31.03.2016
Ein Film der 66. Berlinale 2016, Sektion Kulinarisches Kino

In Defense of Food


"Eat food, not too much, mostly plants." Mit dieser oft zitierten Empfehlung wurde Bestsellerautor Michael Pollan in den USA zum populären Ernährungs-Advokaten, der in eindringlichen Reportagen wie "Food, Inc." und "Cowspiracy" zu Wort kam. Dabei macht der Journalist und Aktivist nicht nur Werbung für eine gesunde Einstellung zum Essen, sondern vor allem für sich selbst oder eines seiner Werke. In Michael Schwarz' Dokumentation ist es sein gleichnamiges Buch von 2008. Die Argumente darin werden allerdings auch durch szenische Untermalung nicht überzeugender.

Ganz falsch ist Pollans Ansatz nicht. Die Menschen in der westlichen Welt sollten sich von Essen (im Gegensatz zu Nahrungsergänzungsmitteln, Pestiziden und Pillen) ernähren, nicht zu viel essen (damit für die Menschen in Entwicklungsländern auch etwas übrig bleibt) und vor allem Pflanzen (da Tierprodukte der Klima-Killer Nummer eins sind). "Es ist sehr selten, dass die Antwort auf eine komplizierte Frage so simpel ist. Aber wenn es um Essen geht, ist es so", sagt Pollan. Damit hat er Recht, allerdings strickt er aus den Erkenntnissen, die weder neu sind, noch von ihm errungen, ein eigenes Regelwerk, sozusagen die Michael-Pollan-Diät. Deren Leitsätze sind insbesondere für Menschen mit wenig Zeit und Geld schwer bis unmöglich einzuhalten. "Wenn es von einer Pflanze kommt, iss es. Wenn es in einer Fabrik hergestellt wurde, meide es." Nie wieder Getreideprodukte, Tee, Öle oder Streichfette. Kaffee und Zucker sind sowieso Tabu. Nur noch selbstgemachte Beläge (aber es gibt ja sowieso kein Brot) und selbstgeerntete Früchte und Gemüse. Dass er es damit ernst meint beweist Pollan, indem er das Leben der Hadza in Tansania als optimales Beispiel vorführt. Der Stamm verbringt täglich Stunden mit dem Jagen, Graben und Sammeln von Nahrung und deren Zubereitung mit primitivsten Mitteln. Dass die durchschnittliche Lebenserwartung in solchen Jäger-Sammler-Gemeinschaften rund 40 Jahre beträgt und viele an Mangelernährung leiden, erwähnt er nicht.

An anderer Stelle kritisiert der Film die Zusatzstoffe in Nahrungsmitteln und deren Verarbeitung, differenziert aber nicht, dass Unterversorgung, etwa an Niacin, Eisen und Jod, bis Mitte des 20. Jahrhunderts in den USA (und Deutschland) zu weitverbreiteten Erkrankungen führte. Das Pasteurisieren von Milchprodukten trug maßgeblich zum Rückgang von Typhus und Diphtherie bei. Oft ist die ambitionierte Doku in dieser Weise kurzsichtig, auch gegenüber den sozialen, materiellen und ideologischen Ursachen für ungesunde Ernährung. Hinweise wie "Iss nur Dinge, die letztendlich verrotten werden" oder "Iss mehr wie die Franzosen es tun" laden wiederum geradezu zum völlig zügellosen Konsum ein. Selbst auf Salz und Honig finden sich heutzutage Verfallsdaten und in Frankreich sind fast die Hälfte der Frauen und über die Hälfte der Männer übergewichtig. Der in den USA offenbar weit verbreitete Irrglaube, dass die Franzosen, trotz genauso viel Junk-Foods wie der Rest der westlichen Welt, nicht fett werden, zierte sogar Buchtitel. Journalistische Integrität vermittelt er nicht. "Iss nichts, das deine Großmutter nicht als Essen erkannt hätte. " Wenn Oma nicht 120 Jahre alt ist, erkannte sie mit ziemlicher Sicherheit Coca Cola, Hamburger und Schmelzkäse.

Pollans Argumentation ist nicht nur teils unzureichend oder widersprüchlich, seine eigene Haltung zum Thema Ernährung erscheint in seinen öffentlichen Auftritten oft inkonsequent, wenn nicht gar unaufrichtig. Da ist man direkt erleichtert über die Regel, welche die Mehrheit der Zuschauer wohl notgedrungen am häufigsten einhalten wird: "Brich ab und zu die Regeln."  

Lida Bach / Wertung: * * (2 von 5) 
 

 

 
Filmdaten 
 
In Defense of Food (In Defense of Food) 
 
USA 2015
Regie: Michael Schwarz;
Producer: Edward Gray, Michael Schwarz; Kamera: Vincente Franco; Animation: Ekin Akalin; Schnitt: Rhonda Collins, Gail Huddleson;

Länge: 78 Minuten; deutscher Kinostart: unbekannt



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Der Film im Katalog der Berlinale
<31.03.2016>


Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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