April 2002

Bunte Gewürzmischung

Monsoon Wedding

Ein Hochzeitsfilm lässt Schlimmes ahnen: Romantisch veranlagte Frauen schleppen ihre Männer ins Kino, und diese packen am besten die Monatspackung Taschentücher für ihre Liebsten ein. "Monsoon Wedding" kommt zwar auch nicht ohne die zu erwartenden Klischees und den Kitsch aus, ist jedoch trotzdem - oder eben deswegen - eine nette, leichte Komödie mit ernsten Zwischentönen, die einen Kinobesuch wert ist.

Monsoon Wedding Indien im Jahr 2000: In Neu-Delhi laufen die Hochzeitsvorbereitungen für eine junge Braut auf Hochtouren. Die 24jährige Aditi, Tochter von Lalit Verma und Pimmi Verma, soll in wenigen Tagen Hemant Rai ehelichen. Sie hat ihren Bräutigam bisher nicht kennengelernt, denn es ist eine arrangierte Ehe, wie sie in Indien noch üblich ist. Aditi ist hin- und hergerissen, ob sie sich auf ihren zukünftigen Mann freuen soll. Da gibt es noch ihren älteren (Ex-)Liebhaber, von dem sie sich nicht lösen kann. Der Zuschauer ist mittendrin im Wirrwarr der Emotionen sowie im Organisationsstress der Eltern. Immer nah am Geschehen erlebt er, wie die zahlreichen Familienmitglieder eintreffen und sich auf das Fest einstimmen.

Die in Indien aufgewachsene Regisseurin Mira Nair ("Salaam Bombay!", "Kama Sutra") adaptierte das Erstlings-Drehbuch ihrer Filmstudentin Sabrina Dhawan für und mit Hilfe ihrer eigenen Familie. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass der Zusammenhalt der Familie ein größeres Thema darstellt als die Hochzeit selber. In zweiter Linie ist "Monsoon Wedding" ein Liebesfilm. In einzelnen Szenen ist er so romantisch, wie es im europäischen Film kaum noch gängig ist. Mehrere kleine Geschichten - beispielsweise die Beziehung zwischen den Eltern, zwischen Eltern und Sohn, der Flirt zwischen Cousins und Cousinen - werden fast gleichberechtigt erzählt. Klassisch sind hier zwei Ebenen besonders hervorgehoben: Die Suche der gutsituierten Aditi nach der wahren Liebe und die Romanze der Angestellten des Hauses, P.K. Dubey und Alice. Beim Happy End sind die Klassen vereint: Alle sind ausgelassen, das Familienoberhaupt tanzt mit den Bediensteten. Realistisch ist das kaum, aber schön anzusehen. So wie das absehbare Happy End hat die restliche Handlung gleichfalls nicht viele Überraschungen zu bieten. Dafür, dass die Feier nicht zu beschaulich wird, sorgt die Handlung um Ria. Sie wird als die unverheiratete Cousine der Braut in den Film eingeführt, und langsam errät der Zuschauer, was der Grund dafür sein könnte: Ria wurde als Kind von einem einflussreichen Onkel missbraucht und begegnet ihm jetzt auf der Hochzeit wieder, wo er womöglich seine Tat wiederholen wird. Für einen indischen Film ist Kindesmissbrauch ein gewagtes Thema, in unseren Breitengraden ist man schon offensivere Herangehensweisen gewohnt (siehe "Das Fest" von Thomas Vinterberg). Ähnlich wie in diesem beispielhaften Dogma-Film gelingt es auch hier durch den Gebrauch der Handkamera unmittelbare Nähe zu erzeugen. Welche Konsequenz die Familie Verma aus der Bekanntmachung des Missbrauchs zieht ist zwar beeindruckend dargestellt, wird aber an der Realität der meisten Familien vorbeigehen. Diese oberflächliche Darstellung könnte durchaus bewusst gewählt sein, da "Wedding" nur eine seriösere Variation der kommerziellen, märchenhaften Bollywood-Filme sein soll.

"'Monsoon Wedding' ist ein Bollywood-Film nach meinem Geschmack", sagt Nair über ihre elfte Regiearbeit. Leider fällt es nicht nur in Deutschland schwer, direkte Vergleiche zu diesen Mainstream-Produktionen (sowie zu den indischen Kunstfilmen) zu ziehen. Denn hierzulande sind Filme aus Indien im Kino Mangelware und auf Video kaum untertitelt oder synchronisiert erhältlich. Dieser Zustand ist nicht einzusehen, denn globale Themen wie die Liebe stellen kein besonderes Verständnisproblem für ein ausländisches Publikum dar. Wenn man bedenkt, dass die indische Filmindustrie jährlich rund 1000 Filme in rund 20 verschiedenen Landessprachen produziert, ist es besonders erstaunlich, wie wenig nach Europa vorgedrungen ist. So wird Bollywood den meisten Cineasten bisher nur vom Hörensagen ein Begriff sein, und man ist vorerst auf Informationen aus zweiter Hand angewiesen. Zitat aus den Presseinformationen: "Die Hauptgenres des indischen Films sind Melodramen und komödiantische Abenteuer-Musicals, die nach immer gleichen Rezepten angefertigt werden (...); Gesang und Tänze sind ihre wichtigsten Bestandteile." In "Monsoon Wedding" wird - im Gegensatz zu Bollywood-Produktionen - nur dann getanzt, wenn es die Handlung erfordert. Anlass gibt es bei einer traditionellen Hochzeit selbstredend genug.

Der Soundtrack von Mychael Danna hat es in sich: Ein bunter, rhythmusreicher Mix aus Sitarklängen, moderner Popmusik und unterlegten Beats, inklusive eines getragenen Liebesliedes aus einem Bollywood-Film von 1973. Damit bildet der Soundtrack eine gelungene Parallele zum Film, der bemüht ist, ein Indien darzustellen, in dem sich Tradition und Moderne vermischen. Zu einem Großteil gelingt das - wirft nur die Frage auf, ob sich ein Land mit einer so faszinierenden Kulturgeschichte westliche Luxusartikel aneignen muss, die in unseren Breitengraden schon überflüssig sind.
Trotz Schwächen in der Handlung hat Nairs Film eine Vielzahl an Stärken: Ohren und Augen werden mit abwechslungsreicher Musik und lebendigen, satten Farben verwöhnt. Auch das exotische Sprachgemisch aus Englisch, Hindi und Punjabi hat seinen Reiz. Sämtliche Schauspieler haben eine große sympathische Ausstrahlung, die nach dem Kinobesuch in Erinnerung bleiben wird.

Sicher wurden im Film schon tiefergehende Familiengeschichten dargestellt, doch nur selten sah man auf der Leinwand eine Familie, die so viel mitreißende Lebensfreude und Vitalität ausstrahlt.
Und das war es, was Mira Nair zeigen wollte.  

Jessica Ridders / Wertung: * * * (3 von 5)

Quelle des Fotos: Prokino


Filmdaten

Monsoon Wedding
(Monsoon Wedding)

Indien 2000/2001
Regie: Mira Nair;
Darsteller: Naseeruddin Shah (Lalit Verma), Lillete Dubey (Pimmi Verma), Shefali Shetty (Ria Verma), Vijay Raaz (P. K. Dubey), Tilotama Shome (Alice), Vasundhara Das (Aditi Verma), Parvin Dabas (Hemant Rai), Kulbhushan Kharbanda (C. L. Chadha), Kamini Khanna (Shashi Chadha), Rajat Kapoor (Tej Puri), Neha Dubey (Ayesha Verma), Kemaya Kidwai (Aliya Verma), Ishaan Nair (Varun Verma), Randeep Hooda (Rahul Chadha), Roshan Seth (Mohan Rai), Soni Razdan (Saroj Rai) u.a.;
Drehbuch: Sabrina Dhawan; Produzenten: Caroline Baron, Mira Nair; Ausführende Produzenten: Jonathan Sehring, Caroline Kaplan; Kamera: Declan Quinn; Produktionsdesign: Stephanie Carroll; Schnitt: Allyson C. Johnson; Musik: Mychael Danna;

Länge: 114 Minuten; FSK: ohne Altersbeschränkung; ein Film im Verleih von Prokino



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