20.07.2013
In der Hitze des Tages

Nur die Sonne war Zeuge


Es ist heiß, glühend heiß in der prallen Sonne, von der René Cléments "Plein Soleil" seinen Titel leiht. Aber Tom Ripley (Alain Delon) ist niemand, der leicht ins Schwitzen gerät. Niemand, der sich leicht die Finger verbrennt. Ein Niemand. Doch damit ist es vorbei dank des unbekümmerten Philippe Greenleaf (Maurice Ronet), der alles hat, wonach sein neuer Freund giert: ein Erbe in Aussicht, seine hübsche Freundin Marge (Marie Laforêt), ein Luxusleben in Rom. Von dort soll Tom den verwöhnten Elitesohn im Auftrag dessen Vaters zurückholen. Doch der Hang zum Bösen wurzelt tief in Tom und die strahlende Mittelmeersonne lässt ihn erblühen...

Nur die Sonne war Zeuge: Cover der DVD "Nur die Sonne war Zeuge" bei der Tat, bei der sich der trügerisch unbedarfte Protagonist als so unbarmherzig entpuppt wie das Gestirn. In seinem Glanz räkelt sich auch Tom seit seiner kurzen Bekanntschaft mit Philippe und dem süßen Leben: "La Dolce Vita" wie in Fellinis zynischer Satire, die mit Cléments kriminalistischer Studie den Komponisten Nino Rota teilt. Rotas lustvolle Kompositionen becircen und steigen unmerklich zu Kopf, raffiniert und tückisch wie Henri Decaës flirrende Kameraaufnahmen. Die Aussicht, mit der er Philippe, Tom und schließlich den Zuschauer verführt, ist eine Theaterkulisse mit doppeltem Boden. Alle Charaktere täuschen sich ineinander. Je näher sie einander stehen, desto fataler, ob für sie oder aber die anderen. Zu jenen anderen zählt Philippe, den Toms Bewunderung zu Beginn so sehr schmeichelt wie sie ihn bald darauf anödet. Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten. Ihn empfindet Tom nach Philippes Zurückweisung umso frostiger, denn er hat sich allzu schnell an die erhöhten Temperaturen an weißen Stränden und auf noch weißeren Yachten akklimatisiert.

Nur die Sonne war Zeuge Der junge Alain Delon wurde mit seinem intensiven Porträt zum Star, doch die zentrale Rolle in Cléments anspielungsreichem Thriller gehört der Sonne. Ihr Glanz steht sowohl für die willkürliche Gunst des Schicksals gegenüber reich und arm als auch Toms Verhältnis zu Philippe. Der unscheinbare Opportunist umkreist den wohlhabenden Gefährten wie ein Trabant, der seinen Fixstern benötigt, um die eigene Bahn zu halten. Philippe weiß das und genießt es den anhänglichen Begleiter zunehmend zu marginalisieren. Die Abgrenzung gipfelt im praktischen Ausschluss Toms, der nach einem Streit auf See ins Rettungsboot verbannt wird. Mit der Sicherungsleine reißt das kameradschaftliche Band zwischen Philippe und Tom, dem das Herumtreiben auf offenem Gewässer die eigene Haltlosigkeit vor Augen führt. Die Dreiecksbeziehung zwischen ihm, Tom und Marge enthüllt ihr wahres Gesicht als erotischer Konkurrenzkampf um Marges Liebsten, dem Tom ebenfalls verfallen ist. Wenn die Männer auf Vergnügungstouren Frauen teilen, kompensieren sie dabei zugleich unterschwellig ihr Verlangen füreinander.

Nur die Sonne war Zeuge Wenn Tom den Freund in dessen Schlafzimmer imitiert und sein Spiegelbild küsst, liebkost er damit symbolisch Philippe. Zugleich ist der verräterische Akt Generalprobe der Personifikation, die das plötzliche Verschwinden des reichen Adelssprosses verschleiert. Indem er selbst dessen sozialen und privaten Platz einnimmt, ist Tom seinem Ziel, nämlich Philippe und dessen Leben, so nah wie er es nur sein kann und dennoch unendlich fern. Die schwülen Szenen stecken voller Kippbilder und -figuren, die unvermittelt vom Verlockenden ins Abgründige wechseln. Hinter dem Pittoresken schwelt das Pathologische, hinter dem Malerischen lauert das Mörderische. Diese visuelle und dramatische Ambivalenz zeigt die remasterte Filmfassung, die Arthaus abgerundet mit zwei Featurettes anlässlich Cléments 100. Geburtstags herausgibt, im ursprünglichen Glanz. So kann frei nach einem Zitat Patricia Highsmiths über den Antihelden ihrer Romanvorlage sich auch der Filmfreund über "den unzweideutigen Triumph des Bösen über das Gute" freuen.  

Lida Bach / Wertung: * * * * (4 von 5) 

 
Filmdaten 
 
Nur die Sonne war Zeuge (Plein Soleil) 
 
Frankreich / Italien 1960
Titel für den englischsprachigen Markt: Purple Noon
Regie: René Clément;
Darsteller: Alain Delon (Tom Ripley), Maurice Ronet (Philippe Greenleaf), Marie Laforêt (Marge Duval), Erno Crisa (Riccordi), Frank Latimore (O'Brien), Bill Kearns (Freddy Miles), Ave Ninchi (Signora Gianna), als Gast: Romy Schneider (Freddys Begleiterin) u.a.;
Drehbuch: René Clément, Paul Gegauff nach einem Roman von Patricia Highsmith; Produktion: Raymond Hakim, Robert Hakim; Kamera: Henri Decaë; Musik: Nino Rota; Schnitt: Françoise Javet;

Länge: 118 Minuten (Kino) bzw. 112 Minuten (DVD / Blu-ray); FSK: ab 16 Jahren; westdeutscher Kinostart: 16. September 1960



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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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