5. Januar 2006

Alterndes Alphatier

An einem klaren Tag

Was ist das britische Kino ohne die Sozialkomödie? Unbekannt. Filme wie "Trainspotting", "Billy Elliot" oder "Ganz oder gar nicht" haben in Deutschland das Bild des stereotyp-britischen Films geprägt. Auch "An einem klaren Tag" fügt sich nahtlos in diese Exportsparte britischen Kinos ein, ohne allerdings nennenswerte Neuerungen einzuführen.

Nach der Fertigstellung eines Passagierkreuzers wird der in die Jahre gekommene Schiffsbauingenieur Frank (Peter Mullan) gefeuert. Um nicht im Alltag eines Arbeitslosen zu ertrinken, findet der begeisterte Amateurschwimmer schnell ein neues Ziel: den Kanal durchschwimmen. Mit der Hilfe einiger von Shakespeare entlehnter Spaßmacher und Galgenvögel durchlebt er die handelsübliche Handlungskurve, durchschwimmt zuletzt den Kanal, löst nebenbei ein tiefes Trauma und versöhnt sich am Ende mit dem verstoßenen Sohn – all’s well that ends well.

War die Handlung von Sozialkomödien noch nie sonderlich tiefgründig, so ist doch bemerkenswert, wie überraschend dünn die Sozialkritik bei "An einem klaren Tag" ausfällt. Die Schrecken der sozialen Hölle Arbeitslosigkeit zeichnen sich vor allem durch eines aus: ihre völlige Abwesenheit. Nachdem Frank wie eine Schuppe von dem Ziel seines wirtschaftlichen Lebens, dem Schiff, abfällt, befällt ihn keine Wut gegen die Maschine oder zumindest eine Sinnkrise.

Vielmehr erweist er sich als ein im (Arbeiter-) Stolz gekränktes Alphatier, das sich mit aller Kraft gegen das Altenteil sträubt – darin, den Wehen und Wehwehchen in die Jahre gekommener Männer, ähnelt "An einem klaren Tag" übrigens einigen der jüngsten Elaborate aus Hollywood. Die wenigen sozialkritischen Elemente – der arbeitslose Sohn, der den braven Hausmann gibt, Franks Ehefrau, die als Busfahrerin das weg gebrochene Einkommen einfährt und dies vor ihrem Mann verschweigt – gehen über ihre bloße Andeutung nicht hinaus; die Handlung ist auf Frank und seine Komplexe beschränkt. Bedenkt man Zeit und Ort des Films, das gegenwärtige Großbritannien, so verwundert das kaum. Wo die Protagonisten in "Billy Elliot" noch die Zerstörerin sozialer Welten, Margaret Thatcher, im legendären winter of discontent mit ganzem Herzen verachten konnten, da gibt es dieser Tage kein solches Feindbild. Labour delektiert sich an den Früchten der Liberalisierung, die Arbeitslosenquote ist niedrig, das Leben ein hingenommenes rat race.

In diesem Sinne tut Frank, was die Stunde gebietet, und sucht den Fehler bei sich. Nach erfolgreicher Basislektion im Marktliberalismus fehlen nur noch weitere fünf Minuten, die Frank auch wirtschaftlich belohnen, um diese uninspirierte Sozialkomödie zu beenden. Man kann nur hoffen, dass es demnächst trotz aller Wohlfahrt wieder Kritischeres gibt. Oder gerade wegen aller Wohlfahrt, wie der zunehmende Materialismus zeigt: Einkaufen rangiert auf Platz Eins unter den Hobbys Jugendlicher. Eine Sozialkomödie aus Sicht einer saturierten Mittelschicht – das wäre mal eine willkommene Neuerung im Genre.


 
Thomas Hajduk / Wertung: * * * (3 von 5)

Quelle der Fotos: Icon Movies


Filmdaten

An einem klaren Tag

On A Clear Day
GB 2005
Regie: Gaby Dellal; Buch: Alex Rose; Darsteller: Peter Mullan, Brenda Blethyn, Jamie Sives, Billy Boyd, Sean McGinley, Ron Cook, Jodhi May, Benedict Wong; Produzenten: Sarah Curtis and Dorothy Berwin



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