05.10.2014

Not My Type


Not My Type Es braucht nicht viele Worte für eine Trennung. Regisseur Lucas Belvaux lässt keine langen Streitereien oder dramatischen Sequenzen zu. Die erste Einstellung des Films ist dementsprechend kurz, obgleich schmerzvoll und tränenreich. Clément verlässt nicht nur seine Partnerin, sondern auch Paris. Der Philosophielehrer und Autor nimmt es mehr oder minder gelassen als er in den Zug nach Arras steigen muss, um in dem Pariser Vorort von nun an zu unterrichten. Es ist weniger Resignation als vielmehr eine schnelle Akzeptanz seiner Lage ohne größeren inneren Widerstand.

"Hier lebt man nicht, hier vergeht man", so der Ehemann einer Arbeitskollegin von Clément. Doch der Pariser richtet es sich gemütlich ein. Seine Schüler hat er im Griff und führt ihnen mehr oder weniger deutlich ihr profanes, neureiches Leben vor Augen. Seine Arbeitskollegin himmelt ihn und seine philosophischen Werke an. Seine intellektuellen Eltern haben sich mit den Abwegen ihres Sohnes abgefunden und nehmen ihn so wie er ist. Über ein verlängertes Wochenende darf Clément regelmäßig in seinem geliebten und aufregenden Paris verweilen.

Not My Type Obgleich Arras für Clément wie eine Zeitreise ins 19. Jahrhundert ist, findet er doch etwas Interessantes darin. Jennifer, die Friseurin, beobachtet er wie ein amüsantes und niedliches Tier, das ihm in regelmäßigen Abständen ein schönes Kunststück vollführt, das er noch nicht kennt. Jennifer lebt wie ein unbedarfter Teenager mit gelegentlichem Tiefgang ihrer Gedankenwelt. Während sie in der einen Minute noch von ihrer Namensvetterin Aniston schwärmt, kann sie in der nächsten bereits über den Begriff einer relativen und absoluten Schönheit sinnieren. Ihre Vorstellung von Liebe bewegt sich in einem traditionellen Rahmen, mit dem Clément im Grunde nichts anfangen kann. Er spricht nicht von der großen Liebe, lernt ihren Sohn nicht kennen und verbleibt mit Jennifer lieber in seinem Hotelzimmer, um ihr aus niveauvollen Büchern vorzulesen als in ihrer Wohnung zu sein.

Clément denkt, dass die Affäre unter seiner Kontrolle ist und er sich geschickt in seinen regulären Bahnen bewegen kann. Und doch ist Jennifers Welt für ihn eine ständige Herausforderung. Ihre Wochenendkaraoke stellt für ihn eine vollkommene Überforderung dar, bei der er pausenlos mit seinen Augen einen Notausgang zu suchen scheint. Mit seiner sonst so ruhigen und beobachtenden Art in den übrigen Szenen wirkt diese zarte Verunsicherung wie eine innere Tragödie. Im letzten Augenblick reißt Jennifer das Ruder um – Clément überlässt sich dem Fluss der feiernden Menge und grölt den laufenden Hit im Gewirr bunter Lichter engagiert mit.

Man hofft insgeheim, dass die quirlige blonde Jennifer so bleibt, wie sie ist und nicht durch ihre Liaison mit Clément in eine Verbitterung gestürzt wird. Eigentlich wird von der ersten Sekunde klar, dass es nicht viel Hoffnung auf ein positives Ende der beiden geben wird. Er, der Herr Lehrer aus Paris. Sie, die singende Friseurin aus Arras. Glitzerwelt in fröhlich bunten Farben versus philosophische Abhandlungen in gediegenem Schwarz-beige. Ist sie abhängig vom ihm? Oder kann er plötzlich ohne diese neue Perspektive nicht mehr leben? Im Film scheint es eine Wendung zu geben, bei der Jennifer die Ausweglosigkeit ihrer Situation mit einer knallharten Entscheidung vom Tisch zu wischen vermag. Man hätte es eigentlich nach der Eingangsszene Clément zugetraut. Die Schönheit der Tragödie wird durch die Darsteller unterstrichen. Mal ist es die stille und ruhige Mimik, mal die wilder Streitlust und Verzweiflung, die den Zuschauer leise aufseufzen lässt.  

Margarethe Padysz / Wertung: * * * * (4 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Films Distribution (über die Seite des Filmfests Hamburg)

 
Filmdaten 
 
Not My Type (Pas son genre) 
 
Belgien, Frankreich 2014
Regie: Lucas Belvaux;
Darsteller: Emilie Dequenne, Loïc Corbery, Sandra Nkaké, Charlotte Talpaert, Anne Coesens, Amira Casar u.a.;
Drehbuch: Lucas Belvaux nach dem gleichnamigen Roman von Philippe Vilain; Produzenten: Patrick Sobelman, Patrick Quinet; Kamera: Pierric Gantelmi d'Ille; Musik: Frédéric Vercheval; Schnitt: Ludo Troch;

Länge: 111 Minuten; deutscher Kinostart: unbekannt



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<05.10.2014>


Zitat

"Was soll das denn sein - wo du doch Schauspieler sein kannst? Da will man doch nicht Arzt werden!"

Die Reaktion der schauspielernden Eltern von Michael Verhoeven (13. Juli 1938 - 22. April 2024) auf seinen Wunsch, Medizin zu studieren - er wurde Regisseur ("o.k.", "Die weiße Rose"), Schauspieler ("Das fliegende Klassenzimmer" (1954), "Der Pauker") und Arzt

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