22.01.2013
Letzte Chance Alpencamp

Puppe (2012)


Puppe (2012): Anke Retzlaff Filme wie "Prinzessin" (2007) haben schon gezeigt, dass es unter deutschen Straßenkindern auch Mädchen gibt, denen man nicht blöd kommen darf. Dann reagieren sie schnell ungewöhnlich brutal. Anna (Anke Retzlaff) aus Duisburg ist in "Puppe" so eine Heranwachsende, die auf die schiefe Bahn geraten ist. Die 16-Jährige erhält eine letzte Chance, sich zu bessern – im Erziehungscamp von Geena (Corinna Harfouch), das inmitten der Walliser Alpen liegt. Auch Magenta (Sara Fazilat), ebenfalls aus Duisburg und Heranwachsende, ist dort untergebracht. Eine Begegnung mit fatalen Folgen.
Das stilistisch originelle Langfilmdebüt des Münchner Filmhochschulabsolventen Sebastian Kutzli ist wohltuend unsentimental. Die auf zwei Ebenen spielende Handlung wirkt am Schluss des Films allerdings aufgesetzt.

Perspektiven für ihr weiteres Leben bräuchte die junge Anna. Dabei hat sie bereits ein Leben hinter sich: Sie hat eine Menge heftiger Erfahrungen machen müssen. Der Zuschauer erfährt dies allmählich – und doch nur unzureichend – in immer wieder eingestreuten, wie Flashbacks inszenierten Rückblenden. Es war ein Leben auf der Flucht, ohne Obdach und voller Gefahren. Die Stadt Duisburg hat man schon lange nicht mehr in so hässlichen Bildern gezeigt; Bilder, die im extremen Kontrast zu den Bildern der Bergwelt stehen. Anna wird am Anfang des Films von Camp-Leiterin Geena in das alpine Erziehungscamp gefahren. Hier, zwischen Kühen und Ziegen, soll Anna lernen, sich wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Aber alles kommt anders, als sie im Camp auf die etwa gleichaltrige Magenta trifft. Diese ist ebenfalls ein Straßenkind aus Duisburg, ein Zufall, der am Schluss des Films eine Rolle spielen wird.

Puppe (2012): Anke Retzlaff "Mach es wie die Sonne. Jeder Tag ist ein neuer Tag." Der Spruch der Erzieherin stößt bei dem Neuling im Camp auf taube Ohren. Anna ist zu verwahrlost, zu verdorben, als dass sie aufmunternde Worte hören wollte. Die beiden Sätze, die Corinna Harfouch in den Mund gelegt werden, sind die einzigen kitschigen Äußerungen des ganzen Films, der ansonsten sachlich und nüchtern bleibt, angelehnt an das Verrohtsein Annas und Magentas. Beide planen eine Flucht nach Italien, um sich nach deren Scheitern zu hassen. Dieser Hass wird kein Ende nehmen, erst recht nicht, als Anna anhand einer Puppe entdeckt, dass die beiden eine gemeinsame Vorgeschichte haben. Zu diesem Zeitpunkt weiß der Zuschauer bereits, dass ein anderes Mädchen, Annas Freundin Leila, sterben musste. Hier unternimmt Sebastian Kutzlis Film einen instabil inszenierten Ausflug ins Genre Thriller.

Drehbuchautorin Marie Amsler griff für ihre Vorlage auf ihre eigenen Erfahrungen in einem Camp für Mädchen in den Pyrenäen zurück. Nur in Ansätzen gelingt es, die Beobachtungen, die Amsler machte, im Film zu vermitteln. In den Rückblenden ist zu viel von der Flucht und zu wenig von Hintergründen zu sehen: Was ging in Anna und Leila vor, wovor flohen sie? Man kann es nur erahnen, bis in der letzten Rückblende mehr aus der Vergangenheit der drei Mädchen erklärt wird.

Puppe (2012): Corinna Harfouch Was von dem dramaturgisch nicht ganz ausgereiften Film bleibt, ist die darstellerische Leistung der Schauspielerinnen und die in sehr schönen Bildern festgehaltene Gegenüberstellung zweier Welten, die Regisseur Sebastian Kutzli nach seinen eigenen Worten "schon immer gefesselt haben: die Wildnis Großstadt, in der es keinen Horizont, aber immer irgendeinen Unterschlupf gibt; und die Weite der Berge, die in ihrer Klarheit etwas Unerbittliches und Unnahbares haben kann. Und zwischen diesen Welten das Mädchen Anna."  

Michael Dlugosch / Wertung: * * * (3 von 5) 
 

 
Filmdaten 
 
Puppe (2012)  
 
Deutschland / Schweiz 2012
Regie: Sebastian Kutzli;
Darsteller: Corinna Harfouch (Geena), Anke Retzlaff (Anna), Sara Fazilat (Magenta), Jella Haase (Leila), Christoph Gaugler (Francis), Anne Haug (Julie) u.a.;
Drehbuch: Marie Amsler; Produktion: enigma Film GmbH in Koproduktion mit Dschoint Ventschr Filmproduktion AG; Produzenten: Clarens Grollmann, Fritjof Hohagen; Kamera: Stephan Vorbrugg; Musik: Gert Wilden Jr.; Schnitt: Wolfgang Weigl;

Länge: 89,10 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von W-film Distribution; deutscher Kinostart: 21. Februar 2013



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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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