26.03.2016
Ein Film der 66. Berlinale 2016, Sektion Generation 14plus

Girl Asleep


"Die Adoleszenz ist wie ein Wald", sagt Rosemary Myers über ihre wunderbare Coming-of-Age-Komödie, "es ist ein Ort voll Schönheit, Schrecken und einer, wo man leicht die Kontrolle verlieren kann." Das findet ihre Hauptfigur Greta Driscoll (Bethany Whitmore) alles ziemlich abschreckend. Den Wald um das neue Haus, in das ihre Familie im Australien der 70er gerade gezogen ist, schaut sie deshalb lieber aus der Ferne an. Aber die sonderbaren Wesen im Dickicht des Unterbewusstseins warten auf sie...

Der Titel bezieht sich sowohl auf die freudianische Traumebene der Handlung als auch auf das Erwachen der Sexualität. Den Übergang in diese fremde Welt, in der ihre ältere Schwester Genevieve (Imogen Archer) und ihre Eltern leben, markiert Gretas 15. Geburtstag. Am liebsten würde sich die Hauptfigur in der Kindheit abriegeln, wie in ihrer alten Musikbox. Da Gretas Verschlossenheit ihrer Mutter (Amber McMahon) Sorgen bereitet, organisiert sie für ihre Tochter kurzerhand eine Megaparty. Als gäbe es nicht schon genug Gründe zur Panik: den Süßholz raspelnden Freund (Matthew Whittet) ihrer Schwester, die bizarren Witze ihres Vaters (Eamon Farren) und die perfekt gestylte Mädchen-Clique, die der neuen Mitschülerin die Aufnahme in ihre exklusive Runde in Aussicht stellen. Zum Glück ist da noch Gretas herrlich schräger bester Freund Elliott (Harrison Feldman), der fast alles "awesome" findet. Ganz besonders Greta, was deren Gefühle erst recht in Chaos stürzt. Um ihre Kindheit zu bewahren, ist Greta zu allem entschlossen – sogar einer Hetzjagd durch den finsteren Wald. Der Retro-Chic des knalligen 70er-Jahre-Settings und das von Archetypen und Traumtieren bevölkerte Reich des Unterbewusstseins verschmelzen auf magische Weise. Narrative Stilmittel wie Zwischentitel und Kapitelüberschriften erinnern an die Herkunft des Stoffs vom Theater und verleihen dem charmanten Regiedebüt eine surreale Atmosphäre.

Matthew Whittet, der bereits das gleichnamige Bühnenstück verfasste, nutzt in seinem Drehbuch den gesamten Screenframe (auf den Hintergrund achten!), um versteckte Gags oder erzählerische Hinweise einzuflechten. Der Retro-Look mit Geschmacksverirrungen wie Ananas-Dekor und Papierschirmchen-Drink und die märchenhaften Kostüme machen den nur knapp 80 Minuten langen Film visuell zu einem der unterhaltsamsten und außergewöhnlichsten dieser Berlinale. Bei allen kuriosen Einfällen verliert Myers nie die Entwicklung der Charaktere aus dem Blick. Bewusst bricht die Story mit der dramaturgischen Konvention, geistige Reife durch sexuelle Aktivität zu repräsentieren. Im Gegenteil zeigt sie durch das fiese Mitschülerinnen-Trio, dass Rummachen aus Konvention oder Angeberei ein Zeichen von Unreife ist. "Sie haben Angst", sagt Genevieve über die falschen Freundinnen, die eine Racheaktion gegen Greta planen. Doch die Heldin stellt sich den inneren Ängsten, die ihr im Wald als Doppelgänger realer Personen auflauern. Sie kämpft gegen die Angst als frigide oder unweiblich verurteilt zu werden und gewinnt den Mut, dazu zu stehen eben noch keine romantischen Gefühle zu haben.

Diese Art der Selbstbehauptung ist eine, die im Jugendkino praktisch nicht existiert. Umso wichtiger ist die filmische Erkenntnis, dass nicht verliebt oder auf jemanden scharf zu sein kein Ausdruck eines emotionalen oder physischen Defizits ist, sondern einfach normal. Der Mix aus Nostalgie und Ironie macht es dafür leicht, sich in ihn zu verlieben. Wie Elliott sagen würde: "Awesome!"  

Lida Bach / Wertung: * * * * * (5 von 5) 
 

 

 
Filmdaten 
 
Girl Asleep (Girl Asleep) 
 
Australien 2015
Regie: Rosemary Myers;
Darsteller: Bethany Whitmore (Greta), Harrison Feldman (Elliott), Matthew Whittet (Conrad), Amber McMahon (Janet), Eamon Farren (Adam), Tilda Cobham-Hervey (die Huldra), Imogen Archer (Genevieve), Maiah Stewardson (Jade) u.a.;
Drehbuch: Matthew Whittet; Produzentin: Jo Dyer; Kamera: Andrew Commis; Musik: Harry Covill; Schnitt: Karryn de Cinque;

Länge: 77 Minuten; deutscher Kinostart: unbekannt



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Der Film im Katalog der Berlinale
<26.03.2016>


Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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