14.02.2013
Risiken und Nebenwirkungen

Side Effects
- Tödliche Nebenwirkungen


Side Effects: Rooney Mara, Channing Tatum "The Bitter Pill" lautet der ursprüngliche Titel des Skripts, das Scott Z. Burns aus einem obskuren Kurzfilm aufbauschte und dem Steven Soderbergh in letzter Minute den Namen der Vorlage gab: "Side Effects". Nebenwirkung der Umtaufe ist, dass die allzu schöne Ironie der Inszenierung verlorengeht. Eine bittere Pille ist der kalkulatorische Wettbewerbsbeitrag für die Fans des Regisseurs, der ihn als seine letzte Kinoarbeit ankündigt; eine noch bittere für alle, die den bodenlosen Plot der aalglatten Mainstream-Medikation schlucken müssen.

Dass Soderbergh die spezielle Art prestigeträchtigen Hollywood-Kinos, die er mitprägte und dem sein jüngstes Werk auf der einen Seite entspricht, hinter sich lassen wolle, hieß es schon 2011 nach "Contagion". Der vermarktete die kollektive Furcht vor psychischen Leiden, die entweder die Neurosen frustrierter wohlhabender Frauen sind oder deren geldgierige Intrigen. Die unliebsame Nebenwirkung dieser dramaturgischen Fokus-Verschiebung ist, dass sich der kritische Rahmen der Story unfreiwillig als Makulatur demaskiert. In der Story tritt Wirkung wie bei den darin verabreichten Medikamenten nicht sorgsam austariert ein, sondern willkürlich und sensationalistisch. Beides umschreibt die Situation, in der die junge Emily (Rooney Mara) erwacht. Neben ihr liegt eine Leiche, dazu die ihres Gatten Martin (Channing Tatum), der noch dazu frisch aus dem Gefängnis entlassen wurde und noch dazu wegen Insidergeschäften erst verurteilt. Es ist kein Szenario wie aus einem Hitchcock-Film, sondern wie aus mehreren.

Side Effects: Jude Law Das Ende Martins, der bis dahin als ein Hauptcharakter auftritt, kommt noch vor dem der ersten Filmhälfte. Gegenüber jener männlichen Janet Leigh steht Emily, als weiblicher Norman Bates Täterin, ohne Verantwortung für ihre Tat. Die fällt auf Dr. Jonathan Banks (Jude Law). Emilys Psychiater ist Prototyp der ernsthaften, teilnahmsvollen Seelenklempner, die man in der Realität niemals trifft, weil sie auf der Leinwand Dienst tun. Ist danach einmal Feierabend, vertiefen sie sich in Kriminalfälle oder stellen sich gegen ein übermächtiges System. Letztes sind die Pharmakonzerne, die einen neuen Serotonin-Blocker produzieren. Emily schluckt die Psychopharmaka, Banks die bezahlten Geschäftsessen und Boni, mit denen die Medikamentenindustrie seine Kollegen und ihn ködert. Die Arzneifirma kauft den Arzt, damit der Arzt die Arznei kauft: um sie seinen Patienten zu verordnen. Die im Beipackzettel aufgelisteten Nebenwirkungen reichen bis zum Tod; in Emilys Fall den des Ehepartners. Die großäugige Opfer/Täter-Figur erscheint als Ahnungslose in den Klauen diabolischer Tabletten-Hersteller, die skrupellos Pillen drehen und nebenbei ihren Patienten einen Strick daraus.

Side Effects: Rooney Mara, Channing Tatum Eine Variation des Wiegenlieds aus "Rosemaries Baby" ist vor diesem Hintergrund nur eine inszenatorische Taschenspielerei zur Manipulation des Publikums. Dessen Aufmerksamkeit lenkt kruder Sensationalismus systematisch fort von den unlauteren Machenschaften der Pharmabetriebe, die die kollektive Paranoia, die sie zu stillen vorgeben, insgeheim nähren. Was als gesellschafts- und geschäftspolitisches Drama auftritt, pervertiert zu einem grellen Mordkomplott, das Drogen und deren Nebenwirkungen als gerechte Strafe sozialer Randgruppen wie psychisch Kranker und Homosexueller – was bei Soderbergh auf das Gleiche hinausläuft – darstellt. Er schürt die Ängste, die den Herstellern von Antidepressiva, Beruhigungs- und Schlafmitteln einen Umsatz von 16 Milliarden Dollar bescheren: Ängste vor Abweichung von der weißen, heterosexuellen, monogamen Oberschicht, die natürliche Emotionen wie Trauer, Verschlossenheit, Frustration und Impulsivität pathologisiert und den damit einhergehenden Zwang zur Selbstnormierung umarmt. "Wie nennt ihr das, wenn jemand etwas vortäuscht?", fragt Emily einmal Doktor Banks: "Simulieren?" Dank "Side Effects" gibt es nun einen besseren Begriff: Soderbergh-Syndrom.  

Lida Bach / Wertung:  0 von 5 Punkten 
 

Quelle der Fotos: Berlinale

 
Filmdaten 
 
Side Effects - Tödliche Nebenwirkungen (Side Effects) 
 
USA 2013
Regie: Steven Soderbergh;
Darsteller: Jude Law (Dr. Jonathan Banks), Rooney Mara (Emily Taylor), Catherine Zeta-Jones (Dr. Victoria Siebert), Channing Tatum (Martin Taylor), Scott Shepherd (NYPD Detective) u.a.;
Drehbuch: Scott Z. Burns; Produktion: Endgame Entertainment; Produzenten: Lorenzo Di Bonaventura, Gregory Jacobs, Scott Z. Burns; Kamera: Peter Andrews (d.i. Steven Soderbergh); Musik: Thomas Newman; Schnitt: Mary Ann Bernard;

Länge: 106,10 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih der Senator Film Verleih GmbH; deutscher Kinostart: 25. April 2013
ein Film im Wettbewerb der 63. Berlinale 2013



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der Film im Katalog der 63. Berlinale 2013
<14.02.2013>


Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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