14.02.2016
Ein Film der 66. Berlinale 2016, Sektion Panorama Special

Kater


Kater Wie viel Glück verträgt ein gemeinsames Leben? Diese Frage mag merkwürdig anmuten – ist doch der Zustand, in dem Stefan und Andreas ihre Tage verbringen, einer, nach dem sich jeder sehnt. Der Hornspieler und der Disponent beim Orchester lieben einander, ihren getigerten Kater Moses und die Musik. Gemeinsam pflücken sie Kräuter in ihrem üppigen Garten, bekochen Freunde, liegen auf der Couch und philosophieren über Mahlers sechste Sinfonie. "Die würd ich so gern mal spielen", bekundet Stefan. "Die ist groß", pflichtet Andreas ihm bei. Stefan zweifelt an sich, Andreas tröstet ihn: "In zwei Jahren." – "In zwei Jahren? Meinst?" fragt Stefan hoffnungsvoll. Die Nähe und Zuneigung zueinander ist tief empfunden. Doch eines Tages bricht jäh die Gewalt in dieses bukolische Dasein ein: Sie kommt nicht von außen, sondern von Stefan. Händl Klaus porträtiert in seinem zweiten Film meisterhaft eine große Liebe, die von der Ungewissheit immer fester und unerbittlicher umschlossen wird.

Es ist ein strahlender Frühstücksmorgen, an dem Stefan und Andreas Pläne schmieden. Madrid oder Barcelona? Oder lieber Portugal als Spanien? Sie lachen, scherzen. "Machst Du mir noch einen Kaffee?" – "Con mucho gusto, mi amor!" Andreas wird den Kaffee nicht bringen. Er wird aus der Küche hinüberhasten, sich über den reglosen Kater Moses beugen und erschüttert dessen Tod konstatieren. Währenddessen Stefan, der das Tier in einem eruptiven Moment erwürgt hat, ohne jeden Laut den Raum verlässt. Später wird er schreien, heulen, sich anklagen. Was er nicht tun wird: mit Andreas sprechen, das Unerklärliche erklären. Die Kamera wird sich ihm nähern, seine Verzweiflung zeigen. Andreas kommt Stefan nicht mehr nahe.

Kater Einen Menschen kennen heißt, sich selbst kennen. Und wer kann schon von sich behaupten, er kenne sich selbst? Für Andreas ist Stefan nun ein Fremder im eigenen Haus, einer, der ihn zutiefst verunsichert, dem er nicht mehr trauen kann. Und den es – allem eigenen Gefühl zu Trotz – nach außen hin zu entschuldigen gilt. "Eine Darmgrippe", sagt er zur Mutter, die ihren kleinen Jungen zu Stefan zum Musikunterricht gebracht hat, "er ruft Sie an." Beherrscht und leise macht Andreas weiter, wahrt den Schein und sucht nach Hilfe. Ein Neurologe soll herausfinden, was in Stefans Kopf vor sich geht. Und genau das macht Regisseur Händl, der auch das Drehbuch schrieb, dann nicht: eine rationale Erklärung anbieten. Am Rande wird zwar ein Arzt vorkommen, von dem Stefan berichtet. Mit dem er spreche. Über seine Kindheit, sein Selbstbild, seine Ängste. Es bleibt eine Randnotiz, die Tat selbst bleibt im Dunkeln.

Die Tötung des Haustieres wird so zur Chiffre für die Zerstörung des Vertrauens in einer Beziehung. Was ist das für ein Mensch, mit dem ich da bislang lebte, wird Andreas sich fragen. Eines Tages, sein Partner hat inzwischen bei einem Unfall im Garten ein Auge verloren, stellt er auch Stefan diese Frage. Und wieder gibt der Film keine Antwort. Stefan kann seine Tat nicht erklären, weil sie ihm selbst unerklärlich ist. Er spürt lediglich, wie gerne er sich immer, einfach immer, unter Kontrolle hätte. Und so machen die beiden weiter, so gut es geht, im Künstlerischen wie im Bürgerlichen. Sie wecken Obst ein, feiern mit den anderen Musikern, hängen Zettel aus: Kater vermisst. Andreas deckt Stefan, doch das Geheimnis kaschiert nur minimal den gravierenden Bruch, zeitigt keine verbindende Wirkung. Auch wenn die Liebe bleibt: die Nähe, auch die körperliche, die lustvolle Sexualität, die Ekstase – verloren.

Kater "Kater" entwickelt durch seine Konzentration auf die Psyche seiner beiden in jeder Hinsicht herausragenden Protagonisten sowie die dramaturgische Weigerung, einfache Antworten zu geben, einen verstörenden Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Leise und mit ungeheurer Konzentration erzählt, bietet er seinen Figuren viel Raum und Gelegenheit, den Zuschauer zu berühren. Die Kamera ist ganz bei den Schauspielern, zaubert intensivste Momente hervor. Anhand der Rillen im Fingernagel weiß man bald, welche Hand ein weißes Katzenfell streichelt, noch bevor der Protagonist in der Halbtotalen gezeigt wird. Es ist eine Nachbarskatze, die in Obhut von Stefan und Andreas gegeben. Wird Stefan ihr ebenfalls etwas antun?

Die Fragilität, die alle menschlichen Beziehungen konstant bedroht, war selten so sicht- und spürbar wie in diesem starken Zweitlingswerk des Österreichers Händl. Ungetröstet lässt er den Zuschauer zurück, ohne simplifizierende Botschaft, ohne moralisches Statement. Es geht immer irgendwie weiter. Nach der Vertreibung aus dem Paradies folgt die Ernüchterung. Der Ernüchterung folgt das Leben, und in dem dauert immer noch die Liebe an. Eine um Wesentliches reduzierte Liebe. Aber eine Liebe. In der vielleicht irgendwann sogar wieder Körperlichkeit möglich ist. Aller Verunsicherung zum Trotz.  

Jasmin Drescher / Wertung: * * * * * (5 von 5) 
 

Quelle der Fotos: coop99 filmproduktion

 
Filmdaten 
 
Kater (Kater) 
 
Österreich 2016
Regie & Drehbuch: Händl Klaus;
Darsteller: Lukas Turtur (Stefan), Philipp Hochmair (Andreas), Toni (Moses), Thomas Stipsits (Lorenz), Manuel Rubey (Vladimir), Gerald Votava (Max), Gabriela Hegedüs (Helga), Vitus Wieser (Polizist Rieger) u.a.;
Produzenten: Antonin Svoboda, Bruno Wagner; Kamera: Gerald Kerkletz; Musik: Christof Dienz; Schnitt: Joana Scrinzl;

Länge: 124,08 Minuten; FSK: ab 16 Jahren; deutscher Kinostart: 24. November 2016



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Der Film im Katalog der Berlinale
<14.02.2016>


Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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