19. Mai 1999
Lustig ist das Zigeunerleben...
Schwarze Katze, weißer Kater
Schwarze Katze – das bedeutet Unglück! Doch ständig wird das Tier von einem weißen Kater begleitet – Pech und Glück sind nie weit voneinander entfernt, gehören sogar zusammen. Dieses Motiv zieht sich durch Emir Kusturicas gesamten Film "Schwarze Katze, weißer Kater". Es erklärt, warum keiner auf Dauer nicht fröhlich ist, denn Grund zur Klage hätten alle zeitweilig. Und das oft selbst verschuldet, denn kaum jemand ist ehrlich. Fast jeder versucht zwar, seine Lage zu verbessern, allerdings ausschließlich durch Betrug und Spiel.
Matko, zum Beispiel, der mit seinem 17jährigen Sohn Zare an der Donau lebt, versucht einiges, um ans schnelle Geld zu kommen, läßt sich dabei jedoch von jedem über den Tisch ziehen. Durch einen gescheiterten großen Coup hat er sich tief in den Dreck geritten: Er steht bei Dadan tief in der Kreide und soll nun, statt das Geld zurückzuzahlen, Zare an Dadans kleinwüchsige Schwester, den "Gartenzwerg", verheiraten – doch Zare liebt Ida. Und der "Gartenzwerg" empfindet nichts Besonderes für Zare. Dies ist allerdings nur ein Handlungsstrang von vielen.
"Schwarze Katze, weißer Kater" lebt jedoch nicht hauptsächlich von der erzählten Handlung. Was den Film auszeichnet, ist die Atmosphäre, die die Mentalität der Zigeuner auf die Zuschauer überschwappen läßt. Diese grandiose Wirkung ist vielen Dingen zu verdanken.
Die Menschen des Films sind sehr verschieden: die mittlere Generation ist ziemlich skrupellos hinter dem großen Geld her, im Gegensatz zu den Jungen, für die vor allem die Liebe zählt. Die Alten blicken dagegen völlig entspannt auf die übrige Gesellschaft, gleich ob arm oder reich, denn sie wissen, daß sie jetzt ihren Zustand nicht mehr entscheidend ändern werden. Es gibt Arme und Reiche, Gewinner und Verlierer. Was alle miteinander verbindet, ist die Leidenschaft zu leben. Deutlich wird dies besonders bei Ida und Zare, die beide gerade erfahren haben, daß ihr künftiges Leben verpfuscht sein wird, einfach ins Sonnenblumenfeld fahren, um dort noch einmal ihre Liebe zu genießen. Diese Leidenschaft zu leben wird perfekt verdeutlicht durch eine Musik, deren Wirkung noch exponentiell erhöht wird, weil Musiker gezeigt werden, die die Musik machen, und Tänzer, die sie genießen. Zuerst wird der Schwung nur angedeutet, ehe es beim abschließenden Hochzeitsfest kein Halten mehr gibt, weil fast nur noch Tänze der Zigeuner und der Bulgaren gespielt werden. Die Musik überwältigt den Zuschauer, läßt ihn nach dem Film nicht schlafen vor lauter Lebensfreude und zwingt sein Herz, noch Tage nach dem Kinobesuch in ihrem berauschenden Rhythmus zu schlagen. Niemals ist der Zuschauer dabei sicher vor Lachanfällen. Mal sind die lustigen Szenen lang angelegt, mal läßt eine Einblendung von nur wenigen Sekunden die Mundwinkel zucken, zum Beispiel das Schwein, das eine "Rennpappe" (früher: Trabbi) frißt. Maßgeblichen Anteil an der Komik haben die Darsteller, zum Beispiel derjenige von Dadan, einem neureichen Gauner (eigentlich ein Schwerverbrecher, aber wer will diesen munteren Leuten schon so böse nachreden?): Bei jeder Gelegenheit schnieft er Kokain und gerät dann jedesmal dermaßen aus dem Häuschen, daß er sich nahezu affengleich auf die Brust trommelt und brüllt: "I´m a Pitbull!" Der zweite, noch "erfolgreichere" Gauner, kann sich die Schlußszene von "Casablanca" nicht oft genug ansehen. Weil er gehbehindert ist, hat er einen seltsamen Untersatz, der Auto, Schaukelstuhl und Bett zugleich ist. Er ist ein Spiegelbild seiner Gesellschaft, denn er vereinigt Gegensätze: Goldzahn im Mund, Techno-Sonnenbrille vor den Augen. Und sein Kettenanhänger vereinigt die Symbole von Christentum, Judentum und Islam in einem Kreis. Schon bald nach Anfang des Films begreift man die Lebensfreude, die hier geschpielt wird, lehnt sich zurück und beginnt, nur noch zu genießen – ohne durch den Film dabei je enttäuscht zu werden. Am Ende ist man so gefangen von der Stimmung und dem Schwung, daß man bedauert, keinen Whiskey zur Hand zu haben, um dem alten Goldzahn mit der Technobrille zuprosten zu können – in gebrochenem Englisch und natürlich mit seinen Lieblingsworten: "I think, this is the beginning of beautiful friendship."
Tobias Vetter
/ Wertung:
* * * * *
(5 von 5)
Filmdaten Schwarze Katze, weißer Kater (Crna macka, beli macor) Deutschland / Frankreich / Jugoslawien 1998 Regie: Emir Kusturica; Drehbuch: Gordan Mihic; Produktion: Ciby 2000/Pandora Film/Komuna/France Cinéma; Produzent: Karl Baumgartner; Kamera: Thierry Arbogast; Musik: Nelle Karajlic, Vogislav Aralica, Dejan Sparavalo; Schnitt: Svetolik Mica Zajc, Mirjana Kicovic; Darsteller: Bajram Severdzan (Matko), Srdan Todorovic (Dadan), Branka Katic (Ida), Forijan Ajdini (Zare), Ljubica Adzovic (Sujka), Zabit Memedov (Zarije), Sabri Sulejmani (Grga Pitic), Jasar Destani (Grga Veliki), Adnan Bekir (Grga Mali) u.a. Länge: 130 Minuten; Verleih: Arthaus
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