11.12.2012
Am Ende kommen Touristen

Sightseers


Sightseers: Alice Lowe, Steve Oram "Ich kenne jede Menge Leute, die in Campern schreckliche Erlebnisse hatten." Die Warnung von Tinas Mutter ist ein schlechtes Omen für Ben Wheatleys "Sightseers", einmal für die Titelfiguren und noch mehr für das skurrile Roadmovie des britischen Regisseurs. Er widmet seine Horrorposse ganz dem trockenen Zynismus, den er bereits in "Kill List" durchscheinen ließ. Die 34-jährige Tina (Alice Lowe) trotzt erstmals dem mütterlichen Willen und begleitet ihren Liebhaber Chris (Steve Oram) auf einer Campingtour zu seinen Lieblingsorten. Der rabiate Kleingeist und die dickköpfige Spießerin ergeben ein pathologisches Pärchen, das die Publikumssympathie dennoch nicht verliert - weil es sie nie besaß. Die Leute mit schrecklichen Erlebnissen werden bald mehr: die "Sightseers" selbst, ihre Mordopfer und nicht zuletzt das Publikum, dem statt Love on the Run Hate on the Roadside dargeboten wird.

Sightseers: Tina (Alice Lowe) im Bleistift-Museum "Ich mag dich nicht!", sagt Tinas Mutter Chris zum Abschied, bevor Tina sie und die Erinnerung an den Tod des geliebten Hündchens Poppy hinter sich lässt. Mit hysterischen Anrufen wird Tina von ihrer besitzergreifenden Mutter verfolgt, in Träumen und Flashbacks von Poppys Geist. Ihm gelingt, was die alte Dame vergeblich versuchte, er drängt sich zwischen Tina und Chris. Dabei begann ihr Urlaubstrip trotz nasskalten Herbstwetters so sonnig. "Zeig mir deine Welt!", bittet Tina Chris, der ihren Wunsch penibel erfüllt, nicht nur auf räumlicher Ebene. Die Landschaft bleibt dennoch das einzig Plastische in "Sightseers", dessen Titel ebenso gut lachhafter Euphemismus sein könnte wie zynischer Witz. Amüsant ist beides nicht. Das gilt auch für die übrigen Pointen der farblosen Groteske. Ihr unbequemer Humor ist zu aufgesetzt und die Provokationen zu gewollt, um nicht gestellt zu wirken. Die psychologische Unstimmigkeit erweckt den Eindruck, dass die TV-Komiker Lowe und Oram nur ihre Fernseh-Persönlichkeiten variieren. Die Handlung zerfällt so in eine Folge ermüdender Sketche. Sie orientieren sich an der Landkarte. Genau wie Chris, der darauf die ödesten Ausflugsziele markiert hat, zu denen man an windigen Regentagen stapfen könnte.

Sightseers: Tina (Alice Lowe) mit Hund Banjo Die "Sightseers" verzichten trotzdem auf keinen Zwischenstopp und wirken dabei noch ärmlicher als Wheatleys Versuch Schauwerte zu schaffen. Den Eiffelturm und die Freiheitsstatue hat doch jeder x-mal im Kino gesehen! Aber das Straßenbahnmuseum in Crich oder das Ribblehead Viadukt? Bei jedem Halt besorgt sich Tina ein Souvenir. Eines ist ein Terrier namens Banjo, den Tina behält, nachdem Chris Banjos Herrchen den Schädel einschlägt. Mit Poppys vermeintlicher Reinkarnation geht die Fahrt weiter. Immerhin wartet noch das Bleistift-Museum in Keswick auf der Urlaubstour, die sich Tina von ein paar Morden vermiesen lässt. Die Brutalität, die vor den Naturpanoramen noch hässlicher wirkt, sollen metaphysische Allegorien überhöhen. Doch die leeren Effekte betonen nur die Profanität des Serienmords. "Ich brauche ein Motiv", behauptet Chris, dabei animieren ihn tatsächlich Minderwertigkeitskomplexe und beleidigte Selbstgerechtigkeit. Solche Anwandlungen kennt auch Tina, die ihrerseits sexuellen Frust an zukünftigen Bräuten abreagiert oder nebenbei einen Radfahrer überfährt.

"Mörderin" nennt die um Poppy trauernde Mutter Tina schon bevor ihre Tochter zur Tat schreitet und verkündet: "Uns interessiert keine Fairness, uns interessiert nur glücklich zu sein." Die ersten Blutspuren findet sie "ein bisschen unheimlich, nicht wahr?" Allerdings. Sozialneid, Doppelmoral und Verachtung für angeblich unzivilisierte Gesellschaftsmitglieder machen "Sightseers" wahrhaft grausig. Schlimmer ist höchstens ein Besuch in Keswicks Bleistift-Museum.  

Lida Bach / Wertung: * (1 von 5) 
 

Quelle der Fotos: MFA+

 
Filmdaten 
 
Sightseers (Sightseers) 
 
GB 2012
Regie: Ben Wheatley;
Darsteller: Alice Lowe (Tina), Steve Oram (Chris), Eileen Davies (Carol), Richard Glover (Martin), Monica Dolan (Janice), Jonathan Aris (Ian), John Hurt (Erzähler) u.a.;
Drehbuch: Alice Lowe, Steve Oram; Produktion: Claire Jones, Nira Park, Andrew Starke; Kamera: Laurie Rose; Musik: Jim Williams; Schnitt: Robin Hill, Amy Jump, Ben Wheatley;

Länge: 91,40 Minuten; FSK: ab 16 Jahren; ein Film im Verleih von MFA+ FilmDistribution e.K.; deutscher Kinostart: 28. Februar 2013



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Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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