12.06.2020

Mahler auf der Couch

Die frivole Tragikomödie "Mahler auf der Couch" von Percy und Felix Adlon versammelt ein Who is Who des kulturellen Wien um 1900. Gustav Mahler, der berühmte Komponist, sitzt bei Sigmund Freud "auf der Couch", die in diesem Fall ein altes Feldbett ist, weil die Therapiesitzung spontan im Hotel stattfindet. Mahler sucht Hilfe, weil seine jüngere Frau Alma ihn mit dem aufstrebenden Architekten Walter Gropius betrügt. Zuvor hatte auch schon Paul Klee der künstlerisch ambitionierten, von ihrem Ehemann aber nicht unterstützten Dame Avancen gemacht.

Im vorangestellten Textinsert verkünden die Regisseure, dass es tatsächlich eine Begegnung zwischen Mahler und Freud gegeben hat – und fügen hinzu: "Wie es geschehen ist, haben wir frei erfunden." Der so etablierte selbstreflexive Gestus spielt auch im weiteren Verlauf eine Rolle, etwa wenn Figuren direkt zum Zuschauer sprechen, findet aber zu keiner geschlossenen Form. Überhaupt ist es symptomatisch für den Film, dass viele gute Ansätze, Ideen, Einstellungen isoliert nebeneinander stehen und kaum ineinander greifen. Dadurch und wegen der verwinkelten Erzählstruktur, die mit Rückblenden und Einschüben arbeitet, erhält "Mahler auf der Couch" eine assoziative Qualität, eine dramaturgische und erzählerische Offenheit, die der Fiktionalisierung einer wahren Begebenheit prinzipiell gut zu Gesicht steht.

Allerdings ist die eigensinnige Erzählstruktur auch ein Problem des Films, da sie einerseits zu zahm ist, um "Mahler auf der Couch" als Experiment verbuchen zu können, und andererseits der Erzählung des Plots im Weg steht – wirkliche Empathie mit den handelnden Personen kommt zu keiner Zeit auf. Die Schicksale der Figuren dienen eher der Auseinandersetzung mit Themen wie Schuld, der Rolle der Frau um 1900 und – natürlich – der Wechselwirkung zwischen Erinnerung, Traum und Realität. Mitunter fallen zwar schöne Dialoge oder Bilder ab (wie das Licht, das wiederholt durch Fenster einfällt), an anderen Stellen erscheint "Mahler auf der Couch" aber unbeholfen.

Ein Glücksfall hingegen ist die Besetzung, die durch die Bank überzeugt. Vor allem Johannes Silberschneider und Barbara Romaner als Gustav und Alma Mahler verdienen hier eine besondere Erwähnung, aber auch Karl Markovics, der den Freud väterlich-würdevoller Autorität versieht, und Friedrich Mücke, der den jungen Gropius mit zielgerichteter, aber charmanter Entschlossenheit ausstattet. Doch auch der gute Cast kann den insgesamt eher verkorksten Eindruck nicht ausbügeln. Percy und Felix Adlon haben zwar keinen schlechten Film inszeniert, aber doch einen, bei dem deutlich mehr drin gewesen wäre.



Diese Filmkritik ist zuerst erschienen bei fluter.de.

 

Christian Horn / Wertung: * * (2 von 5)



Filmdaten

Mahler auf der Couch


Deutschland/Österreich 2010
Regie & Drehbuch: Felix Adlon, Percy Adlon;
Darsteller: Johannes Silberschneider (Gustav Mahler), Barbara Romaner (Alma Mahler), Karl Markovics (Sigmund Freud), Friedrich Mücke (Walter Gropius, Almas Liebhaber), Eva Mattes (Anna Sofie Schindler-Moll, Almas Mutter), Lena Stolze (Justine Mahler-Rosé, Gustavs Schwester), Nina Berten (Anna von Mildenburg, Gustavs Ex-Freundin), Karl Fischer (Carl Moll) u.a.;
Produzenten: Eleonore Adlon, Burkhard W.R. Ernst, Konstantin Seitz; Kamera: Benedict Neuenfels; Schnitt: Jochen Kunstler;

Länge: 101 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; deutscher Kinostart: 7. Juli 2010



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"Was soll das denn sein - wo du doch Schauspieler sein kannst? Da will man doch nicht Arzt werden!"

Die Reaktion der schauspielernden Eltern von Michael Verhoeven (13. Juli 1938 - 22. April 2024) auf seinen Wunsch, Medizin zu studieren - er wurde Regisseur ("o.k.", "Die weiße Rose"), Schauspieler ("Das fliegende Klassenzimmer" (1954), "Der Pauker") und Arzt

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