11. Januar 2007

Blondinen in Ruinen

Eine auswärtige Affäre



Authentischer geht's nicht. Die Kulisse ist absolut echt: Der Film spielt in den Ruinen des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Berlins, er lässt diese Ruinen mit einem Nachtclub-Chanson besingen, und er wurde in diesen Trümmern gedreht. Mitgliedern eines Komitees des amerikanischen Kongresses (und damit den Filmzuschauern) zeigt der vor Ort stationierte US-Colonel Plummer in einer Rundfahrt im offenen Jeep die zerbombte Stadt und ihre "Sehenswürdigkeiten", vom Reichstag bis zum Brandenburger Tor. Vor diesem Hintergrund zelebriert Regisseur Billy Wilder eine seiner lustigsten, aber auch zynischsten und politischsten Komödien.

Um welche "Affäre" geht es? Zu besagtem Komitee gehört auch die strenge Abgeordnete Phoebe Frost aus Iowa (Jean Arthur), welche die Aufgabe besonders ernst nimmt, die angebliche "moralische Malaria" der amerikanischen Besatzungstruppen zu untersuchen. Was sie sieht, empört sie sehr: G.I.s fraternisieren mit deutschen "Frauleins", eine Frau schiebt einen Kinderwagen mit kleinen US-Flaggen durch die Trümmer, auf dem Schwarzmarkt wird eifrig Handel zwischen Amerikanern, Russen und Deutschen betrieben, die Soldaten schwärmen für leichte Unterhaltung und kümmern sich nicht um die Entnazifizierung. Um etwas mehr über die wirklichen Verhältnisse zu erfahren, gibt sich Phoebe gegenüber zwei G.I.s als deutsches Fräulein "Gretchen Gesundheit" aus und wird von ihnen mit in ein Nachtlokal genommen. Da Phoebes Deutschkenntnisse nicht über "Jawohl!" hinausgehen und die beiden Soldaten nicht ahnen, wen sie da bei sich haben, ergeben sich allerlei komische Situationen. Im Nachtclub "Lorelei" nun entdeckt Phoebe die blonde Sängerin Erika von Schlütow (Marlene Dietrich), die im Dritten Reich zu den Spitzen der Gesellschaft gehörte und hier nun mit frechen und frivolen Liedern die Zuhörer (darunter viele amerikanische Soldaten) begeistert. Von ihr wird erzählt, dass sie mit dem hohen Gestapooffizier Hans Otto Birgel befreundet war und der Entnazifizierung nur entkam, weil ein amerikanischer Offizier sie deckt. Captain John Pringle (John Lund), dem Miss Frost schon am Flughafen eine Geburtstagstorte aus der Heimat überreicht hatte, wird nun von ihr aufgefordert, ihr bei der Suche nach dem besagten Offizier zu helfen, da sie an diesem und seiner Geliebten Erika von Schlütow ein Exempel statuieren will. Da muss Pringle nicht lange suchen, denn er selbst ist dieser Offizier, und die Lage wird nun gefährlich für ihn. Kurz bevor Phoebe die entscheidende Karteikarte findet, lenkt Pringle sie ab, indem er ihr vormacht, er sei in sie verliebt. So entsteht ein klassisches Liebesdreieck mit tragikomischen Zügen, zumal in vielen Szenen der Zuschauer mehr weiß als die einzelnen Personen. Miss Frost verliebt sich in Pringle - Amors Pfeile haben hier in der Tat "einen Panzer durchbohrt", wie es ein Komiteekollege formuliert - und muss sich von der kühlen Erika von Schlütow, nachdem diese sie dank ihrer guten Beziehungen nach einer Razzia aus dem Verhör befreit hat, die Wahrheit sagen lassen. Sie will umgehend abreisen, Plummer erklärt ihr jedoch, Pringle habe sich nur mit Erika eingelassen, um deren Gestapofreund aus seinem Versteck zu locken. Von Eifersucht getrieben taucht Birgel tatsächlich im Nachtclub auf und wird erschossen, als er seine Pistole zieht. Erika von Schlütow wird in ein Arbeitslager eingewiesen, Phoebe Frost und John Pringle kehren zusammen als glückliches Paar nach Amerika zurück.

Wilder entwirft ein komplexes Bild seiner Figuren, die allesamt exzellent besetzt sind. John Lund schwankt als lässig-ironischer Schwerenöter Pringle zwischen Pflichttreue und Liebeslust. Jean Arthur als Phoebe Frost wirkt erst eisig, wie schon ihr Name anklingen lässt, und in ihrer Biederkeit und Naivität "unfreiwillig" komisch, doch als sie sich verliebt und von Iowas Weizenfeldern schwärmt, ist sie zugleich rührend und sympathisch. Marlene Dietrich als blonder Vamp, als desillusionierte Femme fatale ("Want to buy some illusions? Slightly used, just like new", singt sie in der "Lorelei") überzeugt den Zuschauer davon, dass ihr Kampfesmut und ihr Überlebenswille eine Folge des Krieges und der zerstörten Hoffnungen ist. Die Figuren repräsentieren die Gemütszustände ihrer Nationen. Wie Kevin Lally es ausdrückt, "gelingt Wilder der Geniestreich, ein komisches romantisches Dreiecksverhältnis in eine Metapher für die Konfrontation zwischen dem paternalistischen und gleichzeitig unschuldigen Amerika und dem vom Krieg verwüsteten und unsentimentalen Deutschland umzumünzen."

Marlene Dietrich hat 1991 in einem Interview des SPIEGEL geäußert, sie habe Wilder immer bewundert: "Er war der witzigste Mensch, den ich je getroffen habe. Die Arbeit mit ihm war pure Lust." Das merkt man auch diesem Film an, den Marlene Dietrich zusammen mit "Zeugin der Anklage" (Regie: ebenfalls Wilder) zu ihren wichtigsten zählt. Er ist nicht nur außerordentlich satirisch und sarkastisch, wie folgendes Dialogbeispiel zeigt: In einer alten Wochenschauaufnahme sieht man Erika von Schlütow in einem offenherzigen Abendkleid in der Opernloge. Phoebe: "Wie hält nur ihr Kleid?" Pringle: "Wahrscheinlich durch deutsche Willenskraft". Der Film ist außerdem auch ein Meisterwerk, was Komposition und Kameraarbeit anbelangt. Zwei Beispiele: Phoebe weicht vor Johns Annäherungen im nächtlichen Büro zurück, indem sie einen Karteikasten nach dem anderen aufzieht. Am Schluss des Films ist das Verhältnis umgekehrt: Pringle macht einen hilflosen Rückzugsversuch, indem er einen Stuhl nach dem anderen zwischen sich und Phoebe stellt - die sie natürlich alle wegräumt. Plummer zeichnet, um Phoebe die Gefahr zu zeigen, in der Pringle schwebt, mit dem Finger eine Zielscheibe auf die beschlagene Fensterscheibe der Flughafenbaracke; die Kamera fährt immer näher heran, und der Film blendet über auf eine Nahaufnahme von Pringles Oberkörper im Nachtclub.

Sehr aufschlussreich ist ein Blick auf die zeitgenössischen amerikanischen Kritiken, denn das Lob für diese Komödie war keineswegs einhellig. Schrieb Dorothy Gillian in "Modern Screen": "Solche Filme gibt's nicht viele. Gehen Sie hin!", so konnten andere Kritiker überhaupt nicht lachen und empfanden beim Betrachten des Films Abscheu: "Der Humor des Films ist größtenteils so geschmackvoll wie jemand, der einen Sterbenden zur Eile antreibt." (Time). Oder: "Es mag ja komisch sein (und das Publikum hat in der Tat gelacht), wenn eine auf dem Schwarzmarkt feilgehaltene Geburtstagstorte aus Iowa mit der Aufschrift 'I love you' fast einen Aufruhr verursacht. Vielleicht lachen Sie sich tot, wenn zwei Schmieren-G.I.s auf einem Tandem deutsche 'Frauleins' mit Schokolade becircen. Aber dann haben Sie sicher auch beim Begräbnis ihrer Großmutter ein Fass aufgemacht." (The New Republic). Angesichts der kaum vergangenen Gräuel des Dritten Reichs fanden einige Kritiker Wilder und seinen Drehbuchautor Brackett einfach nur "verantwortungslos". Es gefielen ihnen offenbar auch die ironischen Attacken auf den verklemmten amerikanischen Puritanismus nicht. Heutige Kritiken sind durchweg positiv, ja begeistert. "This is one of those comedies that will always exist in the stratosphere of wit, intelligence and truth", schreibt ein Anonymus im Internet (amazon.ca) und hat Recht.

In Deutschland wurde der Film - aus "Rücksicht" auf das Publikum? - erstmalig 1977 im deutschen Fernsehen gezeigt. Die Leinwandpremiere war 1991. Man sollte ihn unbedingt in der Originalfassung mit Untertiteln sehen, ansonsten entgeht einem ein Großteil des Vergnügens. Die Komik der Gretchen-Szenen etwa resultiert aus der Zweisprachigkeit und den entsprechenden Missverständnissen. Aber auch sonst sind die englischen Dialoge einfach hinreißend. "Da ist der Balkon, von dem aus Hitler wettete, sein Reich würde 1000 Jahre dauern", erklärt Plummer während der Stadtrundfahrt. "Damit brach er den Buchmachern das Herz." Im Original: "That broke the bookies' hearts". 

Manfred Lauffs / Wertung:  * * * * * (5 von 5) 
 

 

 
Filmdaten 
 
Eine auswärtige Affäre 
(A Foreign Affair)

USA 1948
Regie: Billy Wilder;
Darsteller: Marlene Dietrich (Erika von Schlütow), Jean Arthur (Phoebe Frost), John Lund (Captain John Pringle), Millard Mitchell (Colonel Rufus J. Plummer), Peter von Zerneck (Hans Otto Birgel), Stanley Prager (Mike), Bill Murphy (Joe) u.a.; Drehbuch: Charles Brackett, Billy Wilder und Richard L. Breen nach einer Story von David Shaw; Produktion: Charles Brackett für Paramount; Kamera: Charles B. Lang Jr.; Musik: Friedrich Hollaender; Länge: 116 Minuten; FSK: ab 12 Jahren



Artikel empfehlen bei:  Mr. Wong Delicious Facebook  Webnews Linkarena  Hilfe

© filmrezension.de

home
  |  regisseure/schauspieler   |  e-mail
 über uns  |  impressum  


 
 
 
 
 

Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

Drucken

Artikel empfehlen
Mr. Wong Delicious Facebook Webnews Linkarena 
Hilfe