2. 3. 2006
Glaube vs. Vernunft

Requiem


RequiemIhre Eltern sind streng religiös, sie selbst ist es in geradezu schwärmerischer Manier - Michaela (Sandra Hüller) will dennoch ihren Weg im Leben finden, was zwangsläufig bedeutet, sich mit einer säkular orientierten Gesellschaft auseinanderzusetzen. Es bedeutet eine Zerrissenheit, an der Michaela scheitern muss. Regisseur Hans-Christian Schmid verfilmte frei eine wahre Begebenheit, die 1976 in einem tödlich endenden Exorzismus kulminierte. Hauptdarstellerin Hüller erhielt für ihr Filmdebüt zu recht die Auszeichnung als Beste Schauspielerin der Berlinale 2006.

Vor vielleicht noch fünf Jahren wäre dieser Film als absolut anachronistisch betrachtet worden. Die Zeiten ändern sich, das Zeitalter der Spaßgesellschaft gilt als vorbei, Religiosität ist wieder angesagt, in manchen Staaten auch der westlichen Welt sogar als Doktrin. Wenngleich es vorkommen soll, dass katholische Weltjugendtage in Horden weggeworfener Kondome ihre profanen Spuren hinterlassen. Die Glaubenslehre der Katholischen Kirche mag ad absurdum geführt werden so, die Diskrepanz zwischen weltlichem Pragmatismus und inniger Religiosität wird dadurch von manchem sehr wohl sehr gläubigen Menschen spielerisch ausmanövriert, von möglicher Zerrissenheit keine Spur. Auch die knapp 20-jährige Michaela in Hans-Christian Schmids ruhigem Film "Requiem" wird einmal, erstmals, zum einzigen Mal Sex haben, wider alle Dogmen, wider ihre Glaubenstreue. Danach folgt für Michaela der endgültige Zusammenbruch. Sie wird anschließend von ihm, Stefan, einem Kommilitonen, der nicht mehr weiter weiß, kurz vor Schluss des Films zu ihren Eltern zurückgefahren. Vor allem die Mutter müsste in diesem jungen Mann in dem Augenblick alles profane Feindliche verbildlicht sehen, wovor sie ihre Tochter bewahren wollte. Dazu kommt es nicht mehr. Die Eltern haben andere Sorgen: Michaelas psychische Krankheit ist zu weit fortgeschritten. Was tun? Es wird nicht ein Arzt geholt. Es wird der Pfarrer gerufen...

Requiem Glaube gegen Vernunft, schwärmerische Mystik gegen die der Aufklärung zu verdankenden Fortschritte in der Wissenschaft - auf den Grundkonflikt, den diese Antipoden unter den Idealen in Gegenüberstellung bilden, ist der Inhalt von "Requiem" reduziert. Dies aber in einer nüchternen, belehrungsfreien Form, die angesichts der zu dem Thema bereits fanatisch geführten Debatten geradezu wohltuend ist. Die sogenannten Kreationisten sagen, Gott habe die Welt auf den Weg dahin gebracht, wo sie jetzt ist; die Wissenschaft hebt Darwins Lehre aufs Podest, die Intelligenz der Kreaturen entstand aus sich selbst heraus, Gottes Schöpfung außen vor, sie passt nicht in den Forschungslaizismus. Man könnte auch an beides zusammen "glauben". Diese Zwischenlösung ist von beiden Seiten nicht erwünscht. Stattdessen wird Darwin mancherorts gar komplett aus der Schullektüre gestrichen, ersetzt durch Adam und Eva. So sehr die junge Heldin von "Requiem" sich mit ihrer Mutter streitet: Sie wählt wie diese den Glaubensweg und sieht Ärzte im Verlauf des Films immer weniger imstande, ihr Dilemma, das zu einer sukzessive stärkeren Erkrankung führt, zu beseitigen.

RequiemIn den 70er Jahren in dörflicher Kleinbürgeratmosphäre wächst Michaela auf, fromm, weil geprägt duch ihre Eltern. Sie wagt es, den Wunsch zu äußern, den Mikrokosmos zu verlassen, sich der Außenwelt anzunähern. Sie möchte ein Studium beginnen. Die Mutter (Imogen Kogge) ist entsetzt, wie könne sie es wagen, "wegen der Sache". Epileptische Anfälle haben Michaelas Jugend bestimmt. Es ist evident, dass für die Filmemacher Schmid und Drehbuchautor Lange jene Krankheitssymptome bereits zu Anfang des Films allegorisch für die Abwehrhaltung gegenüber den kommenden Diskrepanzen stehen; Glaubensmystik kann nicht mit liberalem Studentenleben einhergehen, aktiv nicht für die Tochter, passiver nicht für die Mutter, schon gar nicht kurz nach 1968. Die Einstellung des Vaters (Burghart Klaußner) derweil steht für den Versuch der Versöhnung beider Extreme, Vater Karl unterstützt heimlich seine Tochter in ihrem Ablösungswillen, möglichst heimlich, den zu direkten Konflikt mit seiner Frau scheut er. Denn auch er ist fromm und sich der letztlichen Unvereinbarkeit der Ideale bewusst.

Diese treffen schon in der Anfangsszene aufeinander: Michaelas privates Gebet um einen Studienplatz wird erhört. Dieses Studium wird Michaela nicht beenden; sie wird bald Stimmen hören, die sie - in klareren Momenten - den Eindruck gewinnen lassen, der Teufel versuche ihrer Herr zu werden. Eine Freundin an der Universität rät zum Aufsuchen der Psychiatrie; es ist zu spät. Wissenschaft ist pragmatisch, daher glaubensfern, also nicht für Michaela wie für ihre Mutter geeignet. So ist es auch eine dezente ironische Spitze von Schmid und Lange, dass Michaela als Studentin, somit in der Forschung, scheitern muss. Die beiden Filmemacher gehen bei der Darstellung dieses Dualismus sogar fair mit der Katholischen Kirche um, zwei Kleriker werden im Film vorgestellt, der eine, der Dorfpfarrer Michaelas, erkennt das Konfliktpotenzial, das durch das frömmelnde Schwärmen hervorgerufen wird und versucht vergeblich, eine realistische, nüchterne Betrachtung des Vorfalls zu retten; ein anderer, jüngerer, steuert Michaela geradewegs in die Teufelsaustreibung und damit in ihren Untergang, den der Film nicht mehr zeigen wird.

RequiemAuch eine gewisse Anneliese Michel starb 1976 durch die Folgen mehrerer Dutzend Exorzismen, an Unterernährung und Entkräftung. Das fränkische Dorf Klingenberg wurde zum Wallfahrtsort für jene Katholiken, die Michel für eine Märtyrerin halten. Immerhin, der Vatikan hat Michel fürs Erste noch nicht als solche anerkannt. Gleichwohl sieht der Vatikan Teufelsaustreibungen weiterhin und gegenwärtig stärker als lange Zeit unkritisch als notwendig an. Kurz vor "Requiem" lief der US-Film "Der Exorzismus von Emily Rose" in den deutschen Kinos, auch basierend auf den Ereignissen von Klingenberg. Das Unheil kommt mal wieder aus deutschen Landen, ist man versucht zu sagen. Schmid und Lange gehen behutsam mit ihrer Interpretation des Stoffs um, vielleicht zu behutsam, zu leise; "Requiem" kann aufrüttelnd wirken, aber dies ist eine Frage des Intellekts des Zuschauers, wie sehr er sich auf eine Hinterfragung der gezeigten unerhörten Begebenheit einzulassen imstande ist.  

Michael Dlugosch / Wertung: * * * * (4 von 5) 
 

Quelle der Fotos: X-Verleih

 
Filmdaten 
 
Requiem (Deutschland 2005) 
 
Regie: Hans-Christian Schmid ("Nach fünf im Urwald", "23", "Crazy");
Darsteller: Sandra Hüller (Michaela Klingler), Burghart Klaußner (Karl Klingler), Imogen Kogge (Marianne Klingler), Friederike Adolph (Helga Klingler), Anna Blomeier (Hanna Imhof), Nicholas Reinke (Stefan Weiser), Walter Schmidinger (Gerhard Landauer), Jens Harzer (Martin Borchert), Irene Kugler (Heimleiterin), Johann Adam Oest (Professor Schneider), Eva Löbau (Krankenschwester) u.a.; Drehbuch: Bernd Lange; Produktion: Hans-Christian Schmid; Ausführende Produzentin: Uli Putz; Redaktion: Sabine Holtgreve (SWR), Georg Steinert (ARTE), Wolf-Dietrich Brücker (WDR), Bettina Reitz (BR); Kamera: Bogumil Godfrejow; Länge: 92 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von X-Verleih



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Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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