25.11.2000

Leitkultur und kurdische Drogendealer

Eine Hand voll Gras

Gerade als ein Fraktionsvorsitzender im Bundestag das Wort "Leitkultur" prägte, erschien "Eine Handvoll Gras" in den deutschen Kinos. In dem Film verdient eine kurdische Familie ihr Geld im Drogenhandel in der Hamburger Szene und macht vor Kinderarbeit nicht Halt. Aber es gibt den braven, leicht verstockt wirkenden deutschen Taxifahrer Udo (Oliver Korittke), der den zehnjährigen Kendal davor bewahren möchte, noch tiefer in den Sumpf zu geraten. "Eine Handvoll Gras" von Regisseur Roland Suso Richter ("14 Tage lebenslänglich", 1997) greift ein Problem unserer Zeit auf, nämlich Minderjährige als Kriminelle einzusetzen, dabei reiht der Film aber Klischee an Klischee.

Eine Handvoll GrasRoland Suso Richters Filme provozieren häufig Widerspruch. Er erzählt seine Geschichten so, dass sie missverständlich wirken. In "Nichts als die Wahrheit" (1999), dem letzten Film Richters vor "Eine Handvoll Gras", ist es der noch lebende Josef Mengele (Götz George), der, gealtert und geläutert, aus Argentinien nach Deutschland zurückkehrt, um die gerechte Strafe für seine Schandtaten vor Gericht zu erhalten. Kann sich ein fanatischer Nazi-Scherge durch die Weisheit seines Alters ändern? Richter spielt mit der Fiktion, die Mengele verharmlost, die Banalität überdeckt das Böse.

Nun "Eine Hand voll Gras". Bei dem Titel könnte man glauben, es handle sich um einen Film mit Marihuana-Konsumenten als Hauptfiguren. Drogen kommen tatsächlich vor, aber es geht um das Dealen mit ihnen: Ein kurdischer Junge soll Heroin in Hamburg verticken, ohne zunächst zu wissen, was sein Job überhaupt bedeutet - die eigene Familie bringt ihn dazu, zwingt ihn dazu. Wieder ist es Richters Anspruch, die Zuschauer über Schuld und Sühne, Verstrickungen in Machenschaften und moralische Befreiung, und dabei speziell über Ausländer in Deutschland nachdenken zu lassen. Und wieder riskiert er, dass der Zuschauer ihn falsch versteht.

Kendal lebt im heißen Kurdistan. Die Sonne brennt auf die etagenförmig übereinander an einem Berghang gestapelten Häuser des Dorfes, als Kendal erfährt, dass er alt genug ist. Alt genug, jetzt, mit seinen zehn Jahren, selber Geld zu verdienen. Damit ein Hochzeitsgeschenk finanziert werden kann - seine Schwester wird heiraten -, wird er ins kalte Hamburg geschickt. Sein Onkel wird dort schon auf ihn aufpassen. Gleich die erste Tour in Udo Hellkamps Taxi führt zur vorübergehenden Trennung Kendals von seinem Onkel. Der, kaum hat er das Taxi bei einem Zwischenstopp verlassen, wird in der ihm wohlbekannten Drogenszene auf Verdacht festgenommen. Nun hat der introvertierte, für depressive Zustände zu müde Udo Kendal am Hals; die Kommunikation scheitert an der Sprache. Udos Wohnung ist dem kleinen Kurden genauso fremd wie sein Bewohner. Aber das Kennenlernen funktioniert spielerisch, wie bei einem Kind eben, auf Udos Kosten, beispielsweise bei der Erfahrung, was ein Staubsauger so alles leistet. Es sind solche Momente, die in dem Film vergessen lassen, dass der neunjährige Arman Inci als kleiner Kendal nur schauspielert. Die Spielereien sind für Kendal bald wieder vorbei, der freigelassene Onkel holt ihn ab, der wird Kendal zeigen, was er unter Geld Verdienen versteht, gleichzeitig ist Udos Ruhe wieder hergestellt, die Wohnung ist erneut der Haushalt eines Alleinstehenden. Aber der Junge hat Gefühle in ihm geweckt, und sie treffen sich wieder. Eine Freundschaft wird entstehen...

Roland Suso Richter hat zwar sein Handwerk als Regisseur gelernt; aber die Inhalte seiner Filme bereiten ihm Probleme. Er weiß die Schauspieler zu führen, die Mimik mit der Kamera einzufangen, und damit Gefühle zu vermitteln ohne die üblichen überflüssigen Kommentare. Inci und Korittke stellen ihre Figuren so glaubwürdig dar, dass die Klemme, in der Kendal steckt, jeder Zeit spürbar ist: Der Junge muss der Familie treu bleiben und weiß gleichzeitig, warum ein Kommissar (Jürgen Hentsch) ihn verfolgt. Aber Richter versäumt es bei seinem Thema, das ihm Drehbuchautor Uwe Timm vorgegeben hat, zu differenzieren. Als harmloses Kind, dem Fahnder aus Altersgründen nicht viel anhaben können, auf Geheiß der Verwandten Drogen verkaufen - soll das für alle Ausländer-Kinder in Deutschland gelten? Alle "Deutschländer", wie sich manche Ausländer mittlerweile hier zu Lande ironisch nennen, sind in mafioser Form in Verbrechen verstrickt?

Der Film hinterlässt genau diese Eindrücke, auch wenn Richter gegensteuern möchte. Udo wird einmal auf Wunsch Kendals Hamburg verlassen, die Schwester bei der Hochzeit im kurdischen Dorf aufsuchen und ihr Kendals Geschenk überreichen. Dabei wird Udo zusammen mit dem Zuschauer erfahren, dass nicht alle Nicht-Deutschen schlecht sind, ein Eindruck, den der Film, wenn auch nicht absichtlich, dem Zuschauer nahe legt. Deutsche Familien sind auch nicht besser, erklärt Richter mit einem Vergleich der Familien, denn Udos Familie ist klischeehaft deutsch - Leitkultur einmal anders. Die Mutter läuft schlampig durch die Küche, der Vater trinkt Bier vorm Fernseher, die Kinder sind passivrauchend um ihn herum versammelt, froh, dass sie wie der Vater vor der Glotze sitzen dürfen. Auch die Deutschen können, lächerlich plakativ, schäbig wirken. Richter versucht, ausländerfeindliche Attitüden zu vermeiden. Bei seinen Bemühungen greift er aber ständig daneben.

Bei seinem Hauptthema entgeht Richter nicht der Fehler der Pauschalisierung, sämtliche Ausländer des Films sind Drogendealer. Ein ausländischer Junge wie Kendal wird, bewahrt ihn niemand davor, seine Drogenkarriere familiär bedingt fortsetzen, anfangs: fortsetzen müssen, später: mangels Alternativerfahrungen fortsetzen "dürfen".

1992 wurde ein ausländischer Junge tot aufgefunden; er hätte als Zeuge gegen einen Drogenring aussagen sollen. Vor der Ermordung war er als Verräter kahlrasiert worden. In der Hand der Leiche: ein Büschel Gras. Ein realer Fall, der zweifellos die Story von "Eine Hand voll Gras" beeinflusst hat, ohne aber in jeder Hinsicht identisch zu sein. Kendal droht also im von der Familie angerührten Drogensumpf zu versickern. Aber da ist ja noch Udo, seine mögliche Rettung, Kendals Chance auf ein normales Leben. Mit Unterstützung der deutschen Leitkultur-Familie.  

Michael Dlugosch / Wertung: * * (2 von 5)

Quelle des Filmplakats: Kinowelt


Filmdaten

Eine Hand voll Gras

Deutschland / Iran 2000
Regie: Roland Suso Richter; Drehbuch: Uwe Timm; Produktion: Günter Rohrbach; Kamera: Martin Langer; Musik: Harald Kloser, Thomas Wanker;
Darsteller: Oliver Korittke (Udo Hellkamp), Arman Inci (Kendal), Ercan Durmaz (Onkel), Lisa Martinek (Gaby), Yasmin Asadie (Franziska), Jürgen Hentsch (Kroog), Brigitte Janner (Frau Jansen), Michael Gwisdek (Kruse), Dieter Pfaff (Tiernahrungshändler), Daniel Brühl (Bernd) u.a.;

Länge: 100 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; deutscher Kinostart: 2. November 2000



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Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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