13. Januar 2005
Lass dich nicht verarischen
Napola - Elite für den Führer 1942: Das 17-jährige Boxtalent
Friedrich (Max Riemelt) wird für eine der Nationalpolitischen
Erziehungsanstalten des Dritten Reiches, kurz "Napola", entdeckt.
Gegen den Willen des Vaters ergreift der Junge die Gelegenheit
zum Karrieresprung; aus der Napola-Elite sollen sich die
Gauleiter der Zukunft rekrutieren. Dem Drill an der Schule fügt sich
Friedrich zunächst. Erst die Freundschaft mit dem Mitschüler
Albrecht (Tom Schilling) öffnet ihm die Augen.
Der "Spiegel" schrieb schon Monate vor dem Kinostart von "Napola - Elite für den Führer" über den Film, er bequeme sich erst nach einer geschlagenen Stunde zu einer Stellungnahme gegen den Nationalsozialismus. So treffende Urteile der "Spiegel" sonst fällt: "Napola" hat einen formalen Aufbau, der sich absichtlich einer zu schnellen vordergründigen Konfrontation mit der schlimmsten deutschen Vergangenheit verweigert. Das ist gut so, die für den Film gewählte schleichend beginnende Steigerung in das Grauen gerät nachhaltiger. Gleichzeitig wird die Verführung analysiert, die erfolgreich sein muss bei einer orientierungslosen, noch nicht gefestigten Jugend in jener durch kollektive Gehirnwäsche selbstgefällig gewordenen Epoche. Erkenntnis ist hier ein sukzessive fortschreitender Prozess, eine langsame, aber anhaltende Entwicklung. Es geht um das Reifen eines Heranwachsenden aus der naiven, unbelasteten Unschuld heraus in die Mündigkeit, die eigene Entscheidungsfähigkeit hinein. Der Verlust der Unschuld kann dabei in zweiter Deutung aufgefasst werden: Die Entdeckung der Geschlechtsreife schwingt mit. Es spielt eine Rolle, dass Albrecht Artikel für die doppeldeutig "Jungmann" betitelte Schülerzeitschrift schreiben wird. Die erwachsen werdenden Protagonisten Friedrich und Albrecht nehmen Erfahrungen aus ihrer Neugierde heraus in sich auf und landen letzten Endes daher in einer Napola. Aber im Gegensatz zum Geschlechtsbildungsprozess gibt es keine unterstützende Aufklärung von Seiten der Erwachsenen bezüglich der Regimekritik, im Gegenteil: Die im Film vorkommenden Erwachsenen sind allesamt bereits fest in der Nazi-Systematik vergraben. Und suchen in den Kindern Komplizen, durchaus zur Bestätigung ihrer eigenen Fehlentwicklung; das unterdrückte Schuldgefühl wird weitergegeben. Am Ende des Films ist die scheinbar letzte verbliebene Alternative für die Jungen, um den Wahn nicht mehr mitzutragen, von der bitterstmöglichen Konsequenz. Selbstzerstörung im Kollektiv wird durch individuelle Selbstzerstörung, latenten Nihilismus im Großen durch manifestierten Nihilismus gegen sich allein gerichtet ersetzt, dies ist der eine fatalistische Lösungsweg, den der Film "Napola" an seinem Ende aufweist, einen zweiten wird Friedrich am Schluss für sich entdecken, um seelisch heil dem Unterfangen zu entkommen. Zu Beginn des Films ist für Friedrich die Verlockung groß. Dem Berliner Arbeiterviertel Wedding und seinem strengen Elternhaus kann er entkommen, denn der Nationalsozialismus bietet ihm die Gelegenheit zum gesellschaftlichen Aufstieg. Er ist ein Nachwuchs-Boxer, der einen Kampf zwar verliert, einem Lehrer (Devid Striesow) einer Napola aber als noch formbar auffällt. Friedrichs Vater verbietet ihm den Wechsel an die Eliteschule - "Mit denen wollen wir nichts zu tun haben" -, aber Friedrich hält sich nicht daran und verlässt die Familie in einer Nacht- und Nebel-Aktion. Immerhin, es erweist sich, dass er Widerstand zu leisten im Stande ist. Es wird nicht seine letzte nonkonforme Handlung gewesen sein. Folgsam erträgt er zunächst die Demütigungen seiner Lehrer. Wie es widerspruchslos die Mitschüler unternehmen. So auch Siegfried (Martin Goeres), der als Bettnässer ins Visier des Peinigers Peiner (Michael Schenk) gerät. Bis Siegfried eine Methode findet, dem Wahn zu entkommen - in perfekt inszenierter beißender Ironie wird seine Art von Flucht vom Regime zur heldenhaften Handlung umgedeutet. So widerspruchslos wie die anderen agiert auch der später dazu stoßende Albrecht, allerdings nur scheinbar, anfangs. Noch wagt er nicht auszusprechen, was er denkt. Albrecht, kleiner und körperlich schwächer als Friedrich, intellektueller als die anderen Mitschüler, ist als der Sohn des örtlichen Gauleiters (Justus von Dohnányi) zur Anpassung gezwungen. In ihm ruhen Hoffnungen seiner gegen Widersprüche resistenten Familie. Und doch wird Albrecht handeln. Lang ist die Liste Deutscher, die in Napola-Schulen zur Elite Hitlers heranreifen sollten. Literaturkritiker Hellmuth Karasek gehört dazu - ausgerechnet Karasek, der mit einem Überlebenden des Warschauer Ghettos, Marcel Reich-Ranicki, ein streitbares Duo für sich bildete -, ebenso Zeit-Herausgeber Theo Sommer, oder der einstige Deutsche-Bank-Vorstand und RAF-Opfer Alfred Herrhausen. Sie und die Nicht-Prominenten, die auch dazu zählten, sollten erst später durch die Alliierten erläutert bekommen, was sie, weil zu jung, nicht verstehen konnten: Wie ihre jugendliche Unerfahrenheit durch pädagogische Maßnahmen für Gleichschaltung missbraucht wurde.
Einen zweifellos ungewollten fatalen, weil verniedlichenden Beigeschmack erweckt "Napola" höchstens dadurch, dass die Struktur des Films an die Harry-Potter-Bücher und -Verfilmungen erinnert. Wie ein Junge die Eltern verlässt, weil eine Schule ihn zielstrebig ins Leben eines Erwachsenen befördern soll und damit die Strenge der Lehrer akzeptiert zu sein hat, wird hier schmerzhaft ironisch gebrochen, denn die systemstabilisierende Maßnahme verdreht sich durch den Verlust der Unschuld des Jungen und dessen Erkenntnis darüber in ihr Gegenteil; eine erstaunlich scheulose Auseinandersetzung mit der Frage, wie ein Einzelner zumeist erfolgreich dem Faschismus angepasst werden sollte, damit das große Ganze in seiner Struktur gefestigt und erhalten bleibt und funktioniert, legt "Napola - Elite für den Führer" an den Tag. Die Auseinandersetzung, an der andere deutsche Filme über die Nazizeit gescheitert sind, gelingt Dennis Gansel bravourös.
Michael Dlugosch /
Wertung:
* * * * (4 von 5)
Quelle der Fotos: Constantin Film Verleih GmbH / Olga Film Filmdaten Napola - Elite für den Führer Deutschland 2003 Regie: Dennis Gansel; Darsteller: Max Riemelt (Friedrich Weimer), Tom Schilling (Albrecht Stein), Devid Striesow (Heinrich Vogler), Joachim Bißmeier (Dr. Karl Klein), Justus von Dohnányi (Gauleiter Heinrich Stein), Michael Schenk (Josef Peiner), Florian Stetter (Justus von Jaucher), Alexander Held (Friedrichs Vater), Sissy Höfferer (Friedrichs Mutter), Jonas Jägermeyr (Christoph Schneider), Leon A. Kersten (Tjaden), Thomas Drechsel (Hefe), Martin Goeres (Siegfried Gladen), Claudia Michelsen (Frau Stein, Albrechts Mutter), Götz Schubert (SS-Führer) u.a.; Drehbuch: Dennis Gansel, Maggie Peren; Produzenten: Molly von Fürstenberg, Viola Jäger, Harald Kügler; Produktion: eine Olga Film Produktion in Co-Produktion mit Constantin Film und SevenPictures; Kamera: Torsten Breuer; Musik: Normand Corbeil, Angelo Badalamenti; Gefördert von FilmFernsehFonds Bayern (FFF) und Filmförderungsanstalt Berlin (FFA). Länge: 115 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih der Constantin Film Verleih GmbH Auszeichnungen:
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