06.08.2000

Ringo

Eine nur auf den ersten Blick einfach scheinende Handlung: Eine bunt zusammengewürfelte Gruppe muss sich auf ihrer Reise in einer Postkutsche gegen übermächtig wirkende Indianer unter der Führung des Apachenhäuptlings Geronimo wehren. Mit Hilfe des flüchtigen Sträflings Ringo Kid gelingt es den Reisenden, dem Indianerangriff bis zur rettenden Ankunft der Kavallerie zu trotzen.

Arizona in den 1880er Jahren. Es ist nur ein Wort, das vor der Zerstörung der Telegraphenleitung in das Provinzstädtchen Tonto dringt: Geronimo. Doch die bloße Erwähnung des legendären Apachenhäuptlings fährt den biederen Siedlern in Mark und Bein. Dennoch wagt eine Postkutsche die Fahrt in das einige Tagesreisen entfernte Lordsburg (New Mexico). Zu den Insassen gehören auch die Prostituierte Dallas, die einer bürgerlichen Scheinmoral zum Opfer fällt und auf Drängen der Law-And-Order-League die Stadt verlassen muss, und der korrupte Bankier Gatewood, der die Gelder seiner Bank veruntreut hat und hofft, sich nach Lordsburg absetzen zu können. Unfreiwillig stößt der verurteilte Sträfling Ringo hinzu, der aus dem Gefängnis ausgebrochen ist, um sich an den drei Plummer-Brüdern zu rächen, die für den Mord an seiner Familie verantwortlich sind.

Die Fahrt gestaltet sich als schwierig. Immer deutlicher treten Anzeichen der Zerstörung durch die Apachen zu Tage, doch auch unter den Reisenden häufen sich - da die schützende Maske der Zivilisation wegfällt - die Konflikte: Der Bürger trifft auf den Outlaw, die Ehefrau auf die Prostituierte, der Südstaatler auf den Nordstaatler, der Alkoholiker auf den Whiskey-Vertreter. Doch bei dem spektakulären - ganz im Stile des Western-Malers Remington gehaltenen - Indianerüberfall bewähren sich besonders die sozial geächteten Mitglieder der Gruppe, während die Vertreter der sogenannten besseren Gesellschaft versagen. Nach der sprichwörtlichen Rettung in letzter Minute durch die Kavallerie (das rettende Hornsignal und die erste Großaufnahme der Standarte erinnern in dieser Kombination an den dritten Aufzug von Wagners Tristan und Isolde, da eben diese Zeichen dem todkranken Tristan die erlösende Ankunft Isoldes signalisieren) trifft die Kutsche in Lordsburg ein. Während Gatewood verhaftet wird, kann Ringo nach dem finalen Duell mit den Plummers zusammen mit Dallas ein neues Leben jenseits der Grenze ("geschützt vor den Errungenschaften der Zivilisation") beginnen.

Fords Film, bzw. die auf Maupassants Boule de suif basierende Romanvorlage Stage To Lordsburg von Ernest Haycox, hält sich streng an die aristotelische Einheit von Ort, Zeit und Handlung, denn trotz der faszinierenden Landschaftsaufnahmen spielt sich der Großteil der Handlung im Innern des Mikrokosmos Kutsche ab, die die mit viel Liebe zum Detail gezeichneten Figuren in den Vordergrund rückt. Wie auch in der griechischen Tragödie muss der Held - hier die Gruppe - ein bildliche Höllenfahrt unternehmen, in deren Verlauf er mit widrigen Umständen konfrontiert wird, die seine Schwächen bloßlegen. Erst durch deren Überwindung kann er symbolisch wiedergeboren werden und geläutert eine neue Bewusstseinsebene erlangen. Die Hölle, eine flache, konturlose Wüste, die die Ausweglosigkeit zeigen soll, wird nach einer Flussüberquerung (Styx!) betreten. Die Indianer stellen die Teufel dar, wild, übernatürlich, aber auch profil- und namenlos. Ford setzt hier nicht auf historische Tatsachen, sondern auf die kollektive Urangst vor dem Unerklärbaren, die in dem allgegenwärtigen Schreckensruf "Geronimo" ihren Ausdruck findet.

In Ringo haben nicht nur typische Western-Topoi (der good bad man, die Prostituierte mit dem goldenen Herzen, die Rolle der Kavallerie - ja sogar das berühmt-berüchtigte "Manchmal muss ein Mann tun, was ein Mann tun muss") ihren Ursprung, Ford gelingt es auch, das Wild-West-Genre in eine ernsthafte Kunstform zu verwandeln, das Meisterwerke wie The Searchers, Winchester '73, Cera Una Volta Il West oder Little Big Man hervorbringt. Der Einfluss reicht aber auch über den Western hinaus. So gibt Orson Welles an, der auf die Frage nach den drei größten Regisseuren stets mit "Ford, Ford und Ford" antwortete, vor seiner Arbeit an Citizen Kane Ringo weit über vierzig mal gesehen zu haben.

 

Stefan Strucken / Wertung: * * * * * (5 von 5)



Filmdaten

Ringo
(Stagecoach)

deutscher Alternativtitel: Höllenfahrt nach Santa Fé

USA 1939
Regie: John Ford
Darsteller: John Wayne (Ringo Kid), Claire Trevor (Dallas), John Carradine (Mr. Hatfield), Thomas Mitchell (Doc Boone), Donald Meek (Peacock) u.a.;
Drehbuch: Dudley Nichols; Kamera: Bert Glennon; Musik: Richard Hageman, W. Franke Harling, John Leipold, Leo Shuken

Länge: 97 Minuten; FSK: ab 12 Jahren;
Kinostart: Erstaufführung BRD 13.10.1950;

Auszeichnungen:
Academy Award 1940 (Richard Hageman, W. Franke Harling, John Leipold und Leo Shuken für die Beste Musik und Thomas Mitchell als Bester Nebendarsteller; nominiert: Bester Film, Bert Glennon für die Beste s/w-Kamera, John Ford als Bester Regisseur, Otho Lovering und Dorothy Spencer für den Besten Schnitt).



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