08.12.1999
Ein Versuch, die sterbliche Hülle abzuschütteln

eXistenZ 



Nach einem misslungenen medizinischen Experiment werden in Parasiten-Mörder (Shivers, 1975) die Bewohner eines sterilen Hochhauses von wurmartigen Parasiten befallen, die unkontrollierte Sexsucht und Hunger auf Menschenfleisch auslösen. In Rabid - Der brüllende Tod (aka Der Überfall der teuflischen Bestien; Rabid, 1976) wächst dem Porno-Star Marilyn Chambers als der jungen Dame Rose nach einer Transplantation künstlicher Hautpartikel ein phallusartiger Stachel aus der Schulter, mit dem sie Männern das Blut aussaugt. Und in Videodrome (Videodrome, 1983) verursacht das von einem Piratensender ausgestrahlte Signal einen Hirntumor, der Halluzinationen hervorruft. Um die Preisgabe, den Versuch einer Überwindung und auch den Verlust essenzieller Eigenschaften und der Grenzen des menschlichen Körpers kreisen diese und weitere Werke von David Cronenberg, wie auch sein neuester Film, eXistenZ.

eXistenZ: Allegra Geller (Jennifer Jason Leigh)

Der Titel des Films ist auch der Name für ein neues Computerspielsystem. Die Konsole, das Game-Pod, ist eine weiche Masse, die aus Amphibieneiern und künstlicher DNA erzeugt wurde. Der Spieler ist mit ihr verbunden durch eine Schnur, den UmbyCord, der in eine runde Körperöffnung am Ende der Wirbelsäule, den Bioport, eingelassen wird. Durch Druck an bestimmten Stellen des Game-Pods wird mit einem Zucken und mit schmatzenden Lauten das Spiel geladen. Bei einer Testvorführung von eXistenZ wird dessen Programmiererin Allegra Geller von einem AntieXistenZialisten, einem Kämpfer für die Realität, angeschossen. Der Marketingpraktikant Ted Pikul schafft sie aus dem Raum und flieht mit ihr. Bei dem Anschlag scheint jedoch auch das Game-Pod Schaden genommen zu haben. Um dies herauszufinden, muss Allegra ihre neue Erfindung mit einem Freund spielen. Nachdem dem unschuldigen Pikul ein Bioport einoperiert worden ist, macht er sich mit ihr auf in die Welt von eXistenZ. Von da an wird nicht mehr immer zu unterscheiden sein, auf welcher Realitäts- oder Spielebene sich die beiden Akteure befinden.

Ted Pikul

In mehr als dem Vorhandensein einer neuen, virtuellen Realität als Thema mögen sich die Hochglanzproduktionen Matrix (The Matrix, 1999) und The 13th Floor - Bist du was du denkst? (The 13th Floor, 1999) und eXistenZ nicht gleichen. Cronenbergs Film ist eine kühle Beobachtung und eine exaktere Analyse, deren Bilder nicht gefallen wollen. Als der Attentäter aufsteht, um Allegra Geller zu erschießen, hat er eine Pistole aus Knochen, Knorpel und Gewebe in der Hand. Aus dem Lauf schnellen Zähne.

Immer wieder wird der Zuschauer mit Blut, Innereien, Knochen und gallertartigen Massen konfrontiert, was Ekel hervorrufen dürfte, obwohl jeder Mensch dies alles ständig in sich trägt: Ein Symptom für die Abscheu vor dem eigenen Körper und dem Wunsch nach Verlassen des begrenzten Menschendaseins, das körperlichen Abhängigkeiten unterworfen ist. eXistenZ ist wohl die beinahe pefekteste Vision eines Versuchs, die sterbliche Hülle hinter sich zu lassen und eine neue Welt zu schöpfen. Der nabelschnurartige UmbyCord und der afterähnliche Bioport, der von Pikul geliebkost wird, sind deutliche Hinweise darauf, wie sehr Sexualität und Geburt eine Rolle spielen.

eXistenZiell

Die verstörenden, herausfordernden Bilder erhalten eine zusätzliche Intensität durch den hypnotischen Score von Cronenbergs Hofkomponisten Howard Shore. Jennifer Jason Leigh bietet eine herausragende Leistung als fanatische Spielerin und Willem Dafoe gibt einen diabolischen Mechaniker und Spieler, der Tankwart "nur noch in der Realität" ist. Er ist es, der Pikul in einem Hinterraum seiner schmutzigen Tankstelle schließlich den Bioport in den Rücken schießt. Leider verflüchtigen sich Fragen und Geheimnisse des Films zu schnell, da die Dialoge zu viel preisgeben. Hier unterschätzt Cronenberg vielleicht die Rezipienten seines Films. Metaphern werden von den Akteuren erklärt oder allzu offensichtlich ausgebreitet und der Schluss entflicht die Ebenen von Spiel und Realität, auch wenn ein letzter Zweifel bleiben mag. eXistenZ verliert dadurch viel von seiner charmanten Rätselhaftigkeit.  

Philipp Wallutat / Wertung: * * * (3 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Kinowelt

 
Filmdaten 
 
eXistenZ (eXistenZ) 

Kanada / Großbritannien 1998
Regie: David Cronenberg;
Darsteller: Jennifer Jason Leigh (Allegra Geller), Jude Law (Ted Pikul), Willem Dafoe (Gas), Christopher Eccleston (Wittold Lewi), Ian Holm (Kiri Vinokur), Don McKellar (Yevgeny Nourish), Sarah Polley (Merle), Callum Keith Rennie (Hugo Carlaw) u.a.; Drehbuch: David Cronenberg; Kamera: Peter Suschitzky; Schnitt: Roland Sander;

Länge: 98 Minuten; FSK: ab 16 Jahren

Auszeichnungen: Silberner Bär Berlin 1999: David Cronenberg für eine außergewöhnliche künstlerische Leistung (Wettbewerbsfilm Berlinale 1999),
Genie Award Ontario / Kanada 2000: Ronald Sanders für den Schnitt



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Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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