07.03.2017
Elle (2016)
![]() Sexualität und Gewalt wurden in früheren Filmen des Regisseurs Paul Verhoeven ("Basic Instinct", "Türkische Früchte") in einer Weise dargestellt, die zum Teil heftige Kritik zur Folge hatte. In "Elle" läuft die Verbindung der beiden Themen auf einer rasiermesserscharfen Grenzlinie der Provokation. Die Souveränität der Protagonistin, die Art der Darstellung könnte dem Film leicht den Vorwurf einhandeln, seinen Gegenstand in verharmlosender Weise zu behandeln. Nachdem der maskierte Vergewaltiger ihr Haus verlassen hat, fegt Michèle mit Schaufel und Handbesen die Scherben einer Vase zusammen. Wegen Unterleibsblutungen lässt sie sich ein Bad mit viel Schaum ein, indem sie dann regungslos liegen bleibt. Vielleicht ist es dieser stille Moment, in dem in der gestandenen Frau die Entscheidung reift, dass sie das Stigma eines Vergewaltigungs-Opfers nicht tragen will.
Gerade in diesem Trauma liegt Michèles Stärke und das Besondere dieser Filmfigur. Sie weiß, wie man gegen den Sog eines Abgrundes sein Leben in einer Art von Normalität führt. Als sich in der Badewanne an der Oberfläche des Schaums auf der Höhe ihres Unterleibs ein roter Blutfleck in markanter Dreiecksform bildet, wischt sie ihn mit zittriger Hand weg. Später mit Freunden, beim Essen in einem Restaurant räuspert sie sich nur kurz und sagt dann geradeheraus, dass sie vergewaltigt worden sei – bevor es zum Essen und zum Champagner übergeht. Die entstehende Szene ist komisch, mit einer zerbrechlichen, stets gefährdeten Leichtigkeit inszeniert, die überhaupt die Grundstimmung des Films ausmacht. Mit der Polizei will Michèle nichts zu tun haben, nicht noch einmal in den Fokus der Öffentlichkeit rücken. Als sie von einer unbekannten Nummer sexuell anzügliche SMS erhält, nimmt sie mit der ihr eigenen Professionalität selbst die Suche nach ihrem Vergewaltiger auf. Dabei entsteht ein gefährliches und erotisches Spiel mit der Gewalt.
Um dieses Kernthema herum sind viele hervorragend choreographierte Szenen erzählt: Wie Michèle beim Entwickeln der Spiele all die männlichen Nerds herumkommandiert, die für sie arbeiten, die Stelldichein mit Robert, eine Begegnung mit der neuen Freundin ihres Schriftsteller-Exmannes, die Konflikte ihres Sohnes Vincent mit seiner verrückt-berechnenden Freundin Josie, ein Weihnachtsessen mit den schrägen Nachbarn; all das ist ausgezeichnet in Szene gesetzt und gespielt und trägt trotz seiner Vielseitigkeit zum Grundthema des Films bei: einem nüchternen, und auf diese Weise würdevollen Umgang mit Schuld und Scham, mit den Abgründen unserer Existenz. Simon Probst /
Wertung: * * * * *
(5 von 5)
Quelle der Fotos: 2016 SBS Productions, Twenty Twenty Vision Filmproduktion, France 2 Cinema, Entre Chien et Loup Filmdaten Elle (2016) (Elle (2016)) Frankreich/Deutschland/Belgien 2016 Regie: Paul Verhoeven; Darsteller: Isabelle Huppert (Michèle Leblanc), Laurent Lafitte (Patrick), Anne Consigny (Anna), Christian Berkel (Robert), Charles Berling (Richard Leblanc), Virginie Efira (Rebecca), Judith Magre (Irène Leblanc) u.a.; Drehbuch: David Birke nach dem Roman "Oh..." von Philippe Djian, adaptiert von Harold Manning; Produzenten: Saïd Ben Saïd, Michel Merkt; Kamera: Stéphane Fontaine; Musik: Anne Dudley; Schnitt: Job ter Burg; Länge: 125,50 Minuten; FSK: ab 16 Jahren; ein Film im Verleih von MFA+ FilmDistribution e.K.; deutscher Kinostart: 16. Februar 2017 Auszeichnungen:
Artikel empfehlen bei:
![]() ![]() ![]() ![]() |
|