12.05.2016

Sicario


42 malträtierte Leichen entdeckt eine FBI-Spezialeinheit in einem Haus am Stadtrand der kalifornischen Stadt Phoenix. Selbst für den unbeteiligten Filmzuschauer hart zu goutieren, im enthumanisierten Drogenkrieg an der amerikanisch-mexikanischen Grenze nicht sonderlich überraschend. Wo es um riesige Geldsummen geht, gibt es keine Spuren von Menschlichkeit – so zieht sich dieses Bild der Seelenlosigkeit, auch im Titel widergespiegelt – Sicario bedeutet im mexikanischen Kartell-Slang "Auftragskiller" – wie ein roter Faden durch alle Gemüter und Szenen des Films.

Eine hervorragende Emily Blunt – zugleich als Agentin Kate Macer hochprofessionell und als Frau verletzlich – ist anerkannte Teamanführerin von SWAT – einer erfolgreichen Spezialeinheit, bei der es unerlässlich ist, auf Gefühle zu verzichten, damit sie ihren Job gut machen kann. Josh Brolin spielt einen merkwürdig nerdigen Geheimdienstler namens Matt Graver, der zwar Kates Fähigkeiten anerkennt, aber sie auch am langen Arm verhungern lässt, indem er sie bei den Spezialeinsätzen zur Verfolgung des "Sonora-Kartells" außen vor lässt und kein Einmischen duldet. Die mysteriöseste Figur ist Benicio del Toros Charakter, ein Söldner namens Alejandro, der eine merkwürdige Last auf den Schultern zu tragen scheint. Aber dessen Motive im Dunkeln bleiben. So erkennt Kate von der ersten Sekunde an, dass da viel im Hintergrund abläuft, das ihr niemand mitteilt. Nur nach und nach muss sie zusehen, wie Grundrechte, die in den USA hochgehalten werden, in ihrem Arbeitsauftrag keine Rolle spielen. Schutz der Privatsphäre, Bankengeheimnis, Schutz vor Folter – einer nach dem anderen fallen die hart erkämpften amerikanischen Werte. Sie sieht zu, wie hochentwickelte Kampftechnik eingesetzt wird, um von hochrangigen Politikern geduldete illegale Überwachung, brutal-gewalttätige Befragung, Gefangennahme und Entrechtung durchzusetzen. Aber ist diese Vorgehensweise nicht auch gerechtfertigt? Die Methoden scheinen den erbarmungslosen Verbrecherverfolgern Recht zu geben – denn sie kommen immer weiter voran, der scheinbar unentwirrbar versperrte Weg zu den großen Fischen, den superreichen Drogenbossen, wird immer erkennbarer, bis das Ziel schließlich erreicht wird.

"Sicario" zeigt, dass Menschen, die durch die Hölle gegangen sind, zu brutalen Soldaten werden, genau so entmenschlicht wie ihre Feinde. Aber braucht man nicht genau diese Mittel, um dem bösen Treiben ein Ende zu setzen? Ist es nicht gerechtfertigt, die Gesetze sausen zu lassen, wenn man anders nicht zum Ziel kommt? Ab wann beginnt ein Kampf gegen ein Drogenkartell zur Selbstjustiz zu werden? Ab wann spielen die Spezialeinheiten oder einzelne Mitglieder dann Gott, und richten mit schweren Waffen in der Hand über die Lebenden und die Toten?

Der kanadische Regisseur Denis Villeneuve schuf einen wortkargen Film in einer kargen Szenerie, in der große Hitze, Staub, Schweiß und viel Blut und Schüsse vorkommen. Einen Film mit einem unüberhörbar lauten Unterton, der durch das Schweigen und die Stille entsteht. Die Handlung hinter der Handlung, großartig im Unterbewusstsein des Zuschauers hervorgerufen durch das Beobachtungsspiel Emily Blunts. Wir sehen durch ihre Augen, wir fragen uns durch ihr Handeln: An welchem Punkt kann man sich widersetzen, wie soll sie die Regeln der Zivilisation verteidigen in einem einzigen Pfuhl von Mördern, Korruption, und wahnsinnig schnellem Abtöten, das einem Abschlachten gleich kommt, ohne Fragen zu stellen.

Optisch hervorragend umgesetzt – es sticht der Nachteinsatz mit Infrarotkameras in einem Schmugglertunnel hervor – hält der Film die im Auftakt erzeugte Spannung jede Sekunde lang und steigert sie bis zu zwei aufeinanderfolgenden dramatischen Höhepunkten am Ende des Films. Das menschliche Element, das Gewissen, hereingebracht durch die Kämpferin Kate Macer – obwohl nicht glaubhaft, dass sich in der Realität eine zierliche und trotz ihres harten Berufs menschlich gebliebene Frau an der "harte Männer"-Front durchsetzen kann – verleiht dem Film erst die richtige Tiefe. Ohne sie wäre es ein knallharter Drogenfilm, der keine großen Spuren hinterlassen hätte.  

Hilde Ottschofski / Wertung: * * * * * (5 von 5) 
 

 

 
Filmdaten 
 
Sicario (Sicario) 
 
USA 2015
Regie: Denis Villeneuve;
Darsteller: Emily Blunt (Kate Macer), Benicio Del Toro (Alejandro), Josh Brolin (Matt Graver), Victor Garber (Dave Jennings), Jon Bernthal (Ted), Daniel Kaluuya (Reggie Wayne), Jeffrey Donovan (Steve Forsing) u.a.;
Drehbuch: Taylor Sheridan; Produzenten: Basil Iwanyk, Thad Luckinbill, Trent Luckinbill, Edward L. McDonnell, Molly Smith; Kamera: Roger Deakins; Musik: Jóhann Jóhannsson; Schnitt: Joe Walker;

Länge: 121,39 Minuten; FSK: ab 16 Jahren; ein Film im Verleih der Studiocanal GmbH; deutscher Kinostart: 1. Oktober 2015



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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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