20.12.2015
Ernst gemeinte Sinnsuche eines Komödianten

Ich bin dann mal weg


Ich bin dann mal weg Hape Kerkeling überraschte 2006 mit einem ernsten Buch, das zum Bestseller avancierte. Was verblüffte, war der Inhalt: Der Comedian brauchte 2001 eine Auszeit, und dafür wählte er den Jakobsweg. "Ich bin dann mal weg" über sein Pilgern und die dabei gemachten Erfahrungen wurde laut Wikipedia bisher etwa vier Millionen Mal verkauft und blieb 100 Wochen auf Platz 1 der SPIEGEL-Bestsellerliste Sachbuch. Keine Frage: Der Erfolg rief nach Verfilmung. An Heiligabend 2015 startet sie in den deutschen Kinos und überträgt adäquat Kerkelings Buch auf die Leinwand. Das Gelungene wie das nicht so Gelungene. Das Wandern auf dem Camino erfährt durch die Adaption der Regisseurin Julia von Heinz ("Hannas Reise", 2013) perfekte Bebilderung, der Zuschauer spürt die Intentionen der Sinnsuchenden, deren innere Einkehr.
"Ich bin dann mal weg" ist ein Film, der niemandem weh tut. Außer vielleicht Puristen. Und Glückskeksphilosophie-Feinden.

Laut Hape sei das Leben "wie ein Kinofilm: Der Film läuft, aber die Vorführung ist beschissen. Kaum jemand ahnt, wie toll der Film ist. Das merkt man erst hier auf dem Jakobsweg". Für viele Menschen ist das sich über Wochen erstreckende Pilgern nach Santiago de Compostela in Spanien ein Trip auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, nach Gott, nach Grenzerfahrung – nach sich selbst. Beginnend in den Pyrenäen, endend in Galicien, lockt der knapp 800 Kilometer lange Haupt-Jakobsweg die Wanderer, für die der Camino eine Auszeit vom Alltag, vom Leben bedeutet. So auch für den Comedian Hans Peter, genannt Hape Kerkeling. Dessen Kampf um Bühnenerfolge 2001 zu Krankheiten führte, von denen die ihn verehrende Öffentlichkeit zunächst nichts erfuhr. Unter anderem musste ihm die Gallenblase entfernt werden. Zu fett, rauchend, gestresst, plante der Komiker, das Leben nun anders zu führen. Und: Ab zum Pilgern auf die iberische Halbinsel.

Ich bin dann mal weg Dass die Filmfigur dick ist, sieht der Zuschauer zu Beginn des Films überdeutlich: Devid Striesow spielt Hape, und in der einführenden Szene hat er ein überdimensionales Doppelkinn. Der Film-Hape kippt hinter der Bühne um. In der Klinik sagt ein Arzt zu ihm, er müsse abnehmen. Er werde aber sowieso etwas an Gewicht verlieren, denn die Gallenblase sei draußen. Kaum ausgesprochen, sieht Devid Striesow in der nächsten Szene wie Devid Striesow aus. Ohne Doppelkinn. Zum Glück geht das Filmteam danach nicht mehr so fahrlässig mit der Dramaturgie um, der Lapsus bleibt der einzige. Fortan bemüht sich die Crew ernsthaft um eine brauchbare Leinwandumsetzung der Buchvorlage. Auch Hapes Homosexualität ist klug eingebaut. Wenn nur nicht die immer wieder in den Film aus dem Off eingewobenen Philosophien wären, die an Glückskekssprüche erinnern...

Ich bin dann mal weg Auf seiner Film-Wanderung lernt Hape Kerkeling die Pilgerinnen Stella (Martina Gedeck) und Lena (Karoline Schuch) kennen und begegnet ihnen bis Santiago immer aufs Neue. Die beiden Figuren kommen im Buch so nicht vor; die drei Drehbuchautoren verschmolzen insgesamt vier Frauen, die Hape wirklich traf und im Buch verewigte, zu den zwei. Eine kluge Entscheidung, nicht nur wegen der Persönlichkeitsrechte. Der Zuschauer behält den Überblick über die Protagonistinnen. Diese sind klug charakterisiert, nicht mit Seelenpein und Hang zur Selbstöffnung überfrachtet. Auch wenn Stella um ihre Tochter trauert. Dramaturgisch geschickt ist dies in respektvoller Distanz zur Figur ausformuliert. Der Zuschauer könnte sich auf den ersten Blick mehr Tiefgang bei der Darstellung der Personen wünschen. Doch auf den zweiten Blick gilt: Bei einer solchen Reise sind Begegnungen nun mal flüchtig. So auch hier. Es ist gut wiedergegeben.

Den Film dominiert Striesow als ein sich selbst und Gott Suchender. Als Hape, dem er nahe kommt, äußerlich wie mimisch und gestisch. Striesow dominiert und spielt doch ohne Eitelkeiten und Übertreibungen. Fast des Guten zu viel: Neben den viel zu vielen philosophischen Gedanken im Off sind Szenen der Kindheit Hapes mit Omma Bertha (Katharina Thalbach) in den 1970ern dazwischen geschnitten. Auch hier: der Zweifel an der Religion während der Selbstsuche, während des Aufstiegs zum kommenden Star.

Wer in einem Film nach Hape Kerkeling viel Humor erwartet, ist hier falsch. Dezent gibt es auch diesen, doch die Ernsthaftigkeit des Stoffes übernimmt die Verfilmung konsequent. Ebenso die Darstellung der Glücks- und Qualmomente auf der Tour. Wie sagt es Kerkeling: "Dieser Pilgerweg war das Verrückteste und Vernünftigste gleichzeitig, was ich bisher in meinem Leben unternommen habe."

Das Buch "Ich bin dann mal weg" sorgte von 2006 auf 2007 für einen Anstieg der deutschen Pilger auf dem Jakobsweg um 71 Prozent. Normal ist ein Zuwachs von neun Prozent im Jahr. Der "Kerkeling-Effekt" wanderte in den Sprachgebrauch. Dem Film könnte es nochmal gelingen, für weitere deutsche Camino-Pilger zu sorgen.  

Michael Dlugosch / Wertung: * * * (3 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Warner Bros.

 
Filmdaten 
 
Ich bin dann mal weg  
 
Deutschland 2015
Regie: Julia von Heinz;
Darsteller: Devid Striesow (Hape Kerkeling), Martina Gedeck (Stella), Karoline Schuch (Lena), Katharina Thalbach (Omma Bertha), Annette Frier (Dörte), Inez Bjørg David (Siri), Birol Ünel (Americo), Irene Rindje (Redakteurin), Heiko Pinkowski (Bernd) u.a.;
Drehbuch: Jane Ainscough, Christoph Silber, Sandra Nettelbeck; Produzenten: Hermann Florin (Feine Filme), Nico Hoffmann, Sebastian Werninger, Jochen Laube (letzte drei: UFA Cinema); Koproduzent: Hape Kerkeling; Kamera: Felix Poplawsky; Musik: Alex Geringas, Joachim Schlüter; Schnitt: Georg Söring, Alexander Dittner;

Länge: 92,18 Minuten; FSK: ohne Altersbeschränkung; ein Film im Verleih der Warner Bros. Pictures Germany; deutscher Kinostart: 24. Dezember 2015



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Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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