14.03.2016
Ein Film der 66. Berlinale 2016, Sektion Forum Expanded

Invention


Die meisten filmischen Werke des kanadischen Künstlers Mark Lewis sind Installationen. Das gilt im Grunde auch für seine jüngste Regiearbeit, die trotz eindrucksvoller Kamerawinkel dem Titel nie wirklich gerecht wird. Die Stadtdokumentation will mit der unermüdlichen Suche nach neuen Perspektiven architektonische Genialität feiern. Stattdessen bezeugt "Invention" eher den eigenen Mangel an inszenatorischer Erfindungsgabe.

Zwischen den schwindelerregenden Bauten und kühnen Konstruktionen, die sich auf der Leinwand auftürmen, sucht man vergeblich die Originalität von Dziga Vertovs "Mann mit der Kamera" oder die Lebendigkeit von Walter Ruttmanns "Symphonie der Großstadt". Beide Filmklassiker zählen wohl zu den Vorbildern für Lewis' Konzeptfilm über urbane Flächen und Formen. Bis ins kleinste Detail kartographieren die beiden Kameramänner Martin Testar und Bobby Shore drei Weltstädte auf drei Kontinenten: Toronto, Sao Paulo und Paris. Diese Präzision mag in ihrer topografischen Genauigkeit beeindruckend sein. Auf Spielfilmlänge ausgedehnt ist eine derart ausführliche Darstellung von Gebäuden, Parks und den Menschenmassen, die darin wie Ameisen herum wuseln, oft ermüdend. Schon nach kurzer Zeit wirken die langatmigen Einstellungen angestrengt, als wollte der Regisseur in erster Linie die eigene produktive Virtuosität vorführen. Nicht nur der Film selbst zieht sich in die Länge. Einige der einzelnen Aufnahmen sind über zehn Minuten lang und wirken wie nüchterne Lektionen darin, was heute mit der Kamera machbar ist. Unter diesem Gesichtspunkt mag das Resultat relevant sein; cineastisch jedoch bietet es nichts, was das Warten bis zur letzten Einstellung lohnender macht. Die unterschiedliche Dynamik der einzelnen Schauplätze machen die Bilder nicht greifbar.

Womöglich liegen irgendwo zwischen erhabenen Bauten und spiegelnden Fassaden Ansätze zu einem philosophischen Statement verborgen. Über die Verlorenheit des Individuums in einer künstlichen Umwelt oder so... Falls ja, dann ist dieses tiefsinnige Statement verdammt gut versteckt. Immerhin versuchen einige Szenen aus der monumentalen Monotonie auszubrechen. So fängt Lewis etwa das Spiel der Schatten auf den Straßen ein oder durchdringt ein anderes Mal mit der Kamera scheinbar geisterhaft eine Glasscheibe und kommt so innerhalb eines Gebäudes an. Doch solche Effekte bleiben letztendlich Spielereien, die von dem Mangel an Substanz nicht ablenken können. Der Kontrast von Bewegung und Starrheit, Struktur und Form ist in seiner ewigen Wiederholung inhaltlich ebenso vage wie beliebig. Lewis setzt den modernen Urbanismus zwar bedeutungsvoll in Szene, vergisst aber, das Gezeigte in einen übergreifenden Kontext zu stellen. Die Prozesse von baulicher Neuanordnung und Transformation erscheinen so nicht als kulturelle oder individuelle Ausdrucksform, sondern werden zu trivialen Postkartenpanoramen. Dabei liefert die städtische Architektur Raum für zahlreiche spannende Fragestellungen: über die Wechselwirkung zwischen menschlicher Psyche und Lebensraum, die Veränderung des urbanen Raums im Zuge der Globalisierung oder die Sehnsucht nach Natürlichkeit unter dem Eindruck eines rasanten Fortschritts. Doch den spektakulären Aufnahmen fehlt eine narrative Struktur.

Nicht wenige Szenen mögen atemberaubend anzuschauen sein, doch nachdem man sie einmal gesehen hat, sind sie sofort wieder vergessen. Das verschneite Toronto, die vitalen Lebensräume Sao Paulos und das touristische Paris werden zu Studienobjekten eines trockenen ästhetischen Formalismus. Darin gibt es viel zu sehen, aber wenig zu entdecken.  

Lida Bach / Wertung: * * (2 von 5) 
 

 

 
Filmdaten 
 
Invention (Invention) 
 
Kanada/Großbritannien 2015
Regie & Drehbuch: Mark Lewis;
Produzenten: Eve Gabereau, Soda Film + Art, Gerry Flahive, National Film Board of Canada, Anita Lee, National Film Board of Canada, Emily Morgan, Soda Film + Art; Kamera: Martin Testar, Bobby Shore; Schnitt: Andrew Hulme;

Länge: 87 Minuten; deutscher Kinostart: unbekannt



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Der Film im Katalog der Berlinale
<14.03.2016>


Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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