entwicklungshilfe. Genauso wie bei einem Projekt für Baumwollverarbeitung in Tansania, das schnell wieder eingestellt wurde. Flugzeuge werfen Mais ab, Lebensmittel für die hungernden Einheimischen. Man hatte manche von ihnen kostspielig zu Fischern umgeschult und dabei die Tradition missachtet. Eine glatte Fehlplanung: Die Menschen machen das, was sie von klein auf gelernt haben, als Nomaden mit Rinderherden umherzuziehen – mit Vieh, das in der Dürre umkommt. Der 1946 geborene Regisseur Peter Heller dreht seit 1978 Dokumentarfilme, vorrangig über Afrika. "Süßes Gift – Hilfe als Geschäft" könnte sein bis dato wichtigster Film werden, denn in ihm ist alles zusammengefasst, was Heller umtreibt. Sachlich, ohne je vom Thema zu abzuweichen, schildert Heller das Versagen der Entwicklungshilfe, wovon in Europa kaum jemand Kenntnis hat. Bisweilen stört an dem Film die Akribie, mit der Heller Fakten aufzählt, manchmal fühlt man sich als Zuschauer an die Hand genommen und vom Regisseur wie beim Schulfernsehen mit detailliertem Fachwissen konfrontiert. Aber vielleicht ist es bei diesem Thema notwendig. Einen künstlerisch allzu ambitionierten Film sollte man nicht erwarten, der Film will mit den immer gleichen nüchternen Bildern beeindrucken: dem Stausee, der nicht genutzt wird, der leer stehenden Fabrik, der nicht funktionierenden Baumwollproduktion. Heller geht es einzig um die Sache. Der Dokumentarfilmer enthält sich selbst jeglichen Kommentars. Stattdessen lässt er Sachkundige zu Wort kommen: einfache Leute, Intellektuelle und Entwicklungshelfer – das große Plus des Films. Die übereinstimmende Meinung der Menschen: Die Hilfe schafft Abhängigkeiten, statt die Eigeninitiative anzuregen. Hellers Film nennt auch Möglichkeiten für die Verbesserung der nur scheinbar ausweglosen Lage. "Süßes Gift" wurde Ende September 2012 auf dem 20. Filmfest Hamburg uraufgeführt, begleitet von der Paneldiskussion "Wem hilft Entwicklungshilfe?" mit Peter Heller als Diskussionsteilnehmer. Hellers Film war Anfang Oktober auch auf der 2. Dokumentarfilmwoche Bonn zu sehen. Michael Dlugosch /
Wertung: * * *
(3 von 5)
Quelle der Fotos: W-film Distribution Filmdaten Süßes Gift - Hilfe als Geschäft Deutschland / Österreich 2012 Regie & Drehbuch: Peter Heller; Idee und Produzent: Wolfgang Bergmann; Produktion: Lichtfilm GmbH Köln in Koproduktion mit WDR und in Zusammenarbeit mit ARTE; Kamera: Dieter Stürmer, Sulemann Kissoky; Musik: Arpad Bondy; Schnitt: Gesa Marten; Länge: 91,54 Minuten; FSK: ohne Altersbeschränkung; teilweise OmUdt; ein Film im Verleih von W-film Distribution; deutscher Kinostart: 8. November 2012
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