15.10.2010
Eher deutsche Routinearbeit als großes Wagnis

Die kommenden Tage


Zukunftsvision im Retro-Look. Lars Kraumes Film "Die kommenden Tage" ändert wenig, trotz drohendem Weltuntergang: globale Bedrohungen und übliches Beziehungseinerlei. Ein simples Drama vor der bebenden Kulisse des großen Untergangs. Kein Grund zur Aufregung.

Die kommenden Tage Im Jahr 2020 sieht die Welt aus wie in den späten Siebzigern, und auch die Krisen, von denen sie bedroht ist, scheinen zeitlos. Es gibt Bürgerkrieg in Saudi-Arabien, die Ölkrise und autofreie Sonntage – alles wie gehabt. Anti-Kriegs-Demonstrationen und fanatische Endzeitapostel schüren Gewalt und Zukunftsangst. So programmatisch wie bedrohlich der Titel "Die kommenden Tage" des neuen Films von Lars Kraume ("Keine Lieder über Liebe", 2005) auch klingt, so seltsam vertraut scheint sein Szenario. Statt utopischen Visionen ist die Zukunft nur leicht nach vorne verschoben, so als wolle sich dieser Film nicht zu weit aus dem Fiction-Fenster lehnen.

Wie könnte sie aussehen, unsere Welt von Morgen, und was wird werden in den kommenden Tagen? Zeit als Möglichkeitsform ist die Mutter aller Fiktionen. "Imagination" heißt das kreative Spiel zwischen Film und Zuschauer. Auch in der so erschaffenen künstlichen Welt muss der Kontakt zur guten alten Realität gehalten werden. Dieser Film erzeugt seine Zukunft nicht mit einem Druck auf die Fast-forward-Taste. Was in den kommenden Tagen passiert, sieht mehr so aus, als hätte man unsere Welt nochmal in die späten Siebziger zurückgespult. Passend dazu weht ein bisschen deutscher Herbst durch den Film, der sich mit der Terrorzelle der "Schwarzen Stürme" nochmal der aggressiven Leidenschaftlichkeit des Guerilla-Chics bedient. August Diehl spielt den sinistren Revoluzzer mit dunklen Augen und blutverklebter Haartolle, an seiner Seite Johanna Wokalek, die als Terroristenbraut aussieht wie der zweite Aufguss einer Gudrun Ensslin wider Willen. Ist das ein Zusammenschnitt aus dem Bildband Deutsche Geschichte oder einfach ein Requisitenrecycling des deutschen Kinos? Trifft hier "The Day After Tomorrow" den "Baader-Meinhof-Komplex"?

Die kommenden Tage: Filmplakat Zukunftsangst entsteht aus Unwissen. Der drohende Untergang in "Die kommenden Tage" ist recht vorhersehbar, tausendmal in Kriegsbildern und Katastrophenmeldungen auf Bildschirmen geflimmert und über Zeitungsseiten gejagt. Ein Film wie die Chronik eines medial angekündigten Todes; der Untergang des High-tech-Abendlandes. Ist dieser Film ein weiteres mahnendes Medienbild oder schon Meta-Diskurs über die Kraftlosigkeit der wiederkehrenden Katastrophenbilder? Diese Unentschiedenheit macht das Szenario schwach. Weder ist der Film eine reißende Untergangsphantasie, noch bedrohliches Realitätsbild. Die Zukunft bleibt hier kraftlos, drohend und diffus zugleich.
Was zerstören Zukunft und Krisen zuerst? Natürlich die Familie, als Keimzelle der Gesellschaft. Besonders die bürgerliche Familie bietet eine autoritäre Angriffsfläche, an der die Katastrophe im Kleinen wunderbar Wirkung zeigen kann.
Laura (Bernadette Heerwagen) und Cecilia (Johanna Wokalek) sind solch bürgerliche Advokatentöchter, deren Vater natürlich in nicht so ganz ethisch korrekte Geschäfte verstrickt ist und das Alkoholproblem seines Sohnes gekonnt ignoriert. Ein wenig eintönig ist diese klassische Querele zwischen problemblinden Eltern und dem Aufstand ihrer Kinder. Wir sehen ein Familiendrama, mit Konfliktlinien und Handlungsmustern wie aus einer Schlagwortsuche. Die Stichworte "68er" und "Generationenkonflikt" ergeben hier jedoch wenig interessante Treffer für die Story des Films.

Bleibt der Plot, aber auch der ist ausgesucht einfallslos geraten. "Schwestergeschichte" ist hier das Stichwort und das funktioniert folgendermaßen. Zwei Schwestern sind mal wieder grundverschieden. Cecilia zieht es zu Konstantin (August Diehl), dem Revolutionär mit Sexappeal und fanatischen Umsturzvisionen. Gemeinsam mit ihm schließt sie sich der Terrorgruppe "Die schwarzen Stürme" an, um dem morschen Gesellschaftssystem den Rest zu geben. Laura verliebt sich in Hans (Daniel Brühl) und will sich mit ihm ihren lang gehegten Kinderwunsch erfüllen. Revolution interessiert Hans nicht besonders. Statt Visionen zu entwickeln, geht er lieber zum Arzt, der bei ihm eine Augenkrankheit findet. Was ihm an Augenlicht bleibt, will Hans für die Vogelbeobachtung opfern und zieht sich auf die Berghütte seines Großvaters zurück. Zwei Männer, zwei Handlungsmodelle, entweder Rückzug oder Revolte.

Auch bei den beiden Frauenfiguren gibt es wenig Alternativen. Sie sind dazu nicht nur recht simpel, sondern auch noch reichlich reaktionär. Entweder behütende Mutter wie Laura oder heilige Hure der Revolution wie Cecilia. Den passenden Mann gibt es zum Glück für beide Schwestern- und Frauenprototype. Entweder den testosteronstarken Revoluzzertypen Konstantin oder den stillen bebrillten Anwalt Hans auf seiner Suche nach Vögeln. Das Schlimme an dieser Zukunft ist der gesellschaftliche Roll-Back. 2020 scheint es für Frauen nur eine Möglichkeit zu geben, die Welt zu retten – Kinder kriegen!
Das ist auch Lauras sehnlichster Wunsch. Doch sie und Hans passen einfach nicht zueinander und das auf genetischer Ebene. Ironie des Schicksals, oder der Gentechnik. Laura handelt jedoch ganz evolutionslogisch: keine Kinder mit Modelmann Nr.1, deshalb Sex mit... Und Achtung, hier ist der alles entscheidende Plot point!

Die kommenden Tage Diese Art von Rollengestaltung und Figurenmotivation macht einen Zukunftsfilm wie "Die kommenden Tage" vorhersehbar und schematisch. Ein solches Urteil muss aber noch keine Endzeit-Stimmung verbreiten, denn es gibt viele narrativ nicht besonders virtuose Filme mit dafür umso schlagenderen Bildern. Gerade ein Film über den drohenden Untergang, mit Liebesverstrickungen und Revolutionsbewegungen, könnte unsere Netzhaut brennen lassen. Die Ausstattung lässt jedoch zu wünschen übrig und die meisten Einstellungen erwecken nicht den Eindruck, als hätte man besonders lange nach ihnen gesucht. Ästhetisch ist dieser Film wieder einmal mehr deutsche Routinearbeit als großes Wagnis. Bilder so lustvoll wie eine Scheibe Graubrot mit Käse.

Die Massen- und Demonstrationsszenen sind lieblos gestaltet, so dass man eher die atemlosen Statisten bemitleidet, als verzweifelte Menschen in Panik zu sehen. Der fanatische Mann in der Fußgängerzone sieht nicht aus wie ein Endzeitapostel mit Ölkanister, sondern wirkt lächerlich wie ein peinlicher Performance-Künstler.
Dem guten Willen des Zuschauers sei Dank, erzeugen diese Bilder folgende dramaturgische Basisinformation: Die Zukunft ist bedrohlich und wird schlimm.

"Die Zukunft gehört denen, die um sie kämpfen", dieser prächtige Blockbusterslogan ziert das Filmplakat wie eine römische Grabschrift. Wie es scheint, kämpft hier mehr das deutsche Kino um seine eigene Zukunft und besonders mutig sieht das Ergebnis nicht gerade aus.

Die kommenden Tage Immerhin schlagen die Schauspieler sich wacker. August Diehl zeigt wieder einmal mehr, als nur sein uns lieb gewordenes deutsches Schauspielergesicht. Susanne Lothar lässt, wie zuletzt in "Das weiße Band" trotz Nebenrolle als Mutter, psychische Zustände schauspielerisch eindrucksvoll sichtbar werden. Dass dann aber Jürgen Vogel (auch Produzent des Films) nochmal vorbeischaut, wirkt wie ein unfreiwilliger Cameo-Gag und sieht aus, als spiele er sich selbst.

Man sollte dem Titel dieses Films folgen und ihn auf sich zukommen lassen, denn das Ende ist doch großartig unfreiwillig originell.
Der Balanceakt zwischen Katastrophenfilm und Beziehungsdrama mündet in einem flammenreichen Showdown im Schnee, der ein bisschen so aussieht, als hätte man "Action" mit "Aktionsfilm" ins Deutsche übersetzt. Alles wirkt wie das herrlich überzeichnete Ende eines B-Movies und hat so gar nichts von Blockbuster.

Ganz ohne Augenzwinkern lässt sich jedoch eine wunderbar kreative Mutation bemerken: Daniel Brühl als leicht verkommener Reinhold-Messner-Verschnitt mit Brille, Bart und Daunenjacke, das Gewehr im Anschlag.  

Nicolas Oxen / Wertung: * * (2 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Universal

 
Filmdaten 
 
Die kommenden Tage   
 
Deutschland 2010
Regie & Drehbuch: Lars Kraume;
Darsteller: Bernadette Heerwagen (Laura), Daniel Brühl (Hans), Johanna Wokalek (Cecilia), August Diehl (Konstantin), Susanne Lothar (Mutter), Ernst Stötzner (Vater), Jürgen Vogel (Melzer), Mehdi Nebbou (Vincent), Vincent Redetzki (Philip Kuper), Michael Abendroth (Förster), Numan Acar (Botschafter), Sebastian Blomberg (Demonstrant), Teresa Harder (Eva), Irina Potapenko (Alice), Götz Schubert (Dr. Rüther), Aljoscha Stadelmann (Redakteur), Johann von Bülow (Arzt) u.a.; Produktion: Katrin Schlösser, Frank Döhmann, Lars Kraume, Jürgen Vogel, Matthias Glasner; Co-Produktion: Thomas Peter Friedl (Ufa Cinema), Claudia Dummèr-Manasse u. Rainer Kalex (Dream Team Film Production), Barbara Buhl (WDR), Jörg Klamroth (ARD Degeto), Andreas Schreitmüller (Arte); Kamera: Sonja Rom; Musik: Christoph Kaiser, Julian Maas;

Länge: 129 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Universal Pictures International; deutscher Kinostart: 04. November 2010



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Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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