15.02.2016
Jeder stirbt für sich allein (2016)
Regisseur Vincent Perez erzählt in seinem Historiendrama eine wohlbekannte Geschichte, die bis heute so manche Anhänger findet. Es ist nicht die von Hans Falladas zugrundeliegendem Roman "Jeder stirbt für sich allein", sondern das Lügenmärchen, das die Filmadaption daraus strickt: vom stillen Widerstand der Deutschen gegen Hitler und den Nazis als bemitleidenswerten Gutgläubigen, die hinters Licht geführt wurden.
Die Opfer in der abgeschmackten Literaturverfilmung sind nicht die jüdische Nachbarin Frau Rosenthal (Monique Chaumette), die sich im Handlungsjahr 1940 im Dachgeschoss einer Berliner Wohnung versteckt hält und sich schließlich aus dem Fenster stürzt. Nicht Herr Rosenthal, der abgeholt wurde und nicht die jüdischen Mitbürger, die enteignet, terrorisiert und ermordet wurden und werden. Die Opfer sind im Drehbuch, das Perez mit Achim von Borries schrieb, in dieser Reihenfolge: Hans Quangel, ein junger Soldat der Wehrmacht, der von französischen Truppen erschossen wird. Enno Kluge (Lars Rudolph), schäbiger Lebemann und Nazi, der stolz auf seine Söhne bei der Wehrmacht und der Waffen-SS verweist, aber trotzdem als Sündenbock erschossen wird. Der systemtreue Kommissar Escherich (Daniel Brühl), der in einem Fall von Anti-Hitler-Postkarten ermittelt und erst Enno, später sich selbst erschießt. Und nicht zuletzt das Ehepaar Anna (Emma Thompson) und Otto Quangel (Brendan Gleeson), die nach dem Tod ihres Sohnes die erwähnten Widerstands-Postkarten schreiben und in Berlin auslegen. Dass die Quangels bis zu ihrem abrupten Sinneswandel offenbar große Hitler-Fans waren, soll die reichlich sinnlose Protest-Aktion der braven Bürger noch heroischer erscheinen lassen. In einer Szene findet Otto in einem Buch seines gefallenen Sohnes eine Hitler-Postkarte mit dem Aufdruck "Der Führer". Otto macht daraus die erste Protest-Karte, indem er die Buchstaben mit "Der Lügner" übermalt. Verlogen ist tatsächlich der Plot, der behauptet, der Widerstand gegen die Nazis wäre von den Nazis gekommen, jener Generation, die Hitler erst an die Macht brachte. Und: Hitler sei ein "Ver"-Führer gewesen, der die Kriegs- und Vernichtungspläne geheim hielt. Dass er die deutsche Bevölkerung über sein Vorhaben im Unklaren gelassen hätte, kann man Hitler nicht vorwerfen. Bei solcher Geschichtsklitterung wirken historische Fehler wie die üppige Verfügbarkeit von Milchprodukten, Fleisch, Eiern und obendrein Puderzucker (trotz Rationierung seit 1939) praktisch nebensächlich. Dass der Laden der Rosenthals ausgebrannt wurde und Herr Rosenthal nicht im Ferienlager ist, wissen die übrigen Mieter offenbar sehr gut ("Ihr Mann kommt niemals wieder", sagt einer von ihnen). Trotzdem soll die Nazi-Bande Sympathieträger sein. In Falladas Vorlage gibt es noch andere Protagonisten wie Hans' kommunistische Freundin. Doch da Kommunisten für die Filmemacher offenbar schlimmer sind als Nazis, wurde sie aus dem Plot vorsichtshalber eliminiert. Das Publikum soll sich ja identifizieren mit den Hauptfiguren, die alle so warmherzige, fürsorgliche Arbeiter sind und unschuldig in diese Nazi-Sache reingezogen wurden! Es wundert nicht, dass Falladas Roman nach dem Erscheinen 1946 hierzulande zum Bestseller wurde. Für all die Mitläufer und Parteigänger ist er die perfekte Apologie. Es gibt keine guten Nazis. Höchstens im Kino. Lida Bach /
Wertung:
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Quelle der Fotos: X-Filme Creative Pool und Bild oben: Marcel Hartmann, Bild unten: Christine Schröder Filmdaten Jeder stirbt für sich allein (2016) (Jeder stirbt für sich allein (2016) / Alone in Berlin) Deutschland/Frankreich/GB 2016 Regie: Vincent Perez; Darsteller: Emma Thompson (Anna Quangel), Brendan Gleeson (Otto Quangel), Daniel Brühl (Kommissar Escherich), Mikael Persbrandt (Standartenführer Prall), Monique Chaumette (Frau Rosenthal), Joachim Bissmeier (Richter Fromm), Katrin Pollitt (Eva Kluge), Lars Rudolph (Enno Kluge), Uwe Preuss (Persicke), Daniel Sträßer (Kriminal-Oberassistent Zott), Jacob Matschenz (Dietrich Necker), Katharina Schüttler (Claire Gehrich), Louis Hofmann (Hans Quangel), Godehard Giese (Krüger), Jürgen Tarrach (Richard Schopf), Imogen Kogge (Frau Busch), Irene Rindje (Fräulein Kleinschmidt), Fritz Roth (Max Winkler), Ernst Stötzner (Walter) u.a.; Drehbuch: Achim von Borries, Vincent Perez, in Zusammenarbeit mit Bettine von Borries, nach dem gleichnamigen Roman von Hans Fallada; Produzenten: Stefan Arndt, Uwe Schott, Marco Pacchioni, James Schamus, Paul Trijbits, Christian Grass; Kamera: Christophe Beaucarne; Musik: Alexandre Desplat; Schnitt: François Gédigier; Länge: 103,32 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; deutscher Kinostart: 17. November 2016
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