06.05.2013
Die Erde wird uns aufnehmen

No Place on Earth
- Kein Platz zum Leben


No Place on Earth - Kein Platz zum Leben "Jede Höhle birgt ein Geheimnis", sagt Christopher Nicola. Eines der unglaublichsten und bewegendsten entdeckte der fachkundige New Yorker, als er sich 1993 in den unscheinbaren Ort Bilche Zolote in die Verteba-Höhle abseilte. Dort, im Westen der Ukraine, wollte er seine sich dort verlierende Familienbiografie erforschen und die Gipshöhlen, von denen sich einige über 100 Kilometer erstrecken. Eines dieser unterirdischen Labyrinthe ist die Priestergrotte, deren von Süßwasserläufen durchzogene Gänge beherbergten einst über ein Jahr lang 38 Menschen. Für sie gab es während der faschistischen Besatzung keinen Platz auf Erden - "No Place on Earth". Davon berichtet Esther Stermer in ihren Memoiren, die in Janet Tobias' Dokumentardrama in den Berichten ihrer Söhne und Enkelinnen lebendig werden.

"Viele Menschen fürchten sich vor der Dunkelheit", sagt Nicola zu Beginn, während ihn die Kamera beim Abstieg in diese Dunkelheit zeigt. "Doch hier unten gibt es keine Monster." Oben hingegen gibt es sie. Als Esther Sterner in der Zeitung von den Pogromen in Nazideutschland liest, ahnt sie, dass die Monster bald in ihrem ungarischen Heimatort Korolowka ankommen werden. Da jedoch ist es schon zu spät. Der geplanten Emigration nach Kanada schiebt der Krieg den Riegel vor. Der Beistand der Dorfnachbarn, bei denen die Familie bis 1942 Unterschlupf findet, ist brüchig. Als der Winter naht, brauchen Esther, ihre Söhne Saul und Sam und die Enkeltöchter Sima und Sonia mit rund zwei Dutzend anderen ukrainischen Juden solideren Schutz. Ihn bot einzig der Ort, wo Nicolai Jahrzehnte später auf ihre zerfallenen Gebrauchsgegenstände stoßen wird. "In dieser unterirdischen Grotte waren wir wie lebendig begraben", notierte Esther über diese ganz andersartige Untergrundexistenz, die insgesamt 511 Tage währte.

No Place on Earth - Kein Platz zum Leben Solange hausten sie und die übrigen Flüchtigen in Feuchtigkeit und Kälte, ertrugen erst den Mangel an Trinkwasser, dann an Nahrung, kaum vorstellbare Hygienebedingungen, Enge, Ausweglosigkeit und Finsternis. Sie wird in der augenfällig von Euphemismus und Abenteuerfaszination dominierten Perspektive der Regisseurin rasch zum Freund der Höhlenbewohner, so dass Sima vergisst, dass jenseits der Steinwände eine Sonne scheint. "Wir haben anderen nur selten von der Höhle erzählt", sagt sie heute. "Es war zu unglaublich." Die Gebrauchsgegenstände, die Nicola Jahrzehnte später findet, sind stumme Botschafter eines Überlebenskampfes, dessen Grauen die furchtsame Reportage im Dunkel des Handlungsorts belässt. "Himmel und Hölle tauschten hier die Plätze", kommentiert Janet Tobias im Pressetext. Das sei für sie eines der interessanten Dinge an der Geschichte, einer Geschichte, die man anders hätte erzählen können. Als dramatischen Holocaust-Spielfilm ähnlich wie Agnieszka Hollands "In Darkness" nach einer realen Begebenheit aus dem besetzten Polen oder als erschütternden Bericht über die psychischen und buchstäblichen Abgründe, in die Menschen von ihresgleichen getrieben werden.

No Place on Earth - Kein Platz zum Leben Doch "No Place on Earth" vermeidet in seiner Nacherzählung das Abgründige, obwohl die Handlung dort spielt. In den gestellten Spielszenen liegt etwas von der Entdeckerlust und Abenteuerromantik eines Jugendromans. An einen solchen erinnern die Geschehnisse umso mehr, da sie aus der Perspektive der jugendlichen Protagonisten gezeigt werden. Die Stimmung unter den niemals an die Oberfläche steigenden Frauen wirkt heimelig statt klaustrophobisch. Die Männer wiederum beschaffen von draußen Essen, wagen sich im Kerzenschein in die Höhlengänge und bauen einen Zweitausgang. Als deutsche Soldaten das Versteck stürmen fassen sie fünf Versteckte, darunter Sima, die mit ihren Eltern durch einen Leichenhandel mit einem ukrainischen Polizisten entkommt. Solches Grauen dämpfen die Schauspielszenen zu flüchtigen Momenten für das kleine Mädchen, das sich als alte Dame scheinbar vor der Kamera nur gutausgehender Erlebnisse erinnern soll. Für das, was darüber hinausgeht, scheint zumindest im Film noch immer kein Platz auf Erden.  

Lida Bach / Wertung: * * * (3 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Senator

 
Filmdaten 
 
No Place on Earth - Kein Platz zum Leben (No Place on Earth) 
 
GB / Deutschland / USA 2012
Regie: Janet Tobias;
Mitwirkende: Chris Nicola, Saul Stermer, Sam Stermer, Sonia Dodyk, Sima Dodyk u.a.; Darsteller: Katalin Lábán, Balázs Péter Kiss, Dániel Hegedüs, Balázs Barna Hídvégi, Fruzsina Pelikán u.a.;
Drehbuch: Paul Laikin, Janet Tobias; Produktion: Sierra / Tango Productions in Koproduktion mit dem Mitteldeutschen Rundfunk, Telepool GmbH und dem Bayerischen Rundfunk; Kamera: César Charlone, Eduard Grau, Sean Kirby, Peter Simonite; Musik: John Piscitello; Schnitt: Deirdre Slevin, Claus Wehlisch;

Länge: 86,05 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih der Senator Film Verleih GmbH; deutscher Kinostart: 9. Mai 2013



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<06.05.2013>


Zitat

"Was soll das denn sein - wo du doch Schauspieler sein kannst? Da will man doch nicht Arzt werden!"

Die Reaktion der schauspielernden Eltern von Michael Verhoeven (13. Juli 1938 - 22. April 2024) auf seinen Wunsch, Medizin zu studieren - er wurde Regisseur ("o.k.", "Die weiße Rose"), Schauspieler ("Das fliegende Klassenzimmer" (1954), "Der Pauker") und Arzt

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