15.02.2013
On the Road

Prince Avalanche


Prince Avalanche: Emile Hirsch, Paul Rudd "Können wir einfach die Stille genießen?" Nein, können wir nicht. Denn da sind Alvin (Paul Rudd) und Lance (Emile Hirsch) mit ihrem Werkzeug. Der kauzige Straßenarbeiter und sein junger Assistent erneuern die Markierungen auf einer texanischen Landstraße. Der Arbeitsgang der Protagonisten mag einen erkennbaren Sinn haben; der Handlungsgang hat ihn nicht. Alvin und Lance malen mit gelber Farbe Streifen auf die Fahrbahn und stellen neue Pfeiler auf. Auch David Gordon Green will offenbar ein Zeichen setzen. Das weist so unübersehbar wie die Straßenpfosten die Richtung, die der Regisseur und Drehbuchautor mit "Prince Avalanche" eingeschlagen hat: zurück zum Independent-Kino, über das er gleich einer Lawine als Kronprinz einbrechen will.

Das wäre zumindest eine Erklärung für den eigenwilligen Filmtitel. Dann müsste man nicht vermuten, dass er auf die Wortkombination nur tippte, weil sie irgendwie cool alternativ kling – oder als ob man die Namen der Protagonisten schnell hintereinander ausspricht: "Alvinlance". Alvinlance schiebt seine Farbkarre und den Plot ohne inhaltliches Ziel in die immer gleiche Richtung. "Es ist eine lange Straße", verkündet Alvin, dessen Worte auch für die gefühlte Filmdauer gelten. Die Farbdramaturgie, die das grelle Gelb der Markierungen mit den erdigen Naturtönen kontrastiert, der eingängige Soundtrack und die sympathischen Darsteller geben dem skurrilen Roadmovie eigenwilligen Charme, doch er wird beständig ausgebremst durch die Flüchtigkeit der Personenskizzen. Ohne dass der Arbeits- oder Lebensweg, der bereits hinter ihnen liegt, eine Erklärung dafür gäbe, wirken sie perspektivlos und ausgebrannt. Alvinlance ist eine fleischgewordene Verkörperung der ihn umgebenden Kulisse, seine innere Natur ein Spiegelbild der äußeren.

Ein verheerendes Wildfeuer hat das üppige Dickicht in karge Reihen verkohlter Baumstümpfe verwandelt. 40.000 Hektar Waldland zerstörten Bränden in Texas, erklärt zu Beginn des filmischen Dauerlaufs eine Textkarte. Das war in den Achtzigern, die zum Handlungszeitpunkt noch nicht ganz vorbei sind. Deshalb trägt Alvin einen Schnauzbart und Lance eine Vokuhila-Matte. Auf leicht überhebliche Weise versucht Green sich darüber lustig zu machen wie über Alvins Naturverbundenheit (die Siebziger sind noch nicht so lange her) und Lance' Materialismus (die Neunziger sind nicht mehr lange hin). Aber mitlachen möchte man nicht. Zu unangenehm ist die inszenatorische Kalkulation der Story, die unverdient origineller scheint, da das isländische Original "Either Way" von 2011 eher obskur ist. Dieses Schicksal droht "Prince Avalanche" unmittelbar nach dem die 94 Minuten wortwörtlicher Laufzeit bewältigt sind. Der Weg ist das Ziel und führt die Wandernden zu sich selbst und näher zueinander. Die Allegorie von Orientierungslosigkeit wirken ähnlich aufgesetzt wie die psychischen Parallelen der gar nicht so gegensätzlichen Figuren, die ihre Kontaktschwäche kaschieren.

Während Lance Nähe auf Körperlichkeit reduziert, weicht Alvin ihr durch Rückzug in die Natur aus. "Allein sein ist nicht das gleiche wie einsam sein", erklärt Alvin, der das schmerzvolle Gesicht der Verlassenheit an einem philosophierenden Trucker (Lance LeGault) und einer geisterhaften Frau (Joyce Payne) erkennt. Die beiden einzigen Nebenfiguren bringen ein surreales Flair in das vage gespenstische Waldszenario verkohlter Stämme, zwischen denen Esel mit verheilten Brandwunden das keimende Grün zupfen und Stinktiere die Kadaver überfahrener Schildkröten anknabbern. Verletzt zeigt sich die Natur von einer seltsamen Schönheit. Die harmonische Bildsprache, die Kameramann Tim Orr für diesen geheimen Zauber findet, überdauert als melancholische Andeutungen dessen verlorenen poetischen Potentials.

"Ich hoffe, ich mache noch ein Remake davon", sagt Green. Vielleicht den Film, der "Prince Avalanche" schon beim ersten Mal hätte sein können.  

Lida Bach / Wertung: * * * (3 von 5) 
 

Quelle des Fotos: Scott Gardner

 
Filmdaten 
 
Prince Avalanche (Prince Avalanche) 
 
USA 2013
Regie: David Gordon Green;
Darsteller: Paul Rudd (Alvin), Emile Hirsch (Lance), Lance LeGault (Truck Driver), Joyce Payne (Lady), Gina Grande (Madison) u.a.;
Drehbuch: David Gordon Green nach dem Drehbuch des isländischen Films "Either Way" (2011); Produktion: To Get to the Other Side; Kamera: Tim Orr; Musik: Explosions in the Sky, David Wingo; Schnitt: Colin Patton;

Länge: 93,35 Minuten; FSK: ab 6 Jahren; ein Film im Verleih von Kool Filmdistribution; deutscher Kinostart: 26. September 2013
ein Film im Wettbewerb der 63. Berlinale 2013, Silberner Bär für die Beste Regie (David Gordon Green)



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der Film im Katalog der 63. Berlinale 2013
<15.02.2013>


Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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