04.06.2012
Tragisch wie komisch anmutendes Vater-Sohn-Porträt aus Norwegen

Sons of Norway


Sons of Norway Dass die Skandinavier, die unangefochtenen Meister des Dramas, deren messerscharfe Familien- und Gesellschaftsanalysen im Theater von Ibsen und Strindberg Literatur- und Weltgeschichte geschrieben haben, auch im Film auf schwere Kost setzen, ist bekannt. Carl Theodor Dreyer, Ingmar Bergman, und jüngst Thomas Vinterberg, Lars von Trier, mit Abstrichen auch Susanne Bier legen hiervon Zeugnis ab. Und auch in der Filmgeschichte haben die Skandinavier, genauer die Dänen mit ihrer "Dogma95-Bewegung" Furore gemacht, indem sie nach den neuen Wellen eine wiederum neue Art der filmischen Ästhetik postulierten; den Filmemachern wurden strenge wie strikte Reglements auferlegt, ein Regelwerk nach denen sie ihre Filme, und Filmsprache zu konzipieren hatten. Schnell aber verliefen sich die Bestrebungen, die sich als Manifest aufgepäppelt schnittig gelesen hatten, im dänischen Sand. Und es scheint fast eine boshafte wie späte Ironie zu sein, wenn ihr Gründervater Lars von Trier – natürlich kokettierend mit seiner Rolle als enfant terrible – in seinen letzten Filmen seine vormaligen Thesen buchstäblich und frohlockend konterkariert.

Der Finne Aki Kaurismäki, einer der großen Filmemacher Skandinaviens nimmt mit seinen melancholischen Stories, die sich irgendwie immer in der Vergangenheit, oder in einer stehengebliebenen Zeit bewegen, eine Sonderstellung ein. Denn sie sind weder komisch noch sezieren sie die Seelen ihrer Protagonisten, eher bildet Kaurismäki einen Kosmos teil skurriler Figuren ab, denen das Leben so einiges abtrotzt. Neben schweren Stoffen schaffen es die skandinavischen Filmemacher – und hierin sind sie stark – durchaus ernstzunehmende Themen, mit dem notwendigen Humor und dem bekannten cum grano salis zu vermischen. Beispielhaft können hierfür Filme stehen wie: "Wilbur Wants to Kill Himself", "Raus aus Amal", oder auch "Adams Äpfel".

Sons of Norway In diese Kategorie ist zweifelsohne "Sons of Norway", der Film des Norwegers Jens Lien einzubetten. Lien führt anhand des schwungvollen Vater-Sohn-Konflikts in die ausgehenden 1970er Jahre ein, eine Zeit in der die Hippie-Bewegung und all die damit verbundenen Ideale ihren Abgesang einleitet, zumindest im kollektiven Bewusstsein vieler, und allen voran der jüngeren Generation, den Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Nikolaj (Åsmund Høeg) muss mit seinem Vater Magnus (Sven Nordin) völlig unvorbereitet sein, und das Lebens seines Vaters in die Hand nehmen, nachdem die Mutter Lone (Sonja Richter) völlig unerwartet durch einen Autounfall stirbt. Die Eltern sind Hippies aus Überzeugung, und neben der Kritik am System, und der Desavouierung existierender Normen, ist es vor allem Magnus, der wie in einem Kokon in seiner eigenen Welt zu leben scheint, die zwar aus hehren Zielen, großen Idealen und viel Intellektualität besteht, mit der Lebenswirklichkeit aber nicht immer abgeglichen werden kann. Nach dem Tod der Frau/Mutter rebellieren Magnus und Nikolaj auf ihre Weise, und werden indirekt zu Antipoden: Magnus will als Architekt neue, aber im Grunde nur schwer realisierbare Wege gehen, immer aber auch die gesamtgesellschaftliche Idee im Auge behaltend. Gleichzeitig aber glaubt er an die Jeunesse dorée, was im manchmal haltlos naiv und infantil erscheinen lässt. Nikolaj wendet sich dem aufkommenden Punk zu, seine Ikone ist Johnny Rotten. Die Punklegende hat sogar einen kurzen Auftritt und ist unter dem richtigen Namen John Lydon einer der beiden Ausführenden Produzenten des Films.

Vater und Sohn erleben die Höhen und Tiefen des Lebens, beide Pole halten sich die Waage, und der Film changiert zwischen witzigen Elementen. Einerseits gibt es witzige Sequenzen etwa, wenn Magnus Nikolaj mit zu einen Nudistenstrand nimmt, wo dieser sich sichtlich unwohl zurückzieht, oder Magnus splitternackt auf einem Motorrad durch das sommerliche Norwegen fährt, mit einem beschämten Sohn im Gepäck. Oder wenn er seine Söhne im Sinne der freien Liebe erzieht. Andererseits hat der Film nachdenkliche Momente, wenn zum Beispiel die Familie entscheiden muss, das Atemgerät der Mutter abzustellen, da die nicht mehr aus dem Koma erwachen wird.

Lien lässt das Orange und die Farbenpracht dieser Zeit erstrahlen, ohne es zu übertreiben, und auf der tonalen Ebene sind es natürlich die musikalischen Punkeinlagen, die auch die innere Stimmung Nikolajs reflektieren. Surreale Versatzstücke, also verzerrte Bilder, das Anzitieren von Zombie-Bildern, fast-motions, die die Wirkung des Drogenkonsums bei Nikolaj bebildern, zeigen ganz nebenbei die offenbare Freude des Filmemachers am Fantastischen. In vielen Konfliktsituationen werden die Hauptfiguren in Nahaufnahmen gezeigt, ihre Emotionen sind gleichsam unvermittelt, und viele Halbtotalen wie "Two-Shots" von Vater und Sohn unterstreichen noch einmal deren gewollte oder ungewollte Zusammengehörigkeit. Harte Schnitte, wie zum Beispiel jener nach dem Tod der Mutter, machen noch einmal mehr klar, dass manche Dinge – hier der Tod – unwiderruflich sind, und dass der Fluss des Lebens nicht aufhört.

Sons of Norway "Sons of Norway" spielt in einer Zeit, deren gelebte Ideale und anzitierten Konfliktlösungsstrategien heute sicherlich in Teilen merkwürdig anmuten. Allein die ein wenig überzeichnete und allzu geglättete wie idealisierte Figur des Magnus ist sicherlich etwas eindimensional und märchenhaft geraten, ist doch weithin bekannt, dass die Hippies – hier allen voran die Männer – nicht immer aus der Eloge ihres Patriarchats herauskommen wollten, und um ein nahes wie gleichberechtigtes Verhältnis zu ihren Söhnen bemüht waren. Genauer, und weniger überzogen ist die Charakterisierung Nikolajs, der im Schwange seiner Pubertät, nicht nur gewohnheitsmäßig gegen den Vater, die Konventionen, kurzum gegen des Rest der Welt rebelliert; er sucht sich gleichsam, will sich positionieren, will er sein Erwachsenwerden bekunden, wenn nötig lautstark, auch durch halbstarke Aktionen. Der Film wirft in jedem Fall die immerwährende und auch heute mindestens genauso aktuelle Fragekonstellation auf: Wer bin ich, wie stehe ich zu meinen Eltern und deren Lebensentwürfen, wo und wie setze ich mich davon zum richtigen Zeitpunkt ab, und wie generiere ich eine Identität, die bei anderen verfängt und mit der ich selbst leben möchte.  

Sven Weidner / Wertung: * * * (3 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Alamode Film

 
Filmdaten 
 
Sons of Norway (Sønner av Norge) 
 
Norwegen / Schweden / Dänemark / Frankreich 2011
Regie: Jens Lien;
Darsteller: Åsmund Høeg (Nikolaj), Sven Nordin (Magnus), Sonja Richter (Lone), Tony Veitsle Skarpsno (Tor), Camilla Friisk (Nina), Trond Nilssen (Anton), John Lydon (Johnny Rotten) u.a.;
Drehbuch: Nikolaj Frobenius; Produzent: Christian Fredrik Martin; Ausführende Produzenten: John Lydon, Asle Vatn; Kamera: Morten Søborg; Musik: Jan Inge; Schnitt: Vidar Flataukan;

Länge: (Laufzeit 24fps, d.h. im Kino:) 87,36 Minuten bzw. (Laufzeit 25fps, d.h. im Fernsehen:) 84,13 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Alamode Film; deutscher Kinostart: 5. Juli 2012



Artikel empfehlen bei:  Mr. Wong Delicious Facebook  Webnews Linkarena  Hilfe

© filmrezension.de

home
  |  regisseure/schauspieler   |  e-mail
 über uns  |  impressum  


 
 
 
 
 
Offizielle Seite der Verleihfirma
<04.06.2012>


Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

Drucken

Artikel empfehlen
Mr. Wong Delicious Facebook Webnews Linkarena 
Hilfe