08.02.2013
Gottes Wege

Im Namen des...


Im Namen des...: Andrzej Chyra als Adam "Du bist krank." Der erste Satz in Malgoska Szumowskas sprödem Abbild einer im eigenen Denkmuster gefangenen Gesellschaft fällt in einer Gruppe scherzender Jungen, gleich einem unheilvollen Vorboten des Urteils, das der Erzieher dieser Jungen über sich fällen wird. "Ich bin krank", stößt Adam (Andrzej Chyra) dann mit erstickter Stimme hervor, während er mit seiner verständnislosen Schwester über Skype spricht. Krank steht für die Gefühle, für die es in dem polnischen Dorf, in das der junge Priester versetzt wurde, kein Wort gibt, kein Begriffsvermögen, keine Empathie. Krank steht für die Liebe, die Adam von sich selbst und seinem Umfeld verwehrt wird: "Im Namen des..."

Die Beantwortung der Frage, welches Wort die Sprachformel des Titels vervollständigt, scheint erst offensichtlich, doch wird vager, je weiter sich die Handlung vorwagt. Ist es im Namen des Herren, dass Adam seine zärtlichen Gefühle für einen der schwer verhaltensauffälligen Jugendlichen, denen gegenüber er sowohl die Rolle eines Seelsorgers als auch Sozialeiters ausfüllt, unterdrückt? Bis zum 21. Lebensjahr habe er keine religiösen Ambitionen gehabt, erklärt Adam der Dorfgemeinde von der Kanzel. Ist es im Namen der Kirche, dass der unter seiner zur Schau getragenen Selbstgewissheit verunsicherte Protagonist sein Begehren für den Außenseiter Lukasz (Mateusz Kosciukiewicz) mehr Schuldgefühle bereitet als dem Jugendlichen die Tatsache, dass er dieses Begehren erwidert? Das Vergehen, das Lukas in das Besserungslager brachte, ist Brandstiftung; eine Tat, die er im figurativen Sinne erst an Adams Herz begeht und dann im praktischen Sinne an einem lokalen Geschäft. Die lodernden Flammen sind eine Metapher für das amouröse Feuer, das die Charaktere ersticken.

Im Namen des... Nicht nur Adam, auch die jungverheiratete Ewa (Maja Ostaszewska), die Adams Lehrerkollegen Michal (Lukasz Simlat) aus Warschau aufs Land gefolgt ist, quält sich mit ihrem Bedürfnis nach Nähe. Letzte verdorrt wie von selbst in der gesellschaftlichen und geistigen Enge des gleich einem hässlichen Fremdkörper aus der malerischen Landschaft ragenden Ortes. Seine Langzeitbewohner scheinen befallen von einer erdrückenden Starre und Schweigsamkeit, die im Kontrast steht zum Temperament der straffälligen Jugendlichen. Ihre Energie ist Aggression, angestachelt von gärender Feindseligkeit, die überall nach einer Angriffsfläche sucht. Dass diese schließlich Adam bieten wird, ist ihm ebenso bewusst wie dem Zuschauer. Doch die Regisseurin, die im vergangenen Jahr mit "Elles" im Berlinale-Panorama vertreten war, verwehrt durch Sentimentalitäten den Zugang zu der Spiegelung unüberwindbarer Beschränktheit. Als deren eigentliche Ursache zeigt sich unscharf der Glaube selbst. Der durch das Beichtritual ermöglichte Freispruch von imaginären Sünden ist für Adam jedoch gleichzeitig die letzte Zuflucht.

Wiederholt zeigt die forsche Kamera ihn bei Waldläufen, die sein Verlangen kompensieren sollen und ein vergebliches Fliehen vor ihnen ausdrücken. "Ich muss auf der Reihe bleiben", sagt Adam, als ihm auf einer Feier ein Drink angeboten wird. Er muss, weil ihm keine andere Wahl bleibt, wenn er sein Leben nicht wieder aus dem Griff verlieren will. Seine Antwort bezieht sich ebenso auf den Verzicht auf Alkohol, mit dem er kämpft, wie menschliche Verbundenheit. Der trügerische Sieg, den das unbeständige Drama ihr am Ende zuspricht, erscheint nicht als Aufbegehren gegen soziale und klerikale Unterdrückung, sondern dessen furchtsames Vermeiden. "Der Mensch weicht von seinem Weg ab", bemerkt Adam. Seine Worte gelten auch für die dramaturgische Richtung der rasch verblassenden Persönlichkeitsstudie.  

Lida Bach  / Wertung:  * * (2 von 5) 
 

Quelle der Fotos:  Berlinale

 
Filmdaten 
 
Im Namen des... (W imie) 
 
Polen 2012
Regie: Malgoska Szumowska;
Darsteller: Andrzej Chyra (Priester Adam), Mateusz Kosciukiewicz, Maja Ostaszewska u.a.;
Drehbuch: Michal Englert, Malgoska Szumowska; Produktion: Mental Disorder 4; Produzentin: Agnieszka Kurzydlo; Kamera: Michal Englert; Musik: Pawel Mykietyn, Adam Walicki; Schnitt: Jacek Drosio;

Länge: 102 Minuten; deutscher Kinostart: 15. Mai 2014
ein Film im Wettbewerb der 63. Berlinale 2013



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der Film im Katalog der 63. Berlinale 2013
<08.02.2013>


Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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