17.11.2008
Ein deutsch-deutsches Einzelschicksal

Novemberkind


Novemberkind: Anna Maria Mühe Inga (Anna Maria Mühe) glaubte immer, ihre Mutter wäre früh bei einem Badeunfall ums Leben gekommen. Bei den Großeltern in der DDR ist sie seitdem aufgewachsen. Erst ein Fremder (Ulrich Matthes) klärt sie darüber auf, dass sich die Geschichte anders zugetragen hat. Doch auch Robert verschweigt Inga gegenüber etwas Wesentliches.
Mit "Novemberkind" präsentiert Regisseur Christian Schwochow sein Abschlusswerk an der Filmakademie Baden-Württemberg, zusammen mit seiner Mutter Heide schrieb er auch das Drehbuch. Der Film ist nur teilweise gelungen: Die Handlung wirkt konstruiert, die Bildsprache hingegen gehört zum Besten, was im Jahr 2008 im Kino zu sehen war.

Die Schauspielerin Anna Maria Mühe, zum Zeitpunkt der Dreharbeiten von „Novemberkind“ 22 Jahre alt, verlor bereits ihre berühmten Eltern. Jenny Gröllmann und Ulrich Mühe starben 2006 und 2007. In „Novemberkind“ ist die von Anna Maria Mühe dargestellte Inga auf der Suche nach der totgeglaubten Mutter. Eine weitere Parallele zum wirklichen Leben der Anna Maria Mühe findet sich: Vater Ulrich Mühe spielte einen bekehrten Stasi-Mann in „Das Leben der Anderen“. In „Novemberkind“ trägt Tochter Anna Maria ein anderes DDR-Schicksal zur Schau.

NovemberkindDenn ihre Inga, eine Bibliothekarin in der ostdeutschen Provinz der Gegenwart, muss erfahren, dass ihr Leben in der DDR auf einer Unwahrheit aufgebaut war. Ihre Umgebung, vor allem die Großeltern, bei denen sie aufwuchs, machten ihr weis, dass ihre Mutter in der Ostsee ertrunken sei; sogar einen Grabstein auf dem örtlichen Friedhof gibt es. In Wirklichkeit hatte Mutter Anna, in Rückblenden ebenfalls gespielt von Anna Maria Mühe, einen jungen russischen Deserteur kennengelernt und war mit ihm in die Bundesrepublik geflohen. Ihre Mutter, die Inga zurückließ, könnte also noch leben. Das alles erfährt Inga von einem plötzlich auftauchenden Fremden, Robert, einem Literaturprofessor aus Konstanz am Bodensee. Er hatte Anna in einem seiner Seminare getroffen. Mit Robert im Schlepptau reist Inga nach Westdeutschland, in der Hoffnung, Spuren ihrer Mutter zu finden.

„'Schon wieder ein Ost-Film? Muss das sein?' Es muss.“ Mit diesen eindringlichen Worten erklärt Regisseur Christian Schwochow die Intention seines Films, mit dem er das Studium an der Filmakademie Baden-Württemberg abschloss. Schwochow selber ist Ostdeutscher, der kurz nach dem Mauerfall mit seinen Eltern in den Westen zog und dort nie wirklich heimisch wurde. Er nähte sich irgendwann eine DDR-Fahne auf die Jacke und trug ein Lenin-Abzeichen. Alte Freunde aus der ehemaligen DDR bescheinigten ihm dennoch, er wäre ein richtiger Westler geworden. 1998 kehrte er nach Berlin zurück, weil er sich so nicht sah. Kurz vor dem Kinostart von „Novemberkind“ ist die Deutsche Einheit volljährig, 18 Jahre alt geworden. Ein gesteigertes Interesse an ihr in Film und Literatur ist zu dem Zeitpunkt festzustellen. Bestes Beispiel: Uwe Tellkamps in Dresden spielender Roman „Der Turm“ über das Jahrzehnt bis zur Wende aus der Sicht einer Familie.

Novemberkind: Ulrich MatthesDer Inga in „Novemberkind“ war kein klassisches Familienleben gegönnt. Ihre Mutter Anna machte in den Westen rüber, zusammen mit Juri, dem Deserteur. Bald trennten sich die beiden, findet Inga zusammen mit Robert heraus. Dass Robert nicht aus einer Selbstlosigkeit heraus Inga begleitet, kann sie noch nicht wissen. Ulrich Matthes, den man als Joseph Goebbels in „Der Untergang“ und aus „Der neunte Tag“ kennt, spielt Robert kühl als stillen Beobachter der Gefühle Ingas, als heimlichen Nutznießer der Situation, in der sich die junge Frau befindet: Immerhin ist ihre Biografie gerissen, ihre Identität muss neu gefunden werden. Um dies darzustellen, haben Christian Schwochow und sein Kameramann Frank Lamm sich für eine exzellente Bildsprache entschieden. Grau-braun dominiert in der Farbgebung, was auch mit dem Titel des Films hervorragend korrespondiert. Nur die Handlung um Anna, die mit einem jungen Russen in den Westen floh, ihr Kind zurückließ und man ihrer im Osten mittels eines Grabsteins gedenkt, wirkt sehr bemüht. Christian Schwochow stellt ein deutsch-deutsches Einzelschicksal dar, dessen Geschichte sehr uninspiriert ist.  

Michael Dlugosch / Wertung: * * * (3 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Schwarz-Weiß Filmverleih

 
Filmdaten 
 
Novemberkind   
 
Deutschland 2008
Regie: Christian Schwochow;
Darsteller: Anna Maria Mühe (Inga / Anna), Ulrich Matthes (Robert), Christine Schorn (Oma Christa), Hermann Beyer (Opa Heinrich), Christina Drechsler (Steffi), Steffi Kühnert (Kerstin), Jevgenij Sitochin (Juri), Ilja Pletner (Juri, jung), Thorsten Merten (Alexander), Adrian Topol (Alexander, jung), Juliane Köhler (Claire) u.a.; Drehbuch: Heide Schwochow, Christian Schwochow; Produktion: eine Sommerhaus Filmproduktion in Koproduktion mit dem SWR, der Filmakademie Baden-Württemberg, cine plus und Filmemacher Produktion; Produzenten: Jochen Laube, Matthias Adler; Kamera: Frank Lamm; Länge: 98 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Schwarz-Weiß Filmverleih; deutscher Kinostart: 20. November 2008



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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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