01.06.2020

Realistischer Film aus der Arbeitswelt

In den Gängen

Ein Supermarkt als Handlungsort einer nüchternen Studie von zufällig zusammentreffenden Mitarbeitern, irgendwo in den neuen Bundesländern, wohl nahe Dresden oder Leipzig: Christian (Franz Rogowski) fängt dort neu an, er muss sich in der anfangenden Probezeit bewähren. Eine Kollegin, die kaum ältere Marion (Sandra Hüller), fängt ihm gegenüber mit Flirten an, während der direkte Vorgesetzte Bruno (Peter Kurth) zu einem Freund wird, fast einem Ersatzvater. Bruno ahnt richtig, dass Christian gesessen haben muss, wegen der kriminellen Vergangenheit in der Jugendzeit ist die Vorstrafe nicht erfasst, Christian darf da arbeiten. Allen drei Hauptfiguren widmet Regisseur Thomas Stuber ("Teenage Angst", "Herbert", mehrere Tatort-Folgen) die drei großen Filmkapitel samt Titeln, die aus den Vornamen bestehen.
Christian zeigt, dass er sich integrieren will, er schafft seine Probezeit exzellent – und verliebt sich zurückhaltend in Marion. Realistisch geht Stuber auf Arbeit und Verliebtsein ein, wie Christian ist auch der Regisseur wohltuend zurückhaltend in der Beschreibung des Geschehens in der Arbeitswelt.

Ein Konsumtempel, in dem die Mitarbeiter spuren müssen zum Wohl der Kunden, die nüchterne Kälte der Regale trifft auf Interesse an Freundschaft, gar vorsichtige Liebe, trifft auf den Zwang zum Geldverdienen irgendwo, Hauptsache ein Job ist da, den alle als ehemalige DDR-Bewohner brauchen. So ergeht es der Hauptfigur, Christian müht sich und verfällt gleichzeitig Marions Flirten, er bleibt schüchtern, wortkarg, ist ein großes Kind, deutlich unerfahren, sie wagt trotz ihres Extrovertiertseins nicht mehr als die freundliche Anmache, sie ist unglücklich verheiratet, wagt auch nicht eine Trennung.

Stuber schildert ein realistisches Drama aus der Arbeitswelt, es wird einen Toten geben, bis dahin setzt der Filmemacher ganz auf eine kluge Charakterisierung der drei Hauptpersonen, aber nicht alles ist stimmig, denn der Einsatz von Musik und Geräuschen ist sehr befremdlich: Von "An der schönen blauen Donau" über Sol Lux' "Easy" bis hin zu Meeresrauschen erklingt viel; letzteres ist extrem falsch eingesetzt, was aber am Ende des Films erklärt wird. Richtig problematisch, weil unrealistisch wird der Film, wenn sich Christian Zutritt in Marions Haus verschafft und der in dem Moment Duschenden Blumen da lässt. Der sonst im Film so kluge Realismus wird somit durchbrochen von Szenen, die negative Wirkung hinterlassen, die atmosphärische Dichte wird zerstört, besser wäre gewesen, wenn der Film von Stuber und Co-Drehbuchautor Clemens Meyer, dessen Kurzgeschichte die Vorlage war, ganz im Supermarkt geblieben wäre. Der allerdings wird klug als Endstationsort gezeigt.

"In den Gängen" lief im Wettbewerb der 68. Berlinale 2018.  

Michael Dlugosch / Wertung: * * * (3 von 5)



Filmdaten

In den Gängen


Deutschland 2018
Regie: Thomas Stuber;
Darsteller: Franz Rogowski (Christian Gruvert), Sandra Hüller (Marion Koch), Peter Kurth (Bruno), Henning Peker (Wolfgang), Andreas Leupold (Rudi), Steffen Scheumann (Norbert), Matthias Brenner (Jürgen), Michael Specht (Paletten-Klaus), Ramona Kunze-Libnow (Irina Pfeiffer), Kay Zint (Markus), Gerdy Zint (Tino), Clemens Meyer (Marions Mann) u.a.;
Drehbuch: Thomas Stuber, Clemens Meyer nach dessen Kurzgeschichte; Produzenten: Jochen Laube, Fabian Maubach; Kamera: Peter Matjasko; Schnitt: Kaya Inan;

Länge: 120 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; deutscher Kinostart: 24. Mai 2018



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Zitat

"Was soll das denn sein - wo du doch Schauspieler sein kannst? Da will man doch nicht Arzt werden!"

Die Reaktion der schauspielernden Eltern von Michael Verhoeven (13. Juli 1938 - 22. April 2024) auf seinen Wunsch, Medizin zu studieren - er wurde Regisseur ("o.k.", "Die weiße Rose"), Schauspieler ("Das fliegende Klassenzimmer" (1954), "Der Pauker") und Arzt

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