24.08.2009
Das Fremde und die Regenbogennation

District 9


District 9: Die MNU-Einheit fordert alle Aliens auf, District 9 zu verlassen. Dass Außerirdische nicht per definitionem New York oder Los Angeles automatisch anpeilen ist heutzutage keine Selbstverständlichkeit. Umso erfrischender ist es, dass Neill Blomkamps Film "District 9" sich nicht nur als gelungener Science-Fiction-Stoff präsentiert, sondern auch den Schauplatz nach Johannesburg verlegt.

Vor 20 Jahren erreichte ein Raumschiff die Stadt und thronte ereignislos über einem Bezirk. Als es dem Militär gelang, sich Zutritt zu verschaffen, fanden sie ein schauriges Szenario vor. Tausende von Außerirdischen, erinnernd an große Insekten, tummelten sich halbverhungert und verzweifelt an Bord des Schiffes.

District 9: FilmplakatHumanitäre Hilfe wurde verlangt, und man siedelte die 'Asylanten' in ein abgeriegeltes Areal um, das sich im Laufe der Jahre rasch zum Slum entwickelte. Die Wesen leben inmitten von Unrat, Kriminalität und Armut. Sie werden ausgegrenzt; zahlreiche Schilder, die nicht-menschlichen Wesen den Zutritt verbieten sind in der Stadt aufgestellt. Zwiespalt in der Bevölkerung hinsichtlich dieses "District 9" verstärkt sich, der Ruf nach einer Verlegung der Fremden in ein der Stadt fernes Lager wird zum allgemeinen Konsens.

Der von den Behörden zusammengestellte Zwangsräumungstrupp unter der Führung von Wikus Van De Merwe (gespielt von Sharlto Copley, der zuvor mit Schauspiel nichts am Hut hatte und dafür eine professionelle Darbietung abgibt) geht zunehmend brutal und unmenschlich vor, behandelt die Außerirdischen wie Vieh und schießt teilweise einfach um sich. "Prawns" (Garnelen) werden sie genannt, und der Begriff wird eingesetzt wie ein rassistisches Schimpfwort. Eine derart inhumane Aktion kann nicht ohne weiteres ablaufen, und so kommt es zu unvorhergesehenen Komplikationen, die man leider nicht benennen kann, ohne bedeutsame Teile des Plots vorweg zu nehmen.

Die Entstehungsgeschichte dieses Films liest sich wie ein modernes Hollywoodmärchen. Neill Blomkamp sollte die Videospiel-Verfilmung "Halo" drehen, die dann allerdings nicht zustande kam. Darauf hin bot ihm sein Mäzen Peter Jackson ("Der Herr der Ringe") $30 Millionen an, um einen Stoff seiner Wahl zu verfilmen. Blomkamp entschied sich für die Geschichte, die von seiner Kindheit in Südafrika inspiriert wurde und die er bereits 2005 in seinem Kurzfilm "Alive in Joburg" verarbeitete. Gekonnt vermischt der Film den pseudo-dokumentarischen Stil mit Spielfilmsequenzen, wechselt von verwackelter, subjektiver Kameraführung zu ausgeklügeltem Kontinuitätskino und zurück.

District 9: Wikus van der Merwe (Sharlto Copley) kämpft gegen die Untersuchungen der MNU.Sehr gut gezeichnet werden hier die Angst vor dem Fremden und die Skepsis, die zu Hass und Abwertung führt. Die Darstellung der Außerirdischen als insektenartige Wesen weist auf die häufige Vertierung und Verdinglichung des Fremden, die im Zuge einer derart kollektiven rassistischen Entwicklung von Hass entsteht. "District 9" ist ganz offensichtlich eine Parabel auf Rassismus und Apartheid in Südafrika, spiegelt allerdings auch Situationen auf dem afrikanischen Kontinent an sich. Das Aufnehmen und Umsiedeln sowie späteres Vernachlässigen von Flüchtlingen ist ein dunkles Kapitel in der Geschichte des Kontinents. Eigenschaften von Südafrika werden gekonnt eingefangen, beispielsweise die synchrone Existenz von Aufgeklärtheit und zivilisatorischem Fortschritt neben Mystik in Form von "witch doctors" - Meistern der Hexerei. Ebenfalls exemplarisch für die gespannte Situation des Landes ist die Angestellte im Fast Food Restaurant, die bei Ärger direkt eine Schrotflinte zur Hand hat. An dieser Stelle geht ein ungläubiges Lachen durch das Publikum, doch ist diese Szene keinesfalls eine belustigende Überspitzung.

In den letzten Jahren wurden dem Zuschauer nur wenige wirklich gehaltvolle Sci-Fi-Filme präsentiert. "District 9" kombiniert endlich alle Erfolg versprechenden Mittel: Die Special Effects sind überragend, der Film bietet Action und Tiefgang zugleich, und erzählt dabei eine packende, emotionale Geschichte. Die Fraternisierung mit dem Fremden erinnert streckenweise an eine ausgereifte Mischung aus "Enemy Mine – Geliebter Feind" (Regie: Wolfgang Petersen, 1985) und "Flucht in Ketten" ("The Defiant Ones", Stanley Kramer, 1958).

Der Film zeigt, dass man sich erst einmal in die Situation des Anderen versetzen sollte, bevor man es verurteilt. Wikus Van De Merwe wird hierzu gezwungen und wächst durch diese Situation dennoch nur bedingt, obschon er eine Charakterentwicklung der besonderen Art durchlaufen muss. Es ist auch irgendwie schön zu sehen, dass Hauptfiguren nicht grundsätzlich eine hundertprozentige Katharsis durchlaufen, nur weil sie in eine Notlage gezwungen werden. "District 9" geht trotz aller Science-Fiction-Konventionen äußerst realistisch mit der Beschränktheit des menschlichen Geistes um, sodass man sich stellenweise für seine eigene Spezies schämen möchte.  

Jana Toppe / Wertung: * * * * * (5 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Sony Pictures

 
Filmdaten 
 
District 9 (District 9) 
 
Südafrika / Neuseeland 2009
Regie: Neill Blomkamp;
Darsteller: Sharlto Copley (Wikus Van De Merwe), Jason Cope (Grey Bradnam), Nathalie Boltt (Sarah Livingstone), Sylvaine Strike (Dr. Katrina McKenzie), John Summer (Les Feldman), William Allen Young (Dirk Michaels), Nick Blake (Francois Moraneu), Jed Brophy (James Hope), Louis Minnaar (Piet Smit), Vanessa Haywood (Tania Van De Merwe), Marian Hooman (Sandra Van De Merwe), Vittorio Leonardi (Michael Bloemstein), Mandla Gaduka (Fundiswa Mhlanga), Johan van Schoor (Nicolas Van De Merwe), Stella Steenkamp (Phyllis Sinderson), David James (Koobus Venter), Kenneth Nkosi (Thomas), Mampho Brescia (Reporter), Tim Gordon (Clive Henderson), Morena Busa Sesatsa, Themba Nkosi, Mzwandile Nqoba, Barry Strydom, Elizabeth Mkandawie, Greg Melvill-Smith u.a.; Drehbuch: Neill Blomkamp, Terri Tatchell; Produktion: Peter Jackson; Co-Produktion: Philippa Boyens; Ausführender Produzent: Ken Kamins; Kamera: Trent Opaloch; Musik: Clinton Shorter; Länge: 112 Minuten; FSK: ab 16 Jahren; ein Film im Verleih von Sony Pictures; deutscher Kinostart: 10. September 2009



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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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