18.11.2011
Der ständige Begleiter Angst

Eine Perle Ewigkeit


Eine Perle Ewigkeit: Magaly Solier Eindringlich, klagend wie ein kleiner geschundener Vogel ist die leise Stimme der alten Frau, die von unfassbaren Grausamkeiten singt. Faustas Mutter war als junge Frau Opfer des Terrorismus in Peru. Fausta hat die Angst mit der Muttermilch aufgesogen – "La teta asustada" ist "die Milch des Leids". Aber auch für das tiefste Leid gibt es eine Erlösung.
Es war das erste Mal, dass Peru sich an der Berlinale beteiligte, als der Goldene Bär 2009 gleich an Claudia Llosa ging, einer Newcomerin, die schon mit diesem – ihrem erst zweiten – Film internationale Anerkennung erhielt.

Gesungenes Leid ist anscheinend nicht so schmerzvoll, denn so wie die Mutter singt auch die Tochter ihr eigenes Leben, ihr eigenes Bangen. Die Lieder entstehen beim Singen, die Worte gleiten sanft in eine klagende, traurige und verängstigte Melodie. So trösten sie sich gegenseitig und sind in ihrer Angst und Trauer fast ein und dieselbe Frau. Lange noch, nachdem die Grausamkeiten stattgefunden haben – die Mutter war schwanger, als sie von Terroristen vergewaltigt und gedemütigt wurde –, hinterlässt menschenverachtende Gewalt ihre Spuren.

Als die Mutter stirbt, möchte Fausta sie in ihr Heimatdorf am Meer zurückbringen. Der Onkel hat kein Geld für die Reise, also geht Fausta als Dienstmädchen in ein begütertes Haus arbeiten. Die Angst ist ihr Begleiter, jeden Augenblick ihres Lebens. Wenn es besonders schlimm wird, blutet die Nase, und selbst das Weiß der Augen wird blutrot. Sie traut sich nicht alleine aus dem Hause, immer muss ein Familienmitglied sie begleiten. Besonders um Männer macht die junge Frau einen großen Bogen und meidet den Augenkontakt. Und auch gegen eine immer drohend über ihr schwebende Gefahr der Vergewaltigung hat Fausta gesorgt – mit einer unkonventionellen und medizinisch fragwürdigen Methode.

Eine Perle Ewigkeit: Hochzeit Der Film ist vielschichtig. Als zynischer Kontrast zu Faustas allwährender Angst werden leitmotivisch immer wieder Hochzeiten mit jeder Menge Kitsch gezeigt: Torten mit viel rosa Zuckerguss und daraus entschwebenden Tauben, Familienfotos vor künstlich aufgestelltem Hintergrund mit Wasserfall, ellenlangen Schleiern, jedoch billiges Essen beim Bankett. Die Dichotomie der potenziell erzwungenen und freiwilligen Sexualität erzeugt eine Spannung, die den Film durchzieht.

Die Art, wie die reiche Hausherrin ihre Untergebenen und ihre Auftragnehmer behandelt, spricht von Charakterlosigkeit, Herablassung und Verachtung gegenüber den Armen im Lande. Es gibt Männer mit Geldsorgen wie der Onkel Faustas, und Männer, die ihr Machogehabe nicht ablegen können. Es gibt mütterliche Frauen, aber auch trotzige, naive und dumme Frauen. Man hat nach dem Film, der nur mit wenigen Pinselstrichen auskommt, ein gutes Gesamtbild von der Familie, dem Umfeld Faustas und auch einen Ausschnitt aus der Alltags-Atmosphäre in Lima.

Und so wie "nur ein Ekel Ekelhaftes bezwingen kann", ist es ein Mann, der mit bescheidener Zurückhaltung und Hilfsbereitschaft Fausta einen Weg heraus aus ihrer Sackgasse zeigt. "Wir müssen nur sterben, alles andere können wir selbst entscheiden" – lautet die Medizin. Aber schafft es die junge Frau, sich selbst zu heilen? Der Zuschauer bleibt an dem expressiven Gesicht der zerbrechlichen Frau hängen – eine beeindruckende schauspielerische Leistung von Magaly Solier – und bangt und hofft mit ihr.  

Hilde Ottschofski / Wertung: * * * * (4 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Neue Visionen

 
Filmdaten 
 
Eine Perle Ewigkeit (La teta asustada) 
 
Spanien / Peru 2009
Titel für den englischsprachigen Markt: The Milk of Sorrow
Regie & Drehbuch: Claudia Llosa;
Darsteller: Magaly Solier (Fausta), Susi Sánchez (Aída), Efraín Solís (Noé), Bárbara Lazón (Perpetua), Delci Heredia (Carmela), Karla Heredia (Severina), Fernando Caycho (Melvin) u.a.;
Produzenten: Antonio Chavarrías, Claudia Llosa, José María Morales; Kamera: Natasha Braier; Musik: Selma Mutal; Schnitt: Frank Gutiérrez;

Länge: 94 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Neue Visionen; deutscher Kinostart: 5. November 2009



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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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