14.04.2016
Ein Film der 66. Berlinale 2016, Sektion Panorama Dokumente

Kiki


Es ist eine Jugendbewegung, sagt die schwedische Filmemacherin Sara Jordenö über ihren eindrucksvollen Dokumentarfilm. Das wegweisende Porträt der jungen farbigen LGBT-Community führt den Zuschauer dorthin, wo sich Black Lives Matter und Trans Lives Matter und mehr brennend aktuelle politische Initiativen aufeinandertreffen.

Der Insider-Blick zeigt die Interaktion von Politik, Subkultur und Tanz in der New Yorker Ballroom-Szene und nimmt dabei eine konsequent radikalere Position ein als sein berühmter Vorgänger "Paris is Burning". Das authentische Interesse der Filmkünstlerin an den Menschen, die inmitten der ebenso flamboyanten wie komplexen Szene leben und überleben lässt keinen Platz für soziokulturellen Exotismus. "Kiki" ist nicht einfach ein Film über die Szene, sondern ein Film der Szene über ihre eigenen Strukturen und Aspirationen. Die Ball Culture ist ein eigenes kreatives Konzept innerhalb der LGBT-Scene, in dem verschiedene "Houses" genannte Gruppen gegen einander antreten. Es sind nicht einfach nur Tanz-Teams, sondern eingeschworene Gemeinschaften in einem extravaganten Mikrokosmos. Eine der vor Expressivität sprühenden Figuren ist Twiggy Pucci Garçon, die im Vorspann gleichauf mit der Regisseurin genannt wird. Twiggy gehört zu den "Müttern" und "Vätern", die über die verschiedenen "Houses" wachen. Juicy Couture, Pink Lady oder Unbothered Cartier - die Namen der Gruppen spiegeln genau wie die selbstkreierten Namen ihrer Mitglieder deren Lust an der eigenen Neuerfindung. Diese Findung eines neuen Selbstbildes, auf der Bühne und darüber hinaus, ist mehr als eine Performance. Oft ist es ein Prozess emotionaler Heilung für die Protagonisten, deren Biografien von Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt geprägt sind.

Auf einfühlsame Weise zeigt der Film die Existenzkämpfe in der von Armut, Obdachlosigkeit und Prostitution überschatteten Gemeinde. Rund die Hälfte der Zugehörigen hat HIV. Für viele wird die Infektion zu einem weiteren sozialen Stigma neben ihrer sexuellen Identität und Hautfarbe. Die eingeschränkte Möglichkeit einer Geschlechtsumwandlung und der Mangel an medizinischer Versorgung und staatlicher Unterstützung sind Symptome eines defekten Sozialsystems. Jordenö erinnert daran, dass die repräsentativen Mitglieder der LGBT-Community meist weiß, männlich und wohlhabend sind. Akzeptanz findet vor allem dort statt, wo die Bewegung als eine in allem außer der sexuellen Orientierung der konservativen Norm entsprechende, materialistisch geprägte Einheit eingeordnet werden kann. Dabei spiegelt eine solche gedankliche Normierung nur die reaktionäre Angst davor wider, die Szene als so vielfältige anzuerkennen, wie sie ist. Als Farbige und materiell Unterprivilegierte werden die Protagonisten aufgrund ihrer Hautfarbe und Herkunft ausgegrenzt. Die schwarze Community wiederum hält ebenfalls teilweise an einem sexistischen Rollenbild fest. Der Umstand, dass eine diskriminierte Gruppe eine andere keineswegs automatisch akzeptiert, lenkt jedoch nicht vom Fokus der Doku ab: den schillernden Persönlichkeiten der Ball culture, ihrer Stärke und ihrem Mut.

Im Kampf gegen Polizeigewalt, Marginalisierung und Elend stellt die Szene zugleich eine Art Festung dar und einen Nährboden für frischen Widerstandsgeist. Die Community ist Teil der Lösung des omnipräsenten politischen Problems namens Diskriminierung. Hier finden ihre Mitglieder Rückhalt, Hoffnung und die Energie, weiterzumachen: beim Vouging und dem Einsatz für gesellschaftliche Akzeptanz.  

Lida Bach / Wertung: * * * * (4 von 5) 
 

 

 
Filmdaten 
 
Kiki (Kiki) 
 
Schweden/USA 2016
Regie: Sara Jordenö;
Drehbuch: Sara Jordenö, Twiggy Pucci Garçon; Produzenten: Annika Rogell, Lori Cheatle; Kamera: Naiti Gámez; Schnitt: Rasmus Ohlander;

Länge: 95 Minuten; deutscher Kinostart: unbekannt



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Der Film im Katalog der Berlinale
<14.04.2016>


Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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