04.07.2012
Familientreffen mit Hindernissen
![]() Die junge Mutter Albertine (Karin Viard) hadert im Zug mit der unsolidarischen Gesellschaft, die auf ihren Plätzen beharrt, und als die Familie dadurch getrennt wird, schweift der Blick zurück zu einer früheren Fahrt, als sie selbst noch ein Kind war und zu einer Familienfeier in die Bretagne unterwegs. Im Zeitsprung sieht man sie nun als kleines Mädchen auf dieser Fahrt, und man wird in die luftig-libertäre Szenerie wie aus einer alten Gauloises-Werbung, hinein in die späten siebziger Jahre geworfen. Albertines Mutter Anna spielt Julie Delpy, die Regisseurin und Drehbuchautorin des Films, der man die flirrende Jugendlichkeit immer noch abnimmt. Dafür hat sie Albertine in diesem teilweise autobiographischen Film unvorteilhaft pummelig besetzt. (So bebrillt und sommersprossig soll die Delpy als 10-Jährige ausgesehen haben? Mon dieu!) Der Anlaß der Feier ist der 67. Geburtstag von Albertines Großmutter, zu der zwei Dutzend Erwachsene mitsamt Nachwuchs aus ganz Frankreich für ein Wochenende nach Saint-Malo anreisen. Familie kann man sich ja bekanntlich nicht aussuchen, aber sie prägt auch. Besonders wenn die Traditionen und Lebensverhältnisse noch zum Aufbegehren anstacheln. Wenn neben den verschiedenen Generationen auch noch die politische Auffassung zwischen Kommunarden und Kolonialisten eine Rolle spielt, dann genauso die Antipoden Provinz und Paris. Albertines Eltern kommt dabei die Rolle der neuen aufgeklärten Bewegung zu. Vor allem ihre Mutter ist die prägende Figur voll von frischen Ideen des Feminismus, politischem Bewusstsein und ihrer Vorstellung von antiautoritärer Erziehung. Der Film und die Welt entwickeln sich hier aus den kindlich wachen Augen ihrer Tochter Albertine.
Es fällt einem dabei leicht der dunkle Bruder "Melancholia" ein, ohne jedoch die Weltuntergangsstimmung zu verbreiten. Hier ist es nur ein Absturz einer riesigen Raumstation, zumal bekanntlich ja auch glimpflich verlaufend, und es ist auch kein dänischer Dogma-Film. Hier scheitern die Selbstmorde und sonstige kriminellen Handlungen, hier ist die äußere Bedrohung mehr eine des Einbruchs der Erwachsenenwelt in die Kindheit, mitsamt den pubertären Problemen wie der sexuellen Unreife und des ersten Liebeskummers. Wenn man die illustre Filmographie von Delpy bedenkt (u.a. Kieslowskis "3-Farben"-Trilogie, Jarmusch, Godard) könnte man sich für die Freiheit ihrer eigenen Produktionen mehr Mut wünschen. So sind eher ihre letzten Arbeiten mit Richard Linklater, der ihr ja auch die großen Erfolge mit "Before Sunrise" und deren Fortsetzung "Before Sunset" bescherte, von besonderer Bedeutung.
Jürgen Grötzinger
Quelle der Fotos: NFP Marketing Filmdaten Familientreffen mit Hindernissen (Le Skylab) Frankreich 2011 Regie & Drehbuch: Julie Delpy; Darsteller: Lou Alvarez (Albertine), Julie Delpy (Anna), Eric Elmosnino (Jean), Aure Atika (Tante Linette), Noémie Lvovsky (Tante Monique), Bernadette Lafont (Mamie), Emmanuelle Riva (Madame Prévost, Annas Mutter), Vincent Lacoste (Christian), Marc Ruchmann (Onkel Loulou), Sophie Quinton (Tante Clémentine), Valérie Bonneton (Tante Micheline), Albert Delpy (Onkel Hubert), Karin Viard (erwachsene Albertine), Michèle Goddet (Tante Suzette) u.a.; Produzent: Michael Gentile; Kamera: Lubomir Bakchev; Schnitt: Isabelle Devinck; Länge: (Laufzeit 24fps, d.h. im Kino:) 113,56 Minuten bzw. (Laufzeit 25fps, d.h. im Fernsehen:) 109,56 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von NFP Marketing; deutscher Kinostart: 9. August 2012
Artikel empfehlen bei:
![]() ![]() ![]() ![]() |
|