16.01.2014
Von der Unmöglichkeit sich zu lieben ohne sich zu hassen

Le Weekend


Le Weekend: Lindsay Duncan, Jim Broadbent Aktuelle Untersuchungen und Erhebungen haben gezeigt, dass sich in den nächsten Jahren das Kinopublikum zugunsten einer Veralterung verschieben wird. Während junge Menschen zusehends die neuen Medien und das darin offerierte Film- oder Fernsehangebot nutzen werden, wird das traditionelle Kinopublikum älter werden. Insbesondere Zuschauer ab den 40ern und darüber hinaus sehen das Kino nach wie vor noch als jenen Ort an, in dem sich die audiovisuelle Erzählkraft des Mediums Films schlussendlich am besten und in all seiner Wirkungsmacht entfalten kann.

In der Folge ist in den letzten Jahren eine Tendenz bei der Wahl der Filmsujets festzustellen: Die Produktionen widmen sich zusehends den Lebensrealitäten jenseits der vielfach beschworenen Jugend. Und das durch die Genres hindurch, vom subtilen bisweilen schwerfälligen Autorenfilm bis hin zum grellbunten, laut stampfenden Blockbusterkino. Boxerlegenden steigen noch einmal in den Ring, und die Altvorderen Robert De Niro, Morgan Freeman, Kevin Kline und Michael Douglas erleben auf halbhumorige Weise in "Last Vegas" noch einmal ihren zweiten Frühling.

Le Weekend: Filmplakat In seinem neuen Film "Le Weekend", den man kategorial als Dramedy fassen könnte, schickt Regisseur Roger Michell das englische Akademikerehepaar Nick (Jim Broadbent) und Meg (Lindsay Duncan) zu ihrem 30. Hochzeitstag in die französische Kapitale, ins flirrende Paris. Obwohl beide sich noch lieben hassen sie sich gleichzeitig, und vor allem Meg will sich so ganz mit der ihr zugedachten Rolle nicht abfinden. Nick, selbstironisch und zynisch, nimmt das Leben an, indem er es seziert und ironisiert. Beide erkunden sie ein Paris, in dem sie schon ihre Flitterwochen verbracht hatten. In den vielen kleinen Streitereien und rhetorischen Wettstreits, die sie halb verbissen, halb liebevoll führen, und bei denen die Kamera immer sehr nah an ihren Regungen dran ist, manifestiert sich das schwärende Ballast, das sich nach 30 Jahren Zusammensein unvermeidlich ansammelt. Ganz gleich, ob sie auf dem Père Lachaise sind wo sie Nicks intellektuellen Vorbildern huldigen, oder in einem fantastischen Restaurant dinieren: Die gegenseitigen Spitzen sitzen, da die Treffsicherheit nach 30 Jahren Ehe einfach hoch ist. An dieser Stelle könnte man die pistolenartig aus den Mund feuernden Bonmots und Binsen, die subtil geformten Angriffe, als überformt, allzu theatralisch, ja artifiziell empfinden; wären da nicht Jim Broadbent und Lindsday Duncan, deren bravouröses Spiel dies elegant verhindern. Broadbent, der schon in "Iris" den verhuschten und sympathisch ironischen Ehemann der an Demenz erkrankten Schriftstellerin Iris Murdoch (Judi Dench in einer ihrer unvergesslich bemerkenswerten Rollen) spielt, Lieblingsschauspieler von Mike Leigh, bringt den zarten Clash von britischen Understatements und Zurückhaltung mit der Nonchalance und dem flamboyanten französischen Genieß- und Prassertum gekonnt und unaufdringlich auf den Punkt. Ganz comme il faut.

Das Wochenende der beiden nimmt noch einmal eine Wendung als sie Nicks alten Studienfreund Morgan (Jeff Goldblum) treffen, der zumindest auf den ersten Blick alles erreicht hat: Als erfolgsverwöhnter mithin betuchter und gefragter Autor pseudointelligenter Bücher tritt er auf die Bühne und lädt die beiden zu einem Abendessen mit Freunden ein, das sie dann auch besuchen, und das für ihre Beziehung noch einmal die Weichen zumindest in Teilen neu stellt.

Le Weekend: Jeff Goldblum Michells Annäherung an eine 30 Jahre dauernde Beziehung ist ein erfrischendes Oszillieren zwischen behäbigen Humoresken – etwa wenn beide im piekfeinen Restaurant die Zeche prellen und davon rennen wie Kinder, die im Laden was Süßes geklaut haben – und ernsten Einsprengseln, wenn Mag ausnahmsweise einmal warmherzig, aber keineswegs halbherzig die Versicherung ausspricht, dass sie Nick niemals betrogen habe, dies aber zuweilen bereue. Hie und da spricht das Filmfeuilleton davon, dass der Film eine leise Hommage an "Außer Atem" oder im Weitesten an die Filme der Nouvelle Vague sei. Das sind weit hergeholte, wie auch schiefe Vergleiche, erinnert doch die gesamte Atmosphäre, das Binnenverhältnis der Protagonisten, das positive Ende, aber vor allem die bisweilen überformten Charaktere, die etwas arg beispielhaft gewissen Grundtypologien entsprechen, eben nicht dem Ansinnen der Nouvelle Vague.

"Le Weekend" ist ein flotter, an vielen Stellen zweifellos pointierter Unterhaltungsfilm, in dem auf humorvolle, manchmal auch melancholische Weise Lösungsstrategien herausgearbeitet werden, wie man nach so langen Ehejahren doch noch so etwas wie Glück, Freude und auch Liebe empfinden kann. Kernthese ist und bleibt, dass man nicht lieben kann, wenn man nicht auch gleichzeitig hassen kann.  

Sven Weidner / Wertung: * * * (3 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Prokino

 
Filmdaten 
 
Le Weekend (Le Week-End) 
 
GB 2013
Regie: Roger Michell;
Darsteller: Jim Broadbent (Nick), Lindsay Duncan (Meg), Jeff Goldblum (Morgan), Olly Alexander, Xavier De Guillebon, Lee Breton Michelsen, Brice Beaugier, Marie-France Alvarez, Nicolas Carpentier, Sébastien Siroux, Denis Sebbah, Charlotte Léo u.a.;
Drehbuch: Hanif Kureishi; Produzent: Kevin Loader; Kamera: Nathalie Durand; Musik: Jeremy Sams; Schnitt: Kristina Hetherington;

Länge: 92,46 Minuten; FSK: ohne Altersbeschränkung; ein Film im Verleih der Prokino Filmverleih GmbH; deutscher Kinostart: 30. Januar 2014



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Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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