Mai 2001
Aus dem Land der Geschichtenerzähler

Engel des Universums



"Engel des Universums" basiert auf dem gleichnamigen preisgekrönten Buch von Einar Már Gudmundsson und erzählt die wahre Geschichte seines geisteskranken Bruders, der 1992 verstarb.

Paul, ein talentierter Musiker, Poet und Maler, verliebt sich in Dagný, eine höhere Tochter. Er verlebt eine scheinbar ungetrübte Jugend, lebt und liebt mit ganzer Seele, doch als diese Beziehung auseinander geht, bricht für den sensiblen Paul eine Welt zusammen. In diesem Chaos baut der schlummernde Wahnsinn in ihm langsam eine andere Welt auf, in die er sich flüchtet. Die Grenzen zwischen real und irreal werden fließend, Doppelbödigkeit, Wahn, Absurdität und Unbeherrschtheit sind tief verwurzelt. Aggression und Agonie wechseln sich ab in Pauls Leben. Eines Tages verwandelt er sein Zimmer in eine Arche und ist überzeugt davon, daß die Nachbarin scharf auf ihn ist. So landet er schließlich in Kleppur, der Irrenanstalt Islands, und wird dort mit Medikamenten ruhiggestellt, wenn er wieder meint, die NATO wälze ihre Kriege in seinem Kopf ab oder er sei van Gogh. In dieser Anstalt trifft er auf Óli, der in ständigem telepatischen Kontakt zu den Beatles steht, Viktor, der unter dem Namen Hitler einen Bankkredit aufnahm und Pétur. Auf dem schmalen Grat zwischen Wahn und Wirklichkeit beleuchten sie in den kahlen Fluren der Anstalt den Zustand der Menschen, auf ihrem Weg in die Nacht...

Mit "Engel des Universums" gelang Fridrik Thor Fridriksson eine eindringliche Umsetzung des Buches Einar Már Gudmundssons, der dafür 1995 den Preis des Nordischen Rates bekam. Fridriksson versteht es, mit seiner sehr eigenen und intensiven Bildsprache die abwechselnd lyrischen, komischen und zutiefst verstörenden Szenen der Geschichte umzusetzen, und zusammen mit der beeindruckenden Intensität der Darsteller gelingt es ihm dabei, nicht nur die Grenzen zwischen normal und anormal auf der Leinwand zu verwischen, sondern spinnt einen beängstigenden Mikrokosmos, bei dem es nur darauf ankommt, auf welcher Seite der Leinwand man sich befindet. Fridrikssons Film geht erfreulich unpretentiös mit dem Thema um, er bietet keine simplen Erklärungen für den Grund oder die Ursachen der Schizophrenie, auch keinen Abgesang auf die Gesellschaft. Doch zeigt Fridriksson, dass nichts eindimensional, nichts ausschließlich ist, schon gar nicht im Land der Geschichten und Geschichtenerzähler, in dessen Volkscharakter die Schizophrenie tief verwurzelt ist, denn: Doppelbödigkeit, Unbeherrschtheit und absurde Pointen lauern überall, das Land und das Leben selbst ist launisch, widerspenstig, angeberisch, gewöhnlich und verrückt, gefährlich und aufbrausend im Land der Lügen, der Großmäuler und der Charmeure. Was also ist Wahn und Wirklichkeit? Wo beginnt innere Zerrissenheit?

Fridrik Thor Fridriksson ist Islands bekanntester Regisseur und hat international mit seinen Filmen wie "Children of Nature", "Die Teufelsinsel" oder "Cold Fever" immer wieder für Aufsehen gesorgt. Geboren 1954, hat er sich das Handwerk des Filmemachens selbst beigebracht, gründete schon in der Schule das erste Filmmagazin Islands (schrieb allerdings nur über Filme, die er mochte). Seine Karriere als Regisseur begann, indem er den größten Kinosaal der Stadt mietete, Wochen vorher kühn die Premiere einer aufwendig produzierten Saga-Verfilmung ankündigte, um dann dem zahlreich erschienenen Publikum einen kleinen selbstgedrehten Film zu zeigen, auf dem eine Stunde lang die Seiten eines Buches abgefilmt wurden - mit den so erworbenen Eintrittsgeldern finanzierte er seinen ersten richtigen Film, "Der Schmied" (1981). Mittlerweile zählt Fridriksson zu den renommiertesten Regisseuren Skandinaviens, kann auf die erste und bislang einzige Oscar-Nominierung für Island zurückblicken ("Children of Nature") und unterstreicht so, dass Island der Welt eigensinniges, eindringliches und sinnliches Kino zu bieten hat. 

Claudia J. Koestler / Wertung:  * * * * (4 von 5) 
 

 

 
Filmdaten 
 
Engel des Universums (Englar Alheimsins) 

Island, Deutschland, Norwegen, Dänemark 1997
Regie: Fridrik Thor Fridriksson;
Darsteller: Ingvar E. Sigurdsson, Baltasar Kormákur, Dofri Hermannsson, Hilmir Snaer Gudnason, Björn Jörundur Fridbjörnsson u.a.; Drehbuch: Einar Már Gudmundsson; Produziert von: Icelandic Film Corporation; co-produziert von: Filmhuset, Norway, Peter Rommel Film Production, Germany, Zentropa Entertainments; Ausführender Produzent: Fridrik Thor Fridriksson; Co-Produzenten: Egil Ödegaard, Peter Aalbaek Jenssen, Peter Rommel; Musik: Hilmar Örn Hilmarsson; Länge: 100 Minuten



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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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